Durch den Monat mit Judith Eisenring (Teil 3): Wie geht linkes Jassen?

Nr. 12 –

Das Solidaritätsjassen Rojinegro feiert in St. Gallen sein Dreissig-Jahr-Jubiläum. Judith Eisenring hat den Anlass mitbegründet und erzählt, wieso es für sie nach wie vor wichtig ist, politische Projekte in Zentralamerika zu unterstützen.

Judith Eisenring: «Es gab eine Zeit, in der man als Linke öffentlich nicht jasste, obwohl es alle einmal gelernt hatten. Mit Rojinegro durfte man dann auch als Linke wieder öffentlich jassen.»

WOZ: Judith Eisenring, verfolgen Sie die aktuelle Situation in Nicaragua noch?
Judith Eisenring: Ja, natürlich. Wir unterstützen mit Medico auch immer noch Projekte, vor allem Frauenprojekte, die zum Teil noch von Frauen betrieben werden, die in den achtziger Jahren zusammen mit Daniel Ortega für die Revolution kämpften. Heute sind viele Frauen- und feministische Projekte für Ortega ein rotes Tuch. Ich habe ihn 1987 an einem Revolutionstag persönlich reden gehört. Dieses Brimborium, das da um einzelne Personen gemacht wurde, hat mich schon damals gestört.

Nach Ihrer Rückkehr haben Sie 1988 in St. Gallen den Rojinegro-Jass mitbegründet. Wie ist die Idee entstanden?
Wir suchten Wege, die Befreiungsbewegungen in Zentralamerika zu unterstützen. Wir organisierten Feste mit Tombola wie auf dem Land – nur spielte bei uns eine andere Musik. Es gab ellenlange Reden, viele revolutionäre Sprüche und einmal sogar ein Transparent «Waffen für El Salvador». Nachdem wir gemerkt hatten, dass die Tombola auch bei Linken funktioniert, waren wir uns nicht zu schade, ein Preisjassen zu organisieren.

Der Begriff «Rojinegro» stammt aber aus Nicaragua selbst.
Ja. Rojinegro stand in Nicaragua für eine Art Solidaritätsleistung: Die Dorfbewohner bestellten etwa ein Maisfeld für jemanden, der nicht ernten konnte, weil er für die Verteidigung gegen die Contras eingezogen worden war. In der Schweiz entstand dann die Idee, jeweils einen Tageslohn in die Solidaritätskampagne für Zentralamerika einzuzahlen. Und im Rahmen dessen kamen wir auf die Idee, übers Spielen zusätzlich Geld zu sammeln.

Wie ging das zusammen, die revolutionären Befreiungsbewegungen und ein als bünzlig verschrienes Spiel?
Ich weiss noch, wie uns Leute aus Zürich verspottet hatten: «Jassen? So ein Bünzlisport.» In St. Gallen konnten wir uns das aber irgendwie leisten, wir waren nicht so dogmatisch. Es gab ja eine Zeit, in der Linke öffentlich nicht jassten, obwohl es alle irgendwo gelernt hatten. Dank Rojinegro begegneten sich die Linken nicht mehr nur an Sitzungen. Und seit 1992 gibt es das Solijassen auch in Zürich.

Und wie funktioniert der Anlass?
Gespielt wird Schieber mit ausgelosten Teams. Alle bekommen einen Preis. Wer am Schluss die meisten Punkte hat, darf zuerst vom Gabentisch auswählen. Firmen, Künstlerinnen und Private schenken uns Sachspenden und Gutscheine. Es kommen viele Leute, die von 13 Uhr bis tief in den Abend hinein jassen. Das Resultat ist jeweils ein fünfstelliger Betrag zugunsten des gewählten Projekts.

Wer kommt ans Rojinegro?
Ganz unterschiedliche Leute. Manche kommen jedes Jahr. Ich weiss nicht, was sie arbeiten, aber ich weiss, wie sie jassen. Am meisten gefällt mir, dass es generationenübergreifend ist. Letztes Mal war der Jüngste zwölf. Sie alle wollen für einen guten Zweck jassen.

Wofür sammeln Sie in diesem Jahr?
Das Geld geht in einen Fonds zur Unterstützung von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern in Guatemala. Er ermöglicht, Menschen, die sich für verbriefte Rechte gewaltlos einsetzen und deshalb in Not geraten sind, unbürokratisch zu unterstützen.

Haben sich die Projekte, die Sie unterstützen, mit den Jahren gewandelt?
Es war die Idee von Rojinegro, explizit politische Projekte in Zusammenarbeit mit dem Zentralamerikasekretariat zu unterstützen, nicht etwa den Bau einer Wasserleitung. Vor fünf Jahren stand das Solijassen kurz vor dem Aus. Dann übernahm eine neue Gruppe, die das solidarische Jassen und den gemeinschaftlichen Anlass nicht verlieren wollte.

Wieso ist es Ihnen wichtig, politische Projekte zu unterstützen?
Ich glaube, dass Projekte austauschbar werden, wenn sie nicht politisch sind – Medikamente oder Verhütungsmittel können überall verteilt werden. Politische Projekte sind für mich immer an linke Ideale geknüpft: basisdemokratisch, basisgesundheitsfördernd. Zusammen mit Medico International Schweiz unterstützten wir etwa ein Hebammenprojekt in El Salvador, dessen Gründerinnen bereits in der Befreiungsbewegung aktiv waren.

Woher kommt diese Leidenschaft und Solidarität für Lateinamerika?
Wäre ich heute jung, wäre es wohl Rojava. Neben Lateinamerika gab es damals auch andere Solibewegungen, etwa für Südafrika oder Palästina. Lateinamerika stand für eine verbindende Utopie, die Sehnsucht, dass sich Menschen von Armut und Unterdrückung befreien können. Wenn ich aber zusehen muss, wie sich der Imperialismus und der Kapitalismus in Zentralamerika ausbreiten, ist das sehr schmerzhaft. Ich weiss nicht, ob ich nochmals so viel Hoffnung für eine vergleichbare Sache aufbringen könnte. Ich hätte Angst vor der Enttäuschung und Angst, Menschen zu verlieren. Ich erinnere mich an Menschen in El Salvador, die die gleichen hoffnungsvollen Sätze sagten wie heute die mutigen Frauen in Rojava. Und die sind jetzt tot.

Judith Eisenring (56) ist Hebamme, Sexualpädagogin und Aktivistin von Medico International Schweiz. Der Solidaritätsjass Rojinegro startet am Samstag, 23. März, um 13 Uhr in der Militärkantine in St. Gallen.