Kost und Logis: Taburettli und Synthesizer

Nr. 20 –

Bettina Dyttrich schleift Holz und vermisst Konzerte

An einem Ferientag schnuppere ich in einer Möbelschreinerei am Rand des Emmentals. Ich möchte endlich einen Bezug zur Arbeit mit Holz, zum Handwerk überhaupt. Anders als die Landwirtschaft war es immer so weit weg von meinem Alltag, dass ich gar nie auf die Idee kam, über eine Tätigkeit in diesem Bereich nachzudenken. Ich hielt mich für hoffnungslos ungeschickt – dabei hatte ich es gar nie ausprobiert.

Also schleife ich jetzt Taburettliteile, mache Fehler, muss nochmals drüber. Dann helfe ich, ein Bett zusammenzusetzen. Der Geruch des Holzes, die Oberflächen, Texturen, diese Freude, wenn die Teile ineinander passen – Arbeit könnte so schön sein ohne Stress und Wettbewerbsdruck. Und ich denke wieder einmal über die Frage nach, die Hans Widmer alias P. M. seit Jahren stellt: Warum organisieren wir das Lebensnotwendige nicht einfach selber und lassen den Kapitalismus links liegen?

Natürlich ist das schwierig – und die Gefahr gross, dass solche Projekte in linksgrünen Mittelstands-Bubbles hängen bleiben. Aber vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt, diese Diskussionen zu führen. Jetzt, wo so viele – wie die Leserbriefschreiberin Rosemarie Imhof aus Allschwil – fragen: Was vermissen die Menschen wirklich? Was wollen sie zurückhaben? Und was nicht?

Gleichzeitig fühlen sich leider auch die Leute im Aufwind, die einem mit ihren SUVs und Cabrios die Lockdown-Velotour verderben. Das Auto gewinnt! Wir haben ja jetzt gesehen, dass der ÖV ein Seuchenherd ist! Und «20 Minuten» gibt dem Autohändler Lorenz Frey, Sohn von Walter, eine Plattform, als wäre er ein unabhängiger Experte. Bestätigt fühlen sich auch all jene, die gegen Verdichtung wettern und behaupten, das Einfamilienhaus sei epidemiologisch die beste Lösung. Dichte kann in Seuchenzeiten wohl in Millionenstädten ein Problem sein, aber sicher nicht in diesem Land. Wenn die Schweiz im Schnitt nur doppelt so dicht bebaut wäre, und das wäre immer noch sehr locker, wären die Grünräume viel näher, in die es gerade so viele zieht. Denn die hässlichen Einfamilienhausgürtel zwischen Stadt und Wald gäbe es nicht.

Was brauchen wir wirklich? Diese Frage zu eng zu stellen, ist auch wieder problematisch. Schon im Gymi ärgerte ich mich masslos über die sogenannte Maslowsche Bedürfnispyramide, die die Grundbedürfnisse auf Wärme, Sicherheit und Verdauungsfunktionen reduziert. Als wären soziale Kontakte und existenzielle Fragen weniger grundlegend, als hätte es zum Beispiel Konzerte, diese wunderbaren, verschwitzten, sehr fernen Anlässe, nicht auch in höchst prekären Zeiten gegeben – und schon vor allen seltsamen Pyramiden. Synthesizer, Rap und das Internet seien Gründe, warum es sich zu leben lohne, schrieb mir Kollege David Hunziker vor einigen Wochen ins Homeoffice. Bezüglich Rap und Synthesizern gebe ich ihm definitiv recht. Das mit dem Internet ist leider zu kompliziert für diese Kolumne.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin und hört gerade viel Synthesizermusik. Die Taburettli gibt es hier: www.gixgax.ch.