Swiss Lobby Award 2019 – Krankenkassen: Für unser aller Wohl
Welche Partei ist die grösste in Bern? Die Partei der KrankenkassenvertreterInnen! Der Witz, der im Bundeshaus kursiert, sagt zweierlei aus: In keiner Branche wird so viel Lobbyismus betrieben wie im Gesundheitswesen. Und der Umgang damit ist vielen nur ein müdes Lächeln wert.
Um mehr Transparenz zu schaffen, hat die WOZ den Swiss Lobby Award ins Leben gerufen: In den Kategorien Rüstung, Krankenkassen und Banken prämieren wir die drei grössten LobbyistInnen. Ausgehend von der Datenbank des Vereins Lobbywatch bewerteten wir die ParlamentarierInnen nach verschiedenen Kriterien.
Sitzen sie im Verwaltungsrat von Krankenkassen, sind sie in Interessengruppen aktiv? Wem geben sie ihren Bundeshausbadge? Welche Rolle spielen sie in den Gesundheitskommissionen? Wie viele Vorstösse reichten sie ein? Und waren sie bei einem der wichtigsten Geschäfte der Legislatur aktiv: dem Ärztestopp, der 2015 die Kosten auf der Angebotsseite zum Nutzen der Versicherten eindämmen sollte? FDP und SVP waren dagegen.
Pro Kriterium gab es maximal 20 Punkte. Um die Rechnung am Beispiel des Siegers zu zeigen: Heinz Brand erhielt 20 Punkte als Präsident des Krankenkassenverbands, 10 für seine Badgevergabe an die Santésuisse-Direktorin, 15 für den Einsitz in der Gesundheitskommission, 10 für seine mittlere Anzahl Vorstösse und 15 für die Ablehnung des Ärztestopps.
Diese Vorlage zeigt, dass die Interessen der GesundheitslobbyistInnen häufig übers Kreuz gehen. Die Zweitplatzierte, Ruth Humbel von der CVP, und der Drittplatzierte, Lorenz Hess von der BDP, unterstützen sie. Inzwischen gilt ein Moratorium. Je nach Einschätzung ist für die Versicherungen gut, was auch im Sinne der Versicherten oder der Pharmaindustrie ist.
In seinem Selbstverständnis hat Gewinner Brand nur für das Wohl der Versicherten lobbyiert. Auf die Mitteilung, dass er den Award gewonnen hat, schreibt er: «Ich nehme gerne zur Kenntnis, dass mein stetes Engagement gegen immer höhere, bald untragbare Kosten zur Kenntnis genommen wird. Für die arg geplagten Prämienzahlerinnen und -zahler ist dies nötiger denn je!»
Platz 1: Heinz Brand (SVP)
Der Wandelbare
Die Wandlung ist spektakulär, die Heinz Brand in den letzten vier Jahren vom Asyl- zum Gesundheitspolitiker hingelegt hat. Lange galt er als migrationspolitischer Hardliner in der SVP, umgänglich im Ton, knallhart in der Sache. 2015 wollte der frühere Bündner Chefbeamte etwa eine Asylinitiative lancieren, die darauf abzielte, alle Flüchtlinge abzuweisen, die über ein sicheres Drittland einreisen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Idee von Christoph Blocher persönlich gestoppt wurde: Der wollte lieber auf die Antimenschenrechtsinitiative setzen, die sich später an der Urne als reichlich erfolglos erwies. Und vermutlich hätte Brand auch Magdalena Martullo-Blocher die Show gestohlen, die im Wahljahr 2015 gerade zum Sprung von Domat/Ems nach Bern ansetzte.
Zum Glück für ihn hatte sich Brand da schon politisch neu positioniert. Ein Jahr zuvor konnte er das Präsidium von Santésuisse übernehmen, dem mitgliederstärksten Verband der Krankenversicherer. Als Präsident verdient Brand gemäss dem Wirtschaftsmagazin «Bilanz» jährlich 100 000 Franken. Auch mit einem seiner beiden Badges verleiht er dem Verband Zutritt zum Bundeshaus: Die Zugangsberechtigung ist auf Verena Nold Rebetez ausgestellt, die Direktorin von Santésuisse.
Die thematische Verschiebung von Brand zeigt sich auch in seinen Vorstössen: Bis zur Hälfte der Legislatur finden sich noch migrationspolitische Anfragen, so etwa zu den rechtlichen Grundlagen von Grenzbefestigungsanlagen. Danach dominiert nur noch die Gesundheitspolitik. So forderte Brand einen «Innovationsartikel», der es den Krankenkassen erlaubt hätte, neue Versicherungsmodelle zu testen. Ziel: die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, sprich eine höhere Rentabilität der Kassen. Auf der praktischen Ebene forderte er gleich zweimal einen Datenaustausch zwischen den Gemeinden und den Krankenkassen, um die Krankenversicherungspflicht einfacher durchzusetzen.
Brand, der in der Gesundheitskommission des Nationalrats sitzt, unterstützte auch einen der grössten Coups, den die rechtsbürgerliche Mehrheit aus SVP und FDP erreichte, die zwischenzeitliche Aufhebung des Ärztestopps. Oder, wie das Ziel von Santésuisse lautet: für ein freiheitliches Gesundheitssystem mit Leistungswettbewerb.
