Corona in Ägypten: Zu wenige Tests, zu wenige Betten, zu wenig Schutz

Nr. 24 –

Auf Kritik für seinen Umgang mit der Pandemie reagiert Abdel Fattah al-Sisis Regime mit Repression. Wird Kairo jetzt das neue Wuhan?

Wer sich mit den beiden Männern austauscht, könnte denken, sie leben in verschiedenen Ländern: «Unsere Regierung macht nichts für uns normale Leute», sagt Ayman Salah. Der 28-Jährige arbeitete bis vor kurzem in Kairo in einem Krankenhaus. Seinen richtigen Namen will er nicht nennen, das Regime um den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi mag es nicht, wenn die kritische Wahrheit ausgesprochen wird. Kürzlich hat Salah seinen Job aufgegeben, «ohne Schutzkleidung ist mir der Kontakt zu meinen Patienten zu gefährlich», und an dieser bestehe ein grosser Mangel.

Alaa Ghanaam, regierungsfreundlicher Experte für Gesundheitspolitik mit Sitz in Kairo, findet hingegen, die Politik sei gut auf die Pandemie vorbereitet. Sicher, das Gesundheitssystem habe durchaus seine Schwächen, räumt er ein. Doch insgesamt sei die Covid-19-Bewältigung «lobenswert» und «flexibel».

Der erste Fall in Afrika

Ägypten war das erste afrikanische Land, in dem ein Coronafall gemeldet wurde. Es war ein Tourist, der im Februar positiv getestet wurde und der mittlerweile verstorben ist. Aktuell gibt es laut der Johns-Hopkins-Universität über 30 000 Infizierte in Ägypten, mehr als 1200 Personen sind der Lungenkrankheit erlegen. Zwar sind die Zahlen in dem mit etwa hundert Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Land der Region im Vergleich zu den Nachbarstaaten immer noch moderat – doch die Glaubwürdigkeit der Statistiken wird angezweifelt. Die geringe Anzahl an Covid-19-Fällen wird von KritikerInnen auf unzureichende Tests, aber auch auf Falschinformationen der Regierung zurückgeführt. Ausserdem sind die Zahlen stetig steigend: Erst Ende Mai meldete das Gesundheitsministerium innerhalb von 24 Stunden 910 neue positive Tests auf das Virus – der höchste registrierte Anstieg an einem Tag.

Eine Oppositionsgruppe warnte davor, dass die Millionenmetropole Kairo das neue Wuhan werden könnte – denn die bisherigen Schutzmassnahmen sind eher bescheiden. MedizinerInnen hatten einen harten, zweiwöchigen Lockdown gefordert, die Regierung lehnte zu strikte Massnahmen mit dem Verweis auf die Wirtschaft ab. So wurden zwar landesweit Bildungseinrichtungen, Glaubenshäuser, Grünanlagen und Strände geschlossen, doch die Ausgangssperre gilt nur nachts. Mit ihrer Kampagne wiesen die KritikerInnen zudem auf die Gefahr von Unterschlagung hin: Wo flössen eigentlich die 2,7 Milliarden US-Dollar hin, die das Land vom Internationalen Währungsfonds erhalten habe?

Das Coronavirus trifft auf ein Land, das ohnehin schon unter einer Wirtschaftskrise und einem prekär ausgestatteten Gesundheitssystem ächzt. So seien im Haushalt 2016/17 weniger als zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für das Gesundheitswesen bereitgestellt worden, kritisierte der Journalist Khaled al-Khamissi auf dem Internetportal «Qantara», was umgerechnet drei Milliarden Euro entspreche. Schon Anfang Mai erreichten die siebzehn Isolationskrankenhäuser des Landes, die für CoronapatientInnen reserviert wurden, ihre maximale Kapazität, wie der stellvertretende Gesundheitsminister Ahmed al-Sobki gegenüber der Presse einräumte.

Wer zweifelt, wird verhaftet

Ende Mai kritisierte die ÄrztInnengewerkschaft, die Regierung sorge nicht ausreichend für den Schutz des medizinischen Personals – das Vorgehen des Gesundheitsministeriums sei «Tötung durch Verantwortungslosigkeit», hiess es in einer Mitteilung. Zu wenige Tests, zu wenige Betten, zu wenig Schutzkleidung, offiziell sind 28 MedizinerInnen an Covid-19 gestorben. Nach dem Tod eines Kollegen veröffentlichten ÄrztInnen des Al-Munira General Hospital in Kairo auf Facebook ein gemeinsames Schreiben, in dem sie gegen die mangelnden Sicherheitsmassnahmen protestierten.

Wut richtet sich auch gegen die ägyptische Armee, denn die gut ausgestatteten Militärspitäler sind für die Durchschnittsbevölkerung unerschwinglich. Als das Gesundheitsministerium gefragt wurde, warum die Militärspitäler nicht für eine breite Öffentlichkeit bezahlbar gemacht würden, lautete die Antwort gemäss Medienberichten: «Es gibt genügend zivile Krankenhäuser, um mit der Pandemie fertig zu werden.» Ein Satz, über den Salah nur müde lächeln kann: «Wenn ich mich jetzt mit Corona infiziere, würde ich kein Bett bekommen», sagt er und schiebt hinterher: «Wer sich kritisch äussert, wird direkt als Muslimbruder bezichtigt und gilt damit als Feind.»

Wer es dennoch wagt, öffentlich auf Missstände hinzuweisen, muss mit Konsequenzen durch das Sisi-Regime rechnen. Der Korrespondentin der britischen Tageszeitung «Guardian» wurde die Akkreditierung entzogen, nachdem sie eine wissenschaftliche Untersuchung der kanadischen Universität in Toronto zitiert hatte, die die Differenzen zwischen den offiziellen und den wahrscheinlichen Infektionsraten in verschiedenen Ländern untersuchte. Die Studie geht auch in Ägypten von grossen Unterschieden aus.

Ebenso wurden andere Personen verhaftet, die die offiziellen Zahlen anzweifelten. Damit wolle man die Verbreitung von Fake News vermeiden, rechtfertigen sich die Behörden. Dass die Regierung unsanft mit KritikerInnen umgeht, will Gesundheitsexperte Ghanaam nicht gelten lassen. Das sei nicht wahr, sagt er, man habe die meiste Zeit positiv auf Kritik reagiert.