Sachbuch: Sie wollen keine armen Würmchen sein
Mit «Fremd in ihrem Land» fühlt sich Arlie Russell Hochschild tief in die Befindlichkeit der US-Rechten ein. Das ist mutig, geht aber nicht weit genug.
Mit Emotionen kennt sich Arlie Russell Hochschild aus. Seit den achtziger Jahren untersucht die mittlerweile 77-jährige US-Soziologin die Bedeutung von Gefühlen für moderne Arbeitsprozesse und prägte unter anderem den Begriff der «Emotionsarbeit».
Für ihre jüngste Studie, in der es um die emotionalen Wurzeln politischer Überzeugungen geht, begab sich Hochschild mit Haut und Haar in ein Milieu, das die meisten Liberalen scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Sie erforschte über fünf Jahre hinweg im Bundesstaat Louisiana, was Tea-Party-AnhängerInnen umtreibt, und versuchte dabei ernsthaft, aus ihrer eigenen, linksliberalen «politischen Blase» herauszutreten und die «Empathiemauer», die rechte und linke Milieus trennt, zu überwinden.
Beeindruckend ist nicht nur, wie engagiert sie sich auf ihr Thema einlässt, sondern auch der Fleiss dieser Studie. Hochschild befragte sechzig Personen, sammelte 4000 Seiten Interviewmaterial und belegt ihre Aussagen anhand statistischer Daten, was ihrem doch sehr emotionalen Buch ein solides Fundament gibt.
Aus linker Sicht irrational
Hochschild setzte ein bei einem augenfälligen Paradox: Louisiana ist der zweitärmste Bundesstaat der USA, erhält 44 Prozent seines Budgets aus Bundesmitteln, leidet durch die Ölindustrie unter extrem hoher Umweltverschmutzung, und die Lebenserwartung liegt weit unter dem US-Durchschnitt. Trotzdem wählen die Menschen hier eine Partei, die staatliche Unterstützung ablehnt, die Ölindustrie hofiert, den Klimawandel leugnet und Umweltschutzbestimmungen lockert. Umwelt ist das «Schlüssellochthema», mit dem Hochschild sich diesem Paradox nähert, und ihre ausführlichen Recherchen, die Faktenmaterial und Erfahrungsberichte zusammenfügen, machen ihre Studie auch zu einem Buch über die katastrophale Naturverschmutzung im Mündungsgebiet des Mississippi.
Wir lesen von durch Chemikalien verseuchten Flüssen, erblindeten Schildkröten, kleineren und gigantischen Industrieunfällen, vergifteten und verätzten Menschen und Tieren. Dass sich die Bevölkerung hier ausgerechnet der Tea-Party anschliesst, klingt aus linker Sicht irrational. Doch Hochschild glaubt nicht, dass ihre InterviewpartnerInnen schlicht dumm sind oder getäuscht werden, eher vermutet sie, dass sie selbst immer noch auf ihrer Seite der Empathiemauer steckt.
Also konstruierte sie eine «Tiefengeschichte», von der sie annahm, dass ihre Gewährsleute sich in ihr wiederfinden: Vielleicht fühlten sie sich ja wie Menschen, die geduldig in einer Warteschlange stehen, an deren Ziel der amerikanische Traum liegt, Wohlstand und Fortschritt. Doch plötzlich drängen sich von hinten welche vor. Hochschild gab diese erfundene Geschichte ihren InterviewpartnerInnen zu lesen, und diese stimmten zu. Genau so fühlten sie sich: Sie hätten immer hart gearbeitet, sich nie beklagt, und nun hofiere der Staat andere, Unterprivilegierte, die plötzlich schneller vorrückten und mit denen man auch noch Mitleid haben solle. Vor allem die älteren weissen Männer der unteren Mittelschicht fühlen sich verraten.
Die konservative Tiefengeschichte ist eine des Durchhaltens, des Arbeitsethos und der Entwertung. Es ist aber auch eine Geschichte von Scham und Wut. Ihr liegt – und das ist der interessanteste Punkt – ein emotionales Dilemma zugrunde: «‹Opfer› ist das letzte Wort, das meine Tea-Party-Freunde aus Louisiana auf sich anwenden würden», schreibt Hochschild. «Doch angesichts des Verlusts ihrer Häuser, ihres Trinkwassers und sogar ihrer Arbeitsplätze […] gibt es kein anderes Wort dafür: Sie sind Opfer.» Weil sie aber fest an den Fortschritt glaubten und keinesfalls «arme Würmchen» sein wollten, hätten sie keine Möglichkeit, Trauer auszudrücken.
Wenig erstaunliches Fazit
Genau diesen emotionalen Kern spreche die Tea Party an – und Donald Trumps Slogan «Make America great again» wiederum löse eine entlastende Euphorie aus. Sie aufrechtzuerhalten werde zu einem «emotionalen Eigeninteresse» und sei das sehr starke Motiv, rechtskonservative KandidatInnen zu wählen.
Hochschilds Buch ist lesenswert. Dennoch bleibt bei all dem Aufwand, den sie betreibt, das Fazit unterm Strich wenig erstaunlich. Die Autorin kommt ihren Gewährsleuten, die sie immer wieder «meine Freunde» nennt, sehr nahe. In reportageartigen Sequenzen erzählt sie, wie sie mit ihnen beim Tee sitzt, politische Versammlungen oder Gottesdienste besucht. Doch diese Empathiemethode bleibt insgesamt zu nah am Objekt: Mit ihr lässt sich viel verstehen, aber stellenweise zu wenig erklären. Man hätte sich gewünscht, dass Hochschild weiterfragt, etwa warum die rechten Milieus auf die eigene Benachteiligung mit Bewunderung der Mächtigen statt mit Widerstand reagieren. Ebenfalls nicht vertieft wird die Feststellung, die Rechten wollten sich vom linksliberalen Milieu nicht vorschreiben lassen, was sie zu fühlen hätten. Vielleicht treffen die Rechten hier wirklich einen Punkt.
Hochschild verlässt ihre empathisch-deskriptive Perspektive kaum: Sie verfolgt als politisches Anliegen, dass Rechte und Linke sich gegenseitig verstehen mögen, auf dass der «Riss», der derzeit durch die USA gehe, sich wieder schliesse. Die Ängste und Beunruhigungen, so Hochschild, seien eigentlich auf beiden Seiten dieselben: Sie gälten dem Umgang mit dem globalen Kapitalismus. Nur die emotionalen Tiefengeschichten der rechten und linken Milieus seien verschieden. Nur? Vielleicht ist dieser Unterschied doch relevanter, als Hochschild es sich wünschen möchte.
Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Bischoff. Campus-Verlag. Frankfurt am Main 2017. 429 Seiten. 42 Franken