Durch den Monat mit Lisa Brühlmann (Teil 2): Wie haben Sie die Zweifel zerstreut?
Wenn es zu sehr um Macht geht, kann keine gute Kunst entstehen: Filmemacherin Lisa Brühlmann über die Arbeit an ihrem Erstling «Blue My Mind». Und über zudringliche Lehrer an der Schauspielschule.
WOZ: Lisa Brühlmann, in Ihrem Film «Blue My Mind» verwandelt sich das Mädchen Mia in ein Fabelwesen. Wie oft hat man versucht, Ihnen diese Geschichte auszureden?
Lisa Brühlmann: Sagen wir so: Es haben nicht alle immer positiv reagiert (lacht). Aber meine wichtigsten Mitarbeiter konnten meine Vision sofort teilen, mein Kameramann etwa. Auch bei den Förderstellen bin ich zum Glück auf Anklang gestossen. Andere konnten sich das alles nicht so richtig vorstellen. Oder sie fragten sich, ob die Verwandlung nicht viel zu aufwendig sei, was die Effekte angeht.
Wie haben Sie diese Zweifel zerstreut?
Mit dem Weisser-Hai-Prinzip: einfach so wenig wie möglich zeigen – aber das dann richtig gut. Und alles rausschneiden, was nicht absolut überzeugend ist. Mir war immer klar, wie ich diese Geschichte umsetzen muss, damit sie nicht absurd oder lächerlich wirkt.
War auch immer klar, dass Sie Mias Verwandlung so schmerzhaft konkret zeigen wollen?
Dass es real ist, meinen Sie? Ja, das war mir wichtig. Sonst wäre alles nur ein Traum, und das wäre mir zu einfach gewesen. Aber ich fands schon auch spannend, mit dem Publikum zu spielen, sodass man sich vielleicht fragt: Spinnt sie jetzt, ist sie psychisch krank? Das ist ein Gefühl, das man als Jugendliche ja auch kennt: Spinne ich jetzt?
Was war bis jetzt die bizarrste Reaktion auf «Blue My Mind»?
Ein Beispiel, wo ich mich missverstanden fühlte: Jemand hat den Film so gelesen, dass sich Mia durch ihre Verwandlung der Sexualität entzieht, weil sie mit der Flosse keinen Sex mehr haben kann. Das war mir sogar schon beim Schreiben bewusst gewesen, dass man das als Abkehr von der Sexualität sehen kann. Aber Mia ist ja doch eine Figur, die in der Sexualität nach einem Ausweg sucht, nach einer Freiheit – nur findet sie diese dort dann auch nicht.
Sie waren selber Schauspielerin, bevor sie zur Regie wechselten. Inwiefern hilft Ihnen diese Erfahrung, wenn Sie jetzt auf dem Set stehen?
Sie hilft mir nur schon, weil ich als Schauspielerin unzählige Sets erlebt habe. Wenn man zum ersten Mal auf einem Filmset steht, meint man noch, dass es sehr klare Strukturen gibt: Genau so muss das gemacht werden. Aber je mehr Drehs man erlebt, umso mehr sieht man, dass es auch Regisseure gibt, die alles ganz anders machen – zum Beispiel, dass einer bei einer Actionszene laut Techno laufen lässt zwischen den Takes. Man muss immer schauen, was das Beste ist für den Film und für die Schauspieler – um sie auch zu schützen und ihnen den Raum zu geben, den sie brauchen. Bei einem Dreh ist ja genau getaktet, wie viel Zeit du für welche Szene aufwenden darfst, damit du rechtzeitig fertig wirst. Da muss ich schauen, dass in diesem Rahmen noch Kunst entstehen kann.
Was tun Sie dafür?
Zum Beispiel kommen zwischen den Takes oft gleich die Maskenbildner, um nachzuschminken. Das hat mich schon als Schauspielerin gestört. Und es stört mich jetzt auch als Regisseurin. Da verpufft immer Energie, das brauchts einfach nicht.
Kommt Ihnen die Erfahrung als Schauspielerin auf dem Set auch mal in die Quere?
Nein. Es hilft alles, was man früher gemacht hat. Ich kenne jemanden, der früher Jus studiert hat und jetzt Drehbücher schreibt. Das hilft natürlich, wenn er schon mal im Gerichtssaal war.
Ein Set ist ja auch ein Machtgefüge, und Sie kennen beide Seiten. Sind Sie deshalb besonders sensibilisiert dafür, was den Umgang mit der Crew angeht?
In der Art, wie ich arbeite, geht es gar nicht so sehr um Macht. Sondern darum, einen Raum zu schaffen, in dem man auch Risiken eingehen kann. Wenn es zu sehr um Macht geht, getrauen sich gewisse Schauspieler gar nicht, über die Grenzen zu gehen. Abgesehen davon suche ich mir immer Leute aus, die mir sympathisch sind und mit denen ich gerne arbeiten möchte. Ich weiss schon, das ganze Leben ist ein Statusspiel. Aber dass man einen Schauspieler nimmt, mit dem man sich nicht gut versteht: Diesen Fehler macht man genau einmal.
Die Filmindustrie zeigt jetzt gerade wieder ihre hässliche Seite als Hort sexueller Ausbeutung. Was ging Ihnen durch den Kopf, als der Fall von Harvey Weinstein ins Rollen kam?
Ich fands natürlich extrem schlimm. Gleichzeitig hat es mich nicht überrascht, weil man ja aus Hollywood immer wieder solche Geschichten hört.
Sind Ihnen die Schilderungen von Ashley Judd und anderen Kolleginnen annähernd vertraut?
Mir ist zum Glück nie so etwas passiert. Jedenfalls nie mit einer mächtigeren Person. Sicher, es ist schon vorgekommen, dass mich ein Schauspielerkollege blöd anmachte, als wir eine Szene drehten. Und an der Schauspielschule gab es einen Lehrer, der immer wieder mit Studentinnen anbandelte und ihnen dann eine bessere Bewertung nach dem Rollenvorspiel gab. Aber gerade in der Schweiz sind die Machtverhältnisse in der Filmbranche nicht so extrem. Im Gegenteil: Beim Film habe ich immer viel Respekt erfahren. Im Alltag, vor allem als junge Frau, habe ich viel mehr Übergriffe erlebt.
Lisa Brühlmanns Erstling «Blue My Mind» läuft ab 9. November im Kino (vgl. Filmtipp Seite 24). Nächste Woche treffen wir Brühlmann hier wieder zusammen mit Ehemann Dominik Locher.