Fussball und andere Randsportarten: Meistertitel gefällig?

Nr. 36 –

Etrit Hasler weiss, dass es da draussen für alle eine Sportart gibt

Es gibt Menschen, die glauben, man müsse selber Sport treiben (oder einmal getrieben haben), um darüber schreiben zu können. Ich behaupte, das Gegenteil ist der Fall. Ich zum Beispiel bin die wahrscheinlich unsportlichste Person, die es gibt: Während meiner Schulzeit habe ich mich vor mehr Turnstunden gedrückt als an solchen teilgenommen («Wirklich, Herr Dahinden, mein Hund hat das Turnzeugs gefressen!» – «Ich habe mit deiner Mutter telefoniert. Ihr habt gar keinen Hund.» – «Er ist gestorben, als er versuchte, mein Turnzeugs zu verdauen!») Dass ich schon mit neun Jahren gerne Fussballspiele kommentierte, zeigte zwar eine Faszination für das Genre, aber weil ich damit selbst auf dem Feld nicht aufhörte, wurde ich höchstens in Notfällen eingewechselt. Und dann als linker Torpfosten.

Aber die meisten Menschen, die sich für Sport interessieren, sind selber extrem unsportlich. Oder noch schlimmer: sind nicht mehr so sportlich, wie sie glauben, einst gewesen zu sein. So oder so: Indem wir den Karrieren von SpitzenathletInnen im Stadion oder am Bildschirm folgen, haben wir teil an Erfolgen und Misserfolgen, die wir selber niemals erleben könnten.

Doch eigentlich ist diese Logik im 21. Jahrhundert völlig fehl am Platz. Inzwischen gibt es Sportarten, die so ziemlich jedes Talent, jede noch so singuläre Fähigkeit in einen sportlichen Wettbewerb stellen. Mit ziemlicher Sicherheit kann man sagen, dass die alte Maxime des Kickboxens «Bei so vielen Titeln kann jedeR WeltmeisterIn werden» heute eigentlich für den Sport insgesamt gilt.

Wussten Sie zum Beispiel, dass es Weltmeisterschaften im sogenannten Speedcubing gibt, also dem möglichst schnellen Lösen eines Rubik’s Cube? – Sollten Sie so weit unter dem Durchschnittsalter der typischen WOZ-LeserInnen sein, dass Sie keine Ahnung haben, was der Rubik’s Cube ist, tun Sie das, was Teenager am besten tun: Googeln Sie es. Für alle anderen: Der aktuelle Rekord für den 3x3x3-Felder-Würfel wurde letzte Woche vom fünfzehnjährigen US-Amerikaner Patrick Ponce aufgestellt: 4,69 Sekunden. Soll nochmals einer behaupten, Teenager hingen nur im Internet.

Ein anderes Beispiel ist das weite Feld der sogenannten E-Sportarten – eine etwas euphemistische Beschreibung für gegeneinander Videospiele spielen. Die Spanne reicht dabei von Games, die tatsächlich auf realen Sportarten basieren, wie die diversen EA-Sports-Reihen («Fifa», «Madden Football», «SSX Snowboard») und Ballerspielen (auch bekannt als «Killergames» im Jargon besorgter SozialdemokratInnen) wie «Counterstrike» bis zu Onlinearenen wie «League of Legends». Wie man dem Wort schon anliest, haben E-Sports ähnlich viel mit Sport zu tun wie E-Mails mit handgeschriebenen Briefen, aber auch wenn diese Formate von der Öffentlichkeit gern belächelt werden, haben sie etwas mit Mainstreamsport gemeinsam: Es fliessen Unsummen an Geld. So erklärte das in London basierte E-Team H2K vor kurzem, sich aus der europäischen «League of Legends»-Liga zurückzuziehen, weil es mit seinem Engagement pro Jahr eine Million Euro Verlust mache. Da das Team seit sechs Jahren existiert, muss es also anderswo mindestens sechs Millionen Euro verdient haben.

Sogar ich bin dann ja eines Tages noch in einer Sportart untergekommen – angeheizt von zwei verrückten Luzernern namens Yves Thomi und Matthias Burki, die eine kuriose Form des Dichterwettstreits aus Deutschland in die Schweiz importierten: Poetry Slam. Eine Kunstform, die nicht zuletzt dazu geführt hat, dass selbst ein Dichter, der sonst «ein Dasein als bemitleidenswerter Dorfpoet fristen würde, stets mit selbstgedruckten Heftchen in der Hand, die er auf Strassenfesten an hilflose Rentner verschenkt» (Zitat: facebook.com/slamkritik), plötzlich regelmässig vor ein paar Hundert Menschen stehen darf und das einzige Talent, das er hat, schliesslich als Sport verkaufen kann.

Etrit Hasler ist Sportkolumnist, Slampoet und Sumofan – viel mehr verbindet ihn eigentlich nicht mit Sport. Muss ja auch nicht.