Durch den Monat mit Catherine Weber (Teil 3): Ist Gentrifizierung ein grosses Problem?

Nr. 47 –

Was es braucht, um etwas zum Guten zu verändern: Die ehemalige Berner Stadträtin Catherine Weber über soziale Bewegungen, extrem beschäftigte ParlamentarierInnen und Bussen wegen Kiffen.

Catherine Weber: «Auch Wohnbaugenossenschaften muss klar sein, dass ihretwegen gut verdienende Leute ins Quartier ziehen.»

WOZ: Frau Weber, als ich Sie gegoogelt habe, musste ich schmunzeln. 2004 schrieb die Gratiszeitung «20 Minuten» über Ihr öffentliches Bekenntnis, ab und an zu kiffen …
Catherine Weber: Wirklich, das wird bei Google angezeigt? Das ist ja lustig! Das war die wohl nachhaltigste Aktion, die ich als Stadträtin gemacht habe. Selbst Jahre nachdem ich zurückgetreten bin, haben mich noch Leute darauf angesprochen.

Die Debatte ausgelöst hatten zwei junge Männer, die sich in Zeitungsleserbriefen als Kiffer geoutet hatten. Die beiden hatten mit ihrem Namen unterschrieben.
Genau, dummerweise. Im Nachhinein sind sie auch schlauer. Der damalige FDP-Polizeidirektor Kurt Wasserfallen war ein Hardliner. Er engagierte sich im Verein Eltern ohne Drogen, für ihn war Kiffen ein No-Go. Wasserfallen hat dafür gesorgt, dass die Leserbriefschreiber von der Polizei vorgeladen, verzeigt und gebüsst wurden. Das hat mich masslos geärgert. Das geht doch nicht!

Sie hatten vierzehn Berner StadträtInnen mobilisiert, die sich öffentlich mit den Leserbriefschreibern solidarisierten. Auch Sie mussten fürs Kiffen eine Busse von 230 Franken bezahlen …
Der junge Polizist, der mich befragen musste, fühlte sich dabei gar nicht wohl. Aber es ist schön, dass diese Aktion so in Erinnerung geblieben ist. Mit kleinen Aktionen, mit denen man immer wieder «stüpft», an denen man hartnäckig dranbleibt, hat man Chancen, etwas zum Guten zu verändern. Man muss sich immer wieder empören können – und aus der Empörung heraus etwas machen.

Was braucht es, um etwas zu verändern: mehr Linke in den Parlamenten oder stärkere soziale Bewegungen?
Beides. Sehr oft sind ausserparlamentarische Bewegungen fitter. Sie können schneller agieren. Sie sind freier, können frech sein und Forderungen stellen, von denen man weiss, dass sie im Parlament keine Chance haben. Aber die Zusammenarbeit mit den Parlamentarierinnen und Parlamentariern ist auch extrem wichtig. Zwar haben sie manchmal wahnsinnig viel zu tun und sind von der Basis etwas weit weg – leider. Aber es gibt auch jene, die mit der Basis gut vernetzt sind. Ich hoffe, dass die neu gewählten jungen, linken, grünen Leute den Kontakt zu den sozialen Bewegungen suchen. Denn beide brauchen einander.

Sie haben 1987 das Grüne Bündnis Bern mit gegründet und sassen von 2000 bis 2008 im Berner Stadtrat. Warum haben Sie aufgehört?
Vor der dritten Wiederwahl bin ich zurückgetreten. Ich war gerade fünfzig geworden und der Meinung, dass jemand Jüngeres nachrücken sollte. Die Arbeit im Parlament ist eine der besten Ausbildungen, die es gibt. Man ist gezwungen, sich mit Themen auseinanderzusetzen, von denen man noch nie etwas gehört hat. Ob Baugeschichten, Kanalisation oder Bildungsfragen: In einer so kleinen Fraktion wie dem Grünen Bündnis muss man sich vertieft einlesen, um mitreden zu können. Es war eine spannende Zeit.

Sie sind im Vorstand von «Läbigi Lorraine». Der Berner Quartierverein wehrt sich gegen Überbauungen, die Teil der Stadtaufwertung sind.
Die Gentrifizierung hört natürlich nicht nach der Lorrainebrücke auf. Im Gegenteil: Sie ist in der ganzen Stadt zu beobachten. Der Leerwohnungsbestand liegt mit 0,56 Prozent extrem tief. Auch in der Lorraine sind einst günstige Wohnungen in den letzten zwanzig Jahren sehr teuer geworden. Die privaten Hausbesitzer lassen luxussanieren. Das Quartier liegt zentral in der Stadt, nahe an der Aare, und es hat alles, was man braucht – Bioläden und Grossverteiler, eine Buchhandlung, einen Kiosk, Restaurants und Bars, Kitas, Schulen, Coiffeure, Brockis, zwei Altersheime. Es ist eigentlich ein Dorf in der Stadt. Letztlich haben wir in Bern keine Handhabe, einen teuren Neubau zu verhindern. Nicht wie in Berlin, wo man nun mit dem Mietendeckel «Stopp!» sagen will.

Ist Gentrifizierung in Bern ein grosses Thema?
Ja, und ein höchst umstrittenes. Denn man könnte auch sagen: Jeder Quartierverein, der sich für einen neuen Spielplatz oder für Verkehrsberuhigung einsetzt, hat quasi Mitschuld, wenn das Quartier gentrifiziert wird – weil es attraktiver und damit teurer wird. Aber dann dürften wir uns als Verein Läbigi Lorraine am Schluss gar nicht mehr für unser Quartier engagieren – das geht ja auch nicht.

In Marc-Uwe-Klings «Känguru»-Hörspiel heisst es: «Wenn man weiss, was das Wort ‹Gentrifizierung› bedeutet, ist man Teil derselben.»
Ja, das ist eine spannende Diskussion, die man immer wieder führen muss. Auch Wohnbaugenossenschaften muss klar sein, dass ihretwegen gut verdienende Leute herziehen. Sie sind ebenso Teil der Entwicklung. Es braucht bezahlbaren Wohnraum für Leute, die nicht viel verdienen, die nicht hundert Prozent arbeiten oder in alternativen Gemeinschaften wohnen wollen, die in der Ausbildung sind oder eine schmale Rente haben. Und die bereit sind, ein Quartier mitzugestalten, am Quartierleben teilzunehmen.

Vor dreissig Jahren hat Catherine Weber (63) als Sekretärin des Komitees «Schluss mit dem Schnüffelstaat» die Schweizer Fichenaffäre aufgearbeitet. Den Geheimdienst würde sie auch heute noch abschaffen.