AHV-Nein: Nach der Chance ist vor dem Chaos

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Rentnerbänkli in mässigem Zustand. Foto: Alamy

Unmittelbar nach der Abstimmung über die Altersvorsorge war den Rechtsbürgerlichen die Genugtuung ins Gesicht geschrieben. Sie hatten bei der Beratung der Vorsorgevorlage im Parlament eine äusserst knappe, aber empfindliche Niederlage einstecken müssen: den moderaten Ausbau der AHV. Sie waren beleidigt, sie waren wütend. Das stand jetzt nach dem Nein vom Wochenende im Vordergrund, nicht die angebliche Sorge um die angeblich stark gefährdete Altersvorsorge. Linke Frauen wie die Juso-Präsidentin Tamara Funiciello jubelten und erklärten das Nein zum linken Sieg. Die Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 war für sie inakzeptabel, weil Frauen für gleiche Arbeit immer noch deutlich schlechter bezahlt sind als Männer.

Jetzt herrscht das totale Chaos. Niemand, auch nicht Linksaussen, zaubert unmittelbar nach dem Nein einen halbwegs ausgereiften Plan B aus der Schublade, der eine rasche, mehrheitsfähige Lösung auf den Weg bringt. Der Plan B, das ist ein Begriff der Rechtsbürgerlichen. Er soll den Eindruck erwecken, sie wüssten, was zu tun sei. Es ist ein unausgegorener Abbauplan, der Rentensenkungen zur Folge hätte. Die NZZ, das Zentralorgan der Liberalen, forderte gleich nach der Abstimmung: Rentenalter 67 subito! Es ist die Propaganda eines radikalisierten Freisinns, der mit statistischen Splitterbomben die Altersvorsorge und damit den Sozialstaat in seinem Kern angreift. Und sie auf lange Sicht fern der Lebenswirklichkeit der Mehrheit im Land zu einem Almosenwerk umbauen und die Umverteilungsmechanismen schwächen möchte. Die SVP hält sich bislang geschickt im Hintergrund. Heute ist die FDP eine SVP light (minus das Volk), eine einfallslose Privatisierungs-, Steuersenkungs- und Steuerwettbewerbspartei. Eine Partei ohne Vorstellung vom gesellschaftlichen Wandel und den sozialen Realitäten ausserhalb ihrer Bubble. Ausdruck davon ist ihr Problem mit Frauen. Man könnte auch die Bildungspolitik als Beispiel hernehmen oder die Chancengleichheit, die einst ein Teil ihres Selbstverständnisses war.

Jetzt also muss diese FDP liefern. Besteht sie auf ihrer radikalen Linie, eine Abbauvorlage gegen links, die Mitte und die Bevölkerung durchzusetzen, ist eine Niederlage wahrscheinlich. Der konservative CVP-Parteipräsident Gerhard Pfister, der hinter der Vorlage stand und die Einbindung der Linken in einen Kompromiss für richtig hält, gibt einer rechten Abbaureform wenig Chancen. Denn das Nein zu Bersets Altersreform ist kein eindeutig rechtsbürgerliches Nein. Ohne die linken GegnerInnen oder den auflagenstarken «K-Tipp» hätten sie es nicht geschafft. Berücksichtigen sie die Anliegen der Frauen nicht, die mehrheitlich gegen die Vorlage stimmten (wie auch die Jungen), lassen sie also den sozialen Ausgleich aussen vor, so werden sie auf verlorenem Posten stehen.

Auf der Seite der linken GegnerInnen gräbt man jetzt neue alte Pläne einer Volkspension aus. Die PdA bereitet eine Initiative vor. Auch das linke Nein-Komitee will eine Diskussion über die Pensionskassen führen. Das sind interessante und prinzipiell richtige Diskussionen, aber es ist zu befürchten: Sie sind so wenig mehrheitsfähig wie in den siebziger Jahren. Ohnehin muss sich die Linke zusammenraufen und die Reihen schliessen.

Die realistischste Hoffnung, die aus dem Chaos erwachsen könnte, ist eine partei- und milieuübergreifende Frauenbewegung wie zu Frauenstreikzeiten Anfang der neunziger Jahre. Die grüne Nationalrätin Regula Rytz sagt: «Wirkliche Verbesserungen gibt es nur, wenn die Frauenbewegung wieder erwacht und laut wird.»

Die Kompromissvorlage war nicht so kompliziert wie behauptet: Sie hätte – solide gegenfinanziert – die Frühpensionierung auch für sozial Schwächere ermöglicht, sie brachte Frauen Vorteile, und sie beharrte auf dem solidarischen Charakter der AHV. Und die moderate Erhöhung der AHV-Renten wäre ausserdem ein fortschrittliches linkes Signal an einen reichen Kontinent gewesen, auf dem alle Zeichen auf Rentenaltererhöhung und Rentenabbau stehen.