Bodenpolitik: Unter der Fläche wimmelt es
Ein nationales Forschungsprogramm hat die Böden unter die Lupe genommen. Bei der Raumplanung fordern die ForscherInnen teils Ähnliches wie die Zersiedelungsinitiative – doch Boden ist viel mehr als nur Baugrund.
Was ist Boden? In Raumplanungsdiskussionen wird er meist wie etwas Zweidimensionales behandelt: als Fläche, die man überbauen kann. Dabei sind Böden Ökosysteme, in denen es bei guten Bedingungen von Lebewesen nur so wimmelt. Ein Gramm Boden kann bis 18 000 verschiedene Arten beherbergen: Tiere, Pilze, Bakterien und andere Mikroorganismen. In einer Hektare humusreichem Wiesenboden tummeln sich mehrere Tonnen Lebewesen.
Unter Häusern und Strassen ist der Untergrund dagegen praktisch tot. Dabei hat es 1000 bis 10 000 Jahre gedauert, um dreissig Zentimeter Boden zu bilden. «Boden ist in menschlichen Zeiträumen nicht erneuerbar», heisst es darum auch in der Gesamtsynthese des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68). Die Ergebnisse wurden im Dezember der Öffentlichkeit vorgestellt.
«Politikversagen»
Nicht nur als Acker und Baugrund ist der Boden für die Menschen wichtig: Er filtert und speichert auch Wasser, spielt also eine wichtige Rolle bei der Trinkwasserversorgung und beim Hochwasserschutz. Er ist Grundlage der Biodiversität an Land, und er enthält grosse Mengen Kohlenstoff – in der Schweiz mindestens siebenmal mehr als die Atmosphäre. Dadurch ist er relevant fürs Klima, denn wenn ein Boden kohlenstoffreichen Humus aufbaut, entzieht er der Luft CO2. So vielfältig wie die Bodenfunktionen ist auch das NFP 68: Es beschäftigte sich mit Moorböden und Zersiedelung, Bodenverdichtung und Land Grabbing in Afrika, mit Pilzen und Fadenwürmern, die die ökologische Landwirtschaft unterstützen können, mit Erosion und Antibiotikaresistenzen.
Mehrere Projekte des Forschungsprogramms untersuchten die Raumplanung. Sie sehen die bisherige Siedlungsentwicklung sehr kritisch – und empfehlen teils ganz ähnliche Lösungen wie die Zersiedelungsinitiative, die am 10. Februar an die Urne kommt (vgl. «Das Duell um den Häuserbrei» ). So soll die Bodenqualität in die Raumplanung einbezogen und der Verlust durch Überbauung je nach Qualität stärker gewichtet werden – was auch die Initiative will. Ebenso empfiehlt das NFP 68, den «Druck zur Innenentwicklung aufrechtzuerhalten». Im Gegensatz zur Initiative schlägt es zwar keine absolute Begrenzung der Siedlungsfläche vor, aber eine Bodenkontingentierung bei der Planung einzelner Siedlungen, die den Bodenverlust begrenzen soll. Nicht nur bezüglich Raumplanung, sondern generell wählen die AutorInnen der Synthese harte Worte: Im Umgang mit dem Boden sei ein Politikversagen festzustellen.
Unser Boden im Ausland
Höchst sinnvoll ist die Entscheidung der Forschenden, sich nicht auf die Schweiz zu beschränken – laut Bericht liegen die Böden, die die BewohnerInnen dieses Landes mit ihrer Wirtschaft und ihrem Konsum beanspruchen, zu bis zu achtzig Prozent im Ausland. Zwei Projekte untersuchten den transnationalen Landhandel, etwa am Beispiel der Schweizer Firma Addax Bioenergy, die 2008 in Sierra Leone 23 000 Hektaren pachtete, um Zuckerrohr für die Treibstoffproduktion anzubauen. Das Abenteuer war nach wenigen Jahren zu Ende, die lokale Bevölkerung hatte das Nachsehen.
Die AutorInnen kommen zu einem bedenkenswerten Fazit: «Der Umgang mit dem Schweizer Boden ist immer auch unter globalem Blickwinkel zu betrachten. Bedeutet ein Verzicht auf die Nutzung eines Bodens in der Schweiz tatsächlich einen Schutz, oder wird damit nur einer Verlagerung ins Ausland Vorschub geleistet?» Angesichts der hohen landwirtschaftlichen Qualität der Schweizer Böden wachse im globalen Kontext «die Verantwortung, sie umweltschonend und nachhaltig zu bewirtschaften».