Medikamentenpreise: Gewinne wie im Drogenhandel

Nr. 21 –

Zehn Millionen Menschenleben könnten weltweit pro Jahr gerettet werden, wenn der Zugang zu medizinischer Versorgung verbessert würde. Die NGO Public Eye fordert den Bund zum Handeln auf.

Am Dienstag dieser Woche lancierte die entwicklungspolitische NGO Public Eye eine neue Kampagne: «Patienten statt Patente schützen – für bezahlbare Medikamente!» Die Krebsliga ist mit an Bord, gemeinsam mit renommierten ExpertInnen aus Medizin und Politik.

Zwei Milliarden Menschen – fast ein Drittel der Weltbevölkerung – haben laut den Vereinten Nationen keinen Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten. Zehn Millionen Leben könnten pro Jahr gerettet werden, wenn der Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessert würde.

Schuld an diesem unnötigen Sterben sind laut Oliver Classen von Public Eye unter anderem die hohen Medikamentenpreise. Viele Länder im Globalen Süden können sich die patentierten Medikamente von Pharmakonzernen – etwa die der Basler Multis Novartis und Roche – nicht leisten. Deren Patente verzögern jedoch, dass Generika auf den Markt kommen, also identische Arzneimittel, die aber nicht patentiert und deshalb günstiger sind.

«Als Pharmastandort ist die Schweiz eine aggressive Lobbyistin für Patentrechte», sagt Classen. «Dabei gäbe es mit den Zwangslizenzen seit 24 Jahren ein wirksames Instrument gegen zu hohe Medikamentenpreise.»

Seit 1994 regelt das Trips-Abkommen das internationale Patentrechtsystem. Zwangslizenzen sind Teil des Abkommens. Sie erlauben den Mitgliedstaaten – wenn nötig –, Generika zu beziehen, um die Bevölkerung trotz teurer Pharmapatente mit wichtigen Medikamenten versorgen zu können. Zwangslizenzen sind ein legitimes Rechtsmittel. Sie beinhalten auch Kompensationszahlungen an die PatentinhaberInnen.

Dennoch ist die Praxis schwierig: Weil sich Kolumbien ein teures Krebsmedikament von Novartis nicht leisten konnte, strebte das Land 2015 eine Zwangslizenz an.

Daraufhin übte das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) massiven Druck auf die kolumbianische Regierung aus: Es verurteilte den Schritt als «Zwangsenteignung des Patentinhabers» und drohte indirekt, das Schweizer Entwicklungshilfeprogramm in Kolumbien einzustellen.

Südafrika wiederum hatte mit einer Zwangslizenz für HIV/Aids-Medikamente Erfolg – und gewann 2001 den Prozess gegen Roche und weitere Pharmakonzerne.

«Zwangslizenzen sind die grosse Angst der Pharmaindustrie», sagt Franco Cavalli, Alt-SP-Nationalrat und ehemaliger Präsident der Krebsliga Schweiz. Die offizielle Schweiz stehe unter dem Druck der Industrie. «Die Pharma ist die stärkste Lobby im Parlament. Ihr Budget ist beträchtlich, da werden Gewinne wie im Drogenhandel oder in der Prostitution verzeichnet.»

Durch die Patente erlangen die Multis eine Monopolstellung auf dem Markt. «Die Preisentwicklung ist akut», sagt Krebsspezialist Cavalli. Ausserhalb der reichen Länder werde sich die Situation bei den Krebsmedikamenten weiter zuspitzen, wie zuvor bei HIV/Aids-Therapien.

«Aber die neusten Krebsmedikamente sind so teuer, dass sie nicht einmal mehr für uns bezahlbar sind.» Sie kosten in der Schweiz rund 100 000 Franken im Jahr. «Der Druck wird zunehmen. Es droht auch hier ein Zwei-Klassen-Gesundheitssystem.» Deshalb fordert die Public-Eye-Kampagne den Bund auf, auch in der Schweiz Zwangslizenzen anzuwenden.

Novartis nimmt gegenüber der WOZ keine Stellung, sondern verweist an den Pharmalobbyverband Interpharma. Roche meldet sich per E-Mail mit Copy-Paste-Antworten zurück: Zu den Zwangslizenzen antwortet der Konzern ausweichend. «Ohne Patente gäbe es keine neuen Medikamente», heisst es mehrmals. Der Preis der Medikamente reflektiere «den Nutzen, den sie dem Patienten und der Gesellschaft» brächten. Man könnte auch sagen: Hohe Gewinne gegen Menschenleben.

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