Kost und Logis: Der Hühnerwahnsinn

Nr. 21 –

Bettina Dyttrich verdirbt Ihnen das Poulet

Pouletfleisch boomt. Es gilt als leicht und gesund, dazu effizient und umweltfreundlich in der «Herstellung»: Nur 35 Tage und 3,2 Kilo Futter braucht ein Masthuhn, um 2 Kilo schwer und damit «schlachtreif» zu werden. Vor zehn Jahren ass man hierzulande zehn Kilo Poulet pro Person und Jahr, heute sind es schon zwölf. Immer beliebter wird das Huhn im Fastfood: Die Migros hat elf «Chickeria»-Restaurants eröffnet und plant noch neunzehn weitere. Auch Kentucky Fried Chicken will nach zwei gescheiterten Versuchen in die Schweiz zurückkommen.

Alle scheinen zu profitieren: Pouletmast ist heute einer der wenigen Produktionszweige, mit denen sich in der Landwirtschaft Geld verdienen lässt. Die Migros-Fleischfirma Micarna plant zusätzlich zu ihrem überlasteten Geflügelschlachthof im Kanton Freiburg einen zweiten in der Ostschweiz. Er soll die Schlachtkapazität verdoppeln: von dreissig auf sechzig Millionen Poulets im Jahr.

Wenn schon Fleisch, dann Poulet, denken viele, gerade die gesundheitsbewussten, ökologisch bewussten KonsumentInnen aus den Städten. Sie irren sich. Konventionelle Pouletmast ist eine Quälerei, auch in der Schweiz, wo Käfighaltung verboten ist. Die hochgezüchteten Hühner wachsen so schnell, dass ihr Skelett nicht mehr mitkommt. Ihre Knochen verformen sich, sie leiden unter Gelenkschäden, plötzlicher Herztod ist häufig. Gegen Ende ihres kurzen Lebens können die Tiere kaum noch gehen, sie kippen nach vorne, weil die Zucht auf eine grosse Brust ihren Schwerpunkt verschoben hat. Pech für das Huhn: Die Brust ist sein erfolgreichster Körperteil.

Tierquälerei ist nicht das einzige Problem. Vor allem ist Pouletmast keine Landwirtschaft mehr. Sie hat nichts mehr mit dem Kreislauf Pflanze–Tier–Mist–Boden–Pflanze zu tun. Das Futter wird zu zwei Dritteln importiert, und ein Teil des Mists wird wieder exportiert – bis nach Ostdeutschland. Hühnermasthallen sind Industrie, und LandschaftsschützerInnen fordern zu Recht, dass sie in Industriezonen stehen sollen. Der Fachbegriff für heutige Hühner- und Schweinemast ist «bodenunabhängige Landwirtschaft». Ein Widerspruch in sich – natürlich ist sie bodenabhängig. Der Boden ist einfach woanders.

Bei vielen anderen Lebensmitteln käme jetzt der Aufruf: Kauft Bio! Aber nicht beim Poulet. Biopouletmast löst fast keine Probleme: Sie verwendet zwar langsamer wachsende Hühner, die ins Freie dürfen, aber auch diese stammen von internationalen Konzernen. Und der Importanteil des Futters ist sogar noch höher als bei konventionellen Hühnern.

Das Grundproblem der heutigen Hühner- und Schweinemast bleibt auch in der Biomast ungelöst: Sie ist Kalorienvernichtung. Diese Tiere fressen Futter, das auch Menschen essen könnten. Die Konsequenz heisst: Wenn schon Fleisch, dann Rind und Schaf aus Weidehaltung, am besten aus dem Berggebiet (siehe «Angeklagt: Kuh, Schaf und Geiss» in WOZ Nr. 51/2016 ).

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin und wiederholt sich.