Sechs Statements: Was Frauen zum AHV-Nein sagen

Nr. 39 –

Manuela Honegger, Mascha Madörin, Christine Bühler (1. Reihe, v.l.n.r.); Regula Rytz, Silvia Schenker, Tamara Funiciello (2. Reihe, v.l.n.r.). Fotos: Ursula Häne, Béatrice Devènes, Edi Rieben, LID

Tamara Funiciello, Präsidentin Juso : «Ich glaube an die Kraft einer Bewegung»

«Ich würde am liebsten laut rufen: ‹Ich habs euch ja gesagt!› Zu oft geht vergessen, dass man eine Vorlage gegen den Willen der Frauen nicht durchbringt. Mann, wir sind 51 Prozent der Bevölkerung! Jetzt müssen wir Frauen zusammenstehen und uns gegen die Rentenaltererhöhung wehren. In Zeiten, in denen die bezahlte Arbeit wegen der Digitalisierung stetig abnimmt, ist länger arbeiten sowieso stupide. Ich glaube an die Kraft einer Bewegung. Es hat auch dreissig Jahre gedauert, bis die AHV eingeführt wurde. Damals war das Parlament auch nicht einfach links, und trotzdem hats irgendwann geklappt. Ich bin jung, ich habe Zeit für einen Kampf, der dreissig Jahre dauert.»

Christine Bühler, Präsidentin Schweizerischer Bäuerinnen- und Landfrauenverband, BDP : «Rentenalter 65 könnte eine Chance sein»

«Dass das Rentenalter der Frauen auch in einem neuen Reformanlauf auf 65 erhöht wird, ist wohl allen klar. Ja, es könnte sogar eine Chance sein für die Frauen. Wenn dieses Thema endlich vom Tisch ist, dann kann niemand mehr sagen: ‹Ihr Frauen seid privilegiert, weil ihr ein Jahr weniger arbeiten müsst.› Dann können wir erst recht Lohngleichheit einfordern. Aber ich bin mir auch sicher, dass eine reine Abbauvorlage vor dem Volk keine Chance hat. Ein vernünftiger Ausgleich könnte zum Beispiel eine höhere Minimalrente sein. Das würde vor allem den Frauen zugutekommen, aber auch vielen Landwirten.»

Regula Rytz, Präsidentin Grüne Partei : «Die Frauenbewegung muss erwachen»

«Der Reformkompromiss hätte den Frauen bessere Renten gebracht. Jetzt ist das Risiko gross, dass eine Erhöhung des Rentenalters ohne Ausgleich für die Frauen durchkommt. Machen wir uns keine Illusionen: Im Parlament sind die Bürgerlichen in der Mehrheit. Und das Nein hat die bürgerlichen Hardliner in Bern gestärkt. An einer neuen Reform werden wir hart zu beissen haben. Wir müssen Mehrheiten bis in die Mitte finden. Doch wirkliche Verbesserungen gibt es nur, wenn die Frauenbewegung wieder erwacht und laut wird. Unser erstes Ziel muss die Durchsetzung der Lohngleichheit sein.»

Silvia Schenker, Nationalrätin SP : «Jetzt beginnen die Diskussionen von vorn»

«Wir haben all unsere Energie in den Abstimmungskampf gesteckt. Jetzt beginnen die Diskussionen wieder von vorn. Es liegen ja verschiedene Vorschläge auf dem Tisch – insbesondere was die Frauen betrifft. Eines ist für mich klar: Die Erhöhung des Rentenalters für Frauen darf nicht isoliert vors Volk kommen. Wir sind nach wie vor ökonomisch benachteiligt, verdienen weniger als Männer und erhalten tiefere Renten. Ein Reformpaket muss deshalb unbedingt Massnahmen beinhalten, die den Frauen wieder zugutekommen. Sonst trage ich das Rentenalter 65 auch für Frauen sicher nicht mit.»

Manuela Honegger, «Frauen sagen NEIN zur AV 2020» : «Auf die Parlamentarierinnen können wir uns nicht verlassen»

«Das war ein klares Nein der Frauen: Unser Rentenalter soll nicht erhöht werden! Doch trotz des Sieges habe ich gemischte Gefühle. Ich feiere nicht einfach, denn jetzt beginnt die Arbeit erst recht. Wir müssen dafür sorgen, dass über die Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern und über unbezahlte Arbeit geredet wird. Auch in den Medien. Dafür wollen wir mit einem feministischen Bündnis sorgen. Der Abstimmungskampf hat gezeigt: Auf die linken Parlamentarierinnen können wir uns nicht verlassen. Der Druck muss deshalb von aussen kommen. Aber natürlich suchen wir auch Verbündete in Bundesbern.»

Mascha Madörin, Ökonomin : «Jetzt müssen die Frauen mobilisiert werden»

«Wäre das Rentenalter der Frauen erhöht worden, hätten wir einseitig für die Sanierung der AHV bezahlen müssen. Jetzt, nach dem Nein, müssen die Frauen mobilisiert und aufgeklärt werden, damit eine breite Bewegung entsteht. Wir Frauen müssen für eine nächste Reform ein strategischer Faktor sein, den man nicht mehr einfach übergehen kann. Eine solche Bewegung muss ein gerechteres Rentensystem einfordern. Unbezahlte Arbeit spielt im heutigen Rentensystem eine viel zu kleine Rolle: Es kann doch nicht sein, dass Frauen bis an ihr Lebensende dafür bestraft werden, dass sie den grossen Teil der Care-Arbeit leisten!»