Rating: 70 Punkte. Vernetzung: 20. Badge: 10. Kommission: 15. Wichtigstes Geschäft: 15. Vorstösse: 10.
Platz 2: Ruth Humbel (CVP)
Die Vernetzte
Die Rechnung von Ruth Humbel ist recht einfach: Wer gesünder lebe, solle auch weniger Krankenkassenprämien zahlen, forderte die CVP-Nationalrätin letztes Jahr. Denn bisher gebe es «versicherungstechnisch keinen Anreiz, sich gesund zu verhalten». Im Parlament war Humbels Idee umstritten; die Concordia, in deren Verwaltungsrat sie sitzt, dürfte der Vorstoss hingegen gefreut haben.
Neben den Interessen der Versicherung vertritt die Aargauerin auch die von zwei Privatkliniken und ist Mitglied zahlreicher Stiftungsräte. Insgesamt hat sie zwölf Mandate im Gesundheitsbereich. Das ist kein Zufall: «Ich habe absichtlich verschiedene Mandate angenommen, um in alle Facetten des Gesundheitswesens Einsicht zu haben», sagte sie einmal. In dem Bereich gehe es ihr in erster Linie um «Fairness, Solidarität und Eigenverantwortung», verkündete Humbel an anderer Stelle.
Bei den Vorstössen gehört Humbel, die mehrfache Schweizer Meisterin im Orientierungslauf ist, zu den Zielstrebigsten: So setzt sie sich etwa für eine Quartalsfranchise ein, die verhindern würde, dass PatientInnen am Jahresende noch möglichst viele Behandlungen in Anspruch nehmen. Die 62-Jährige präsidiert zudem die «Interessengemeinschaft Seltene Krankheiten». Was ganz harmlos nach PatientInnenorganisation klingt, fungiert als Drehscheibe zwischen der Pharmaindustrie, ÄrztInnen und Spitälern. Betrieben wird die Gruppe von der Berner PR-Agentur Furrerhugi.
Trotz ihrer grossen Verdienste für die Krankenkassen gibt sich die Vizepräsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission gerne bescheiden. «Man verdient sich keine goldene Nase mit Mandaten im Gesundheitsbereich», meinte Ruth Humbel letzten Freitag in der SRF-«Arena». Und: «Gäbe es die Lobbyisten nicht, müsste man in der Gesundheitskommission Pflichtkurse einführen.» Da werde ins Blaue hinaus geplaudert, «ohne Hand und Fuss».
Ein Glück, kann Humbel mit ihrem Fachwissen zur Steigerung des Niveaus beitragen!
Rating: 60 Punkte. Vernetzung: 10. Badge: 0. Kommission: 20. Wichtigstes Geschäft: 10. Vorstösse: 20.
Platz 3: Lorenz Hess (BDP)
Der Topverdiener
Dass Mandate für Krankenkassen äusserst lukrativ sind, zeigt sich beim Drittplatzierten: dem BDP-Nationalrat Lorenz Hess. Als Verwaltungsratspräsident bei der Visana, einer der grössten Versicherungen im Land, verdient er 140 000 Franken pro Jahr. Zudem sitzt der BDP-Mann seit 2011 in der Gesundheitskommission. Er kann also den gesetzlichen Rahmen für die Krankenkassen direkt prägen.
Ein Problem sieht der Berner in seiner Interessenbindung nicht. Man dürfe die Lobbysache nicht allzu heiss kochen, verkündete er letzten Freitag in der «Arena». Schliesslich habe auch er im Parlament lediglich eine Stimme. Als Krankenkassenlobbyist weibelte Hess unter anderem für das elektronische Patientendossier, das die Effizienz im Gesundheitswesen steigern und die Kosten für die Versicherer senken soll. Passend dazu sein Motto als Vizepräsident der BDP: «Ein bisschen was geht immer.»
Wie erfolgreiche PR aussieht, hat der ehemalige Gemeinderat von Stettlen im Kanton Bern von der Pike auf gelernt – und auch im Gesundheitswesen kennt er sich bestens aus. Nach einer Station bei der Berner Polizei wechselte der Oberst der Infanterie als Kommunikationschef ins Bundesamt für Gesundheit und widmete sich anschliessend bei der internationalen Agentur Burson-Marsteller dem Thema «Health Care and Life Sciences». Seine eigene PR-Firma wurde später von Furrerhugi übernommen, für die Hess heute als Berater tätig ist.
Dass Hess ein Mann der vielen Talente ist, zeigt sich in jenen seiner Mandate, die einem gesunden Lebensstil eigentlich zuwiderlaufen. So ist er Präsident der wenig bekannten parlamentarischen «Informationsgruppe Erfrischungsgetränke», in deren Vorstand auch die VertreterInnen von Red Bull und Coca-Cola sitzen. Die AlkoholproduzentInnen können ebenfalls auf Hess zählen, wenn es um Auflagen bei ihrer Werbung geht. Wie auch immer, am liebsten geht Hess sowieso auf die Jagd und setzt sich für die Anliegen der JägerInnen ein. In diesem Sinn: Gesundheit! Prost! Weidmanns Heil!
Rating: 55 Punkte. Vernetzung: 20. Badge: 0. Kommission: 15. Wichtigstes Geschäft: 10. Vorstösse: 10.
In der nächsten WOZ: Die Bankenlobby.