Gesundheitspolitik: Aufschrei der Profiteure

Nr. 44 –

Wer sich gegen Globalbudgets im Gesundheitswesen wehrt – und warum.

Letzte Woche präsentierten Peter Strupler, Direktor des Bundesamts für Gesundheit, und Bundesrat Alain Berset Vorschläge zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Dabei stützten sie sich auf den Bericht einer international besetzten ExpertInnengruppe unter der Leitung der ehemaligen Nationalrätin und Zürcher Gesundheitsdirektorin Verena Diener.

Unter den 38 Massnahmen, die die ExpertInnengruppe vorschlägt, gibt seither vor allem eine zu reden: die Idee der sogenannten Globalbudgets. Auffallend dabei ist, wie durchwegs entschieden diese von den grossen Playern im Gesundheitswesen abgelehnt werden: Der ÄrztInnenverband FMH und der Verband der Spitäler zeigen sich in ihren Reaktionen ebenso alarmiert wie die Schweizerische Stiftung Patientenschutz, der Krankenkassenverband Santésuisse und die Pharmabranche mit ihren Verbänden Interpharma und Pharmasuisse.

In ihrer gemeinsamen Medienmitteilung begründen sie ihre Ablehnung damit, dass Globalbudgets zu Wartezeiten, Rationierungen und einer Zweiklassenmedizin führen würden. In ihren Augen wäre es bei einem gedeckelten Budget nicht mehr möglich, alle notwendigen Leistungen gegenüber allen PatientInnen zu erbringen: «Es wäre die Abkehr vom solidarisch gelebten Gesundheitssystem in der Schweiz.» Womit wir es mit der bemerkenswerten Situation zu tun haben, dass sich die Pharmaindustrie als Verteidigerin eines solidarischen Gesundheitswesens aufspielt, derweil im Kanton Waadt unter der Federführung des sozialdemokratischen Gesundheitsdirektors Pierre-Yves Maillard bereits im Rahmen solcher Globalbudgets gearbeitet wird, wie auch in den Kantonen Genf und Tessin.

Und nun also erwägt der Bund, solche Globalbudgets gesamtschweizerisch einzuführen. Dabei verweist er auf Studien, die von einem Einsparungspotenzial ohne Qualitätsreduktion von rund zwanzig Prozent ausgehen: so etwa bei zu teuren Medikamenten sowie bei «nicht begründeten» Behandlungen.

Grundsätzlich bedeuteten Globalbudgets, dass der Bund gegenüber ÄrztInnen, Spitälern, Pharmaunternehmen und Krankenkassen Zielvorgaben für einen Zeitrahmen von mehreren Jahren festsetzen würde. Im heutigen System zahlen die Kantone 55 Prozent der Behandlungskosten der stationären Eingriffe, 45 Prozent werden von den Krankenversicherern über Prämien vergütet. Im Fall eines Globalbudgets würde der Kanton – so zumindest praktiziert es die Waadt – seinen Anteil nicht mehr überweisen, sobald ein Spital sein Budget überschritten hat.

Die Beispiele aus Genf und aus der Waadt zeigen, dass ein Globalbudget nicht zwingend negative Auswirkungen auf die PatientInnen haben muss. Zumindest nicht, wenn es um notwendige Behandlungen geht. In Genf allerdings sind solche nur deshalb garantiert, weil der Kanton gemäss Kantonsverfassung ein allfälliges Defizit übernehmen muss. Im Kanton Waadt wiederum, indem ein betroffenes Spital auf Reserven zurückgreifen kann.

Bevor es nun aber darum geht, inwieweit Globalbudgets zu einer Zweiklassenmedizin führen würden, sollte eine andere Frage beantwortet werden: die nämlich, was genau in erster Linie die Kosten im stationären Bereich in den letzten Jahren derart ansteigen liess. Dabei sollte das Hauptaugenmerk speziell auf jene Eingriffe gelegt werden, die durch das 2012 eingeführte Fallpauschalensystem besonders lukrativ geworden sind – und die deshalb insbesondere in privaten und teilprivatisierten Spitälern aus rein unternehmerischen Gründen so häufig wie nur möglich durchgeführt werden.

Die Idee von Globalbudgets bietet eine gute Grundlage zur Diskussion darüber, wie die heute bestehenden Fehlanreize zu Mengenausweitungen ausgeräumt und unnötige oder die PatientInnen gar gefährdende Behandlungen verhindert werden können.

Vielleicht traf Verena Diener ja einen Nerv, als sie zum kollektiven Aufschrei von Spitalleitungen, Krankenkassen und der Pharmaindustrie gegenüber «Echo der Zeit» im Schweizer Radio sagte: «Die Profiteure im jetzigen System sind die Ersten, die sich zu Wort melden.»