Verkehrspolitik: Eskalation um Strassenprojekt am Urnersee

Nr. 40 –

Das Umweltdepartement bewilligt ein temporäres Bauwerk für eine neue Axenstrasse, obschon unklar ist, ob das milliardenschwere Strassenprojekt überhaupt legal ist. Nun ziehen die Innerschweizer Umweltverbände vors Bundesverwaltungsgericht.

An den Ufern des Urnersees ist ein wüster Streit zwischen Umweltverbänden und den Bauherren eines neuen Strassenbauprojekts eskaliert. Im Zentrum steht der vorzeitige Baubeginn bei der «N4 Neue Axenstrasse», wie das Projekt offiziell heisst: Das eidgenössische Umwelt- und Energiedepartement (Uvek) hat im Sommer eine temporäre Brücke bewilligt. Diese soll vorübergehend die Bauarbeiten für die neue Strasse unterstützen. Doch die Plangenehmigung für die neue Axenstrasse liegt noch gar nicht vor, auch nicht für die Brücke.

Darum haben am 19. September die Alpen-Initiative, die ÄrztInnen für Umweltschutz und der VCS beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde gegen den vorzeitigen Baubeginn eingereicht. Ein temporäres Bauwerk, so heisst es darin, könne nur gebaut werden, wenn die grundsätzliche Rechtmässigkeit des Gesamtprojekts bejaht werde.

Doch die Bauherren, die Kantone Schwyz und Uri sowie das Bundesamt für Strassen (Astra), kümmert das offensichtlich nicht. Sie geben Vollgas und sorgen damit für eine Eskalation im Rechtsstreit um die neue Axenstrasse.

Eine Milliarde für ein paar Minuten

Dieser Strassenneubau ist seit Jahren umstritten. Er soll die bisherige Axenstrasse ergänzen, die am Urnersee Brunnen mit Flüelen verbindet und laut den Bauherren den heutigen Anforderungen nicht mehr genügt. Ausserdem soll das Dorf Sisikon vom Durchgangsverkehr entlastet werden.

Die Bauherren wollen zwei neue und insgesamt 7,2 Kilometer lange Tunnel in den Berg bohren. Nützen würde das unter anderem den Zürcherinnen und Ostschweizern, sie kämen ein paar Minuten schneller ins Tessin. Der Neubau kostet rund eine Milliarde Franken. Zusätzlich soll die schon bestehende Axenstrasse für rund 240 Millionen Franken saniert werden.

Dabei wehren sich die GegnerInnen nicht gegen eine Kurzumfahrung des Dorfs Sisikon und einen besseren Schutz vor Naturgefahren. Die neue Strasse lehnen sie aber als unnötiges und teures Luxusprojekt ab.

Beim Uvek liegen zwei Einsprachen der Umweltverbände aus den Jahren 2014 und 2015 gegen das ganze Projekt auf dem Tisch. Die Vorwürfe sind happig. Die Verbände werfen dem Bundesrat Rechtsbruch und Kompetenzüberschreitung vor. Dabei geht es um die sogenannte Aufklassierung der neuen Axenstrasse durch den Bundesrat: Die neue Verbindung wird nicht mehr als Nationalstrasse der dritten Klasse geplant wie die bisherige Strasse (für alle Strassenbenutzer inklusive Langsamverkehr), sondern als parallel erstellte neue Nationalstrasse der zweiten Klasse nur für Motorfahrzeuge. Diese Aufklassierung liege in der Kompetenz des Bundesrats, sagte Verkehrsministerin Doris Leuthard Ende 2014 im Nationalrat.

Das bestreiten die Umweltverbände vehement. Sie verweisen auf die parlamentarischen Debatten zum ersten Netzbeschluss für die Nationalstrassen im Jahr 1960, der nie geändert wurde. Damals ging es unter anderem um die Kompetenzen bei der Umklassierung von Nationalstrassen. Das Parlament entschied, der Bundesrat dürfe Nationalstrassen nur in eng begrenzten lokalen Bagatellfällen umklassieren.

Die Brücke notfalls wieder abreissen

Für die Umweltverbände ist die neue Axenstrasse alles andere als ein Bagatellfall. «Wir haben das in unseren Einsprachen mehrfach gerügt», sagt der Schwyzer SP-Präsident Andreas Marty. «Der Bundesrat hat seine Kompetenzen eindeutig überschritten. Es braucht hier einen Beschluss der Bundesversammlung.» Dominique Bugnon, Informationschef des Uvek, will sich nicht dazu äussern. Er teilt mit, man könne in einem laufenden Verfahren keine Fragen beantworten.

Hinzu kommen weitere Einwände. So kritisiert Alf Arnold, früherer Geschäftsführer der Alpen-Initiative und Sprecher des interkantonalen Axen-Komitees, dass die neue hochrangige Strasse im Widerspruch zum Alpenschutz stehe. «Wenn alles gebaut wird wie geplant, stehen am Axen mit der alten und mit der neuen Strasse vier Spuren zur Verfügung. Dieser Kapazitätsausbau widerspricht dem Geist des Alpenschutzartikels in der Verfassung und dem Wortlaut der Alpenkonvention. Der Druck auf die Gotthardverbindung nimmt zu.»

Politisch haben die GegnerInnen der neuen Axenstrasse einen schweren Stand. Anfang Sommer haben die SchwyzerInnen eine linke Initiative für mehr Mitsprache bei der neuen Axenstrasse mit 63 Prozent Nein-Anteil abgelehnt. «Die Abstimmung und was jetzt passiert, das sind zwei verschiedene Dinge», sagt Julia Hofstetter vom VCS Schwyz dazu, «man kann doch nicht einfach geltendes Recht ignorieren.»

Trotzdem geben die Bauherren Vollgas. Ab 2017 soll die temporäre Brücke für elf Millionen Franken gebaut werden. Die Gelegenheit dazu sei günstig, sagt der Schwyzer Projektleiter Paul Gerber, weil die SBB ein tiefer liegendes Gleis sanierten und es deshalb keinen Bahnverkehr geben werde. «Wir wissen, dass die definitive Plangenehmigung noch nicht vorliegt und dass wir im schlechtesten Fall die Brücke zurückbauen müssen. Aber wir sind bereit, dieses Risiko zu tragen.»

Für das Axen-Komitee ist das «eine verantwortungslose Verschwendung von Steuergeldern», so Sprecher Alf Arnold. «Die Bauherren sind bereit, elf Millionen Franken in den Sand zu setzen.»