Durch den Monat mit Brühlmann und Locher (Teil 1): Wer von euch kritisiert besser?

Nr. 44 –

Zwei Wochen vor dem Filmfestival in Locarno kam ihr zweites Kind zur Welt. Seither eilen Lisa Brühlmann mit ihrem Film «Blue My Mind» und Dominik Locher mit «Goliath» von Premiere zu Premiere.

Er: «Ich kann Kritik besser formulieren, sie kann sie besser aufnehmen.» – Sie: «Aber ich kann schon auch gut kritisieren.» – Er: «Ja, kritisieren kannst du gut.»

WOZ: Erst die Weltpremiere von «Goliath» in Locarno, dann Weltpremiere von «Blue My Mind» in San Sebastián, nach weiteren Festivals jetzt ein doppelter Kinostart innerhalb von drei Wochen: Wie gehts der Familie?
Dominik Locher: Mega gut. Die Familie, die Liebe, die Beziehung: Das alles ist sehr schön im Moment. Es bedeutet zwar viel Stress mit den Premieren – auch psychischen Stress, weil man ja nie weiss, wie die Filme ankommen werden. Aber gleichzeitig sind wir nicht allein und können einander dabei unterstützen und auch auffangen. Oder wie siehst du das?

Lisa Brühlmann: Finde ich auch. Natürlich ist es viel, aber der Dreh selber war viel stressiger. Da bist du einfach weg, auf dem Set. Jetzt versuchen wir, es zu geniessen. Gleichzeitig sind wir beide die Typen, die schon wieder daran herumstudieren, was wir als Nächstes machen wollen. Wir haben diesen inneren Drang, gleich weiterzumachen.

Locher: Ja, wir arbeiten beide sehr gerne. Wobei es mir momentan noch schwerfällt, am neuen Stoff zu arbeiten. Wenn mein Film in Busan oder São Paulo läuft, interessiert mich natürlich sehr, was die Leute in Korea davon denken und ob der Film am anderen Ende der Welt genauso berühren kann wie hier.

«Goliath» ist ein Film über einen werdenden Vater, der sich zur Kampfmaschine aufputscht, in «Blue My Mind» wandelt sich ein Mädchen in der Pubertät zu einem sehr realen Fabelwesen – beides Filme über Geschlechterbilder und Metamorphosen. Ist das Zufall?
Brühlmann: Wahrscheinlich ist es kein Zufall, aber wir haben die Filme nicht bewusst auf diese Ähnlichkeit hin geschrieben. Ich schreibe aus dem Bauch, dann schaue ich drauf und versuche, die Thematik zu vertiefen.

Locher: Beide Stoffe sind ja um deine erste Schwangerschaft herum entstanden, als ich ins Fitnessstudio ging und auch anfing, mich zu verändern. Und so eine Schwangerschaft ist ja eine riesige körperliche Veränderung, schon rein äusserlich.

Brühlmann: Du meinst, meine Schwangerschaft hat uns zu den Filmen inspiriert?

Locher: Vielleicht! Ist möglich.

Der Körper der werdenden Mutter als Keimzelle für beide Filme?
Brühlmann: Für mich war es eher so, dass wir schon tief in unseren Stoffen drin waren, als wir erst merkten, wie viele Parallelen es da gibt: die Sache mit dem Körper, mit dem Druck, der auf den Figuren lastet …

Locher: … ihre Unsicherheit. Eine gewisse Explosivität auch und eine archaische Unbeherrschtheit.

Es gab ja sicher von Anfang an einen regen Austausch unter euch. Wie gross war der Einfluss auf den Film der Partnerin, des Partners?
Locher: Sehr gross natürlich. Beim Casting zum Beispiel: Da schauten wir immer zusammen die Castingvideos und gaben uns dann gegenseitig Feedback. Kernentscheidungen habe ich immer mit Lisa diskutiert.

Brühlmann: Wobei du es dann oft nicht so gemacht hast, wie ichs dir gesagt hatte. (Lacht.) Der Austausch ist intensiv, klar. Aber am Ende muss man selber schauen. Jeder Regisseur hat ja doch immer eine eigene Vision. Wenn Dominik jetzt «Blue My Mind» gemacht hätte, wäre das ein ganz anderer Film geworden. Und wenn ich «Goliath» gemacht hätte, genauso.

Müsst ihr auch mal sagen: «Stopp, das ist mein Film, hör mal auf, mir ins Zeug zu pfuschen!»?
Brühlmann: Nein, so sind wir nicht, dass wir uns einmischen. Es ist mehr so, dass der andere nachfragt, um eine zweite Meinung einzuholen. Etwa bei dem einen Abspannlied für «Goliath», da sagte ich: «Nimms unbedingt!» Und du wolltest es ja auch. Aber in gewissen Punkten hat man einfach eine andere Meinung.

Locher: «Goliath» ist für mich ja auch ein Film über das Scheitern von Kommunikation. Das ist sicher auch persönlich inspiriert, weil wir beide einen Weg finden mussten, wie wir zusammen kommunizieren. Am Anfang war ich bei allem, was Lisa sagte, immer gleich auf 180, weil ich alles als Kritik auffasste. Da mussten wir erst eine gemeinsame Sprache finden: Wie redet man miteinander? Wie hört man dem anderen zu? Was meint sie mit ihrem Feedback? Sie will mir ja helfen, sie macht es nicht, um mich fertigzumachen.

Wenn es um eure eigene Arbeit geht: Wer von euch kann besser kritisieren?
Brühlmann: Ich glaube, es geht mehr darum, wer besser Kritik aufnehmen kann.

Locher: Ich kann besser formulieren, sie kann besser aufnehmen. (Beide lachen.)

Brühlmann: Aber ich kann schon auch gut kritisieren.

Locher: Ja, kritisieren kannst du gut. (Beide lachen.) Aber wir haben uns zum Beispiel darauf geeinigt, dass wir immer zuerst etwas Positives sagen.

Gibt es Momente, wo es vor allem mühsam ist, dass ihr beide den gleichen Beruf habt?
Brühlmann: Nein, ich könnte mir nicht vorstellen, wenn er etwas ganz anderes machen würde. Die Kunst und die Filme sind ein so grosser Teil unseres Lebens. Wir leben so sehr in diesen Geschichten – ich will gar nicht nach Hause und abschalten. Es ist kein Beruf, bei dem man abschalten will. Aber vielleicht sollten wir mal.

Lisa Brühlmann (36) hat mit «Blue My Mind» ihr Studium an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen, Dominik Locher (35) mit «Goliath». Ihr Film kommt am 9. November ins Kino, seiner am 30. November.