Corona in Spanien: Wenn die Polizei gegen die Regierung ermittelt

Nr. 24 –

Die geplante Grundsicherung in Spanien ist kein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern ein längst überfälliges Sozialhilfesystem. Aber sie ist auch der erste Erfolg einer Linksregierung in Schwierigkeiten.

Nach fünf Monaten Amtszeit hat die Regierungskoalition aus sozialdemokratischer PSOE und dem Linksbündnis Unidas-Podemos in Spanien ihr erstes grosses Reformvorhaben verabschiedet: Ab dem 15. Juni können Menschen ohne oder mit niedrigem Einkommen eine Grundsicherung beantragen.

Beim Ingreso Mínimo Vital handelt es sich um eine Sozialhilfe, wie sie in den meisten EU-Ländern existiert. Anspruchsberechtigt sind Personen, die älter als 23 sind, in einem eigenen Haushalt leben und anhand der Steuererklärung ihren Anspruch nachweisen können. Insgesamt soll die Hilfe 850 000 Haushalte erreichen und zwischen 462 Euro (für Einpersonenhaushalte) und 1015 Euro (für Familien) betragen.

Weniger Geld als für die Banken

Die Einführung einer Grundsicherung war in Spanien überfällig. Bereits vor der Coronakrise waren die Armutszahlen dramatisch. Dem Bericht des European Anti Poverty Network von 2019 zufolge sind mehr als ein Viertel der SpanierInnen «armutsgefährdet» – das heisst, sie müssen mit weniger als 500 Euro monatlich pro Haushalt auskommen. Seit dem Wirtschaftskollaps der letzten Wochen dürfte die Armutsquote noch deutlich höher liegen.

Auch wenn der Ingreso Mínimo kein bedingungsloses Grundeinkommen ist, sind die Unterschiede etwa zum deutschen Hartz-IV-System dennoch beträchtlich. In Spanien ist bislang keine Rede von Sanktionen, mit denen LeistungsempfängerInnen zur Annahme von Jobs gezwungen werden sollen. Das dürfte allerdings auch an der Höhe der Zahlungen liegen: Da Mieten oder Hypothekenraten nicht übernommen werden, wird die Grundsicherung den meisten EmpfängerInnen als Einkommen nicht reichen.

Und auch der bereitgestellte Haushaltsposten wirft Fragen auf: Drei Milliarden Euro hat die spanische Regierung für den Ingreso Mínimo einkalkuliert. Das wären bei 850 000 Haushalten, die die Grundsicherung beziehen sollen, etwa 300 Euro pro Monat und Haushalt – deutlich weniger als der festgesetzte Anspruch. Zum Vergleich: Die Bankenrettung während der Finanzkrise hat den spanischen Staat 42 Milliarden Euro gekostet.

Für die Parteiführung von Podemos ist die künftige Grundsicherung dennoch ein enormer Erfolg. Nach den Parlamentswahlen im April 2019 hatte sich die Regierungsbildung fast ein Jahr lang hingezogen, weil der Podemos-Vorsitzende Pablo Iglesias trotz interner Kritik auf einer Koalition bestanden hatte. Anders als die Tolerierung einer Minderheitsregierung werde eine Regierungsbeteiligung neue Reformspielräume eröffnen, hatte Iglesias versprochen.

Nun muss sich zeigen, ob sich das auch in anderen Fragen bewahrheiten wird. Bisher hat die Linksregierung wenig auf den Weg bringen können. Der politische Dialog mit Katalonien hat bis heute nicht begonnen, die von den Konservativen eingeführten Einschränkungen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit («Ley Mordaza») sind weiterhin in Kraft, und das Corona-Krisenmanagement war desaströs. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde der Lockdown zunächst lange hinausgezögert und fiel dann extrem repressiv aus. Während Kinder fast zwei Monate die Wohnung nicht einmal zum Spazierengehen verlassen durften, sollten die Eltern die meiste Zeit normal arbeiten. Zudem dominierten auf den Pressekonferenzen der Regierung nicht etwa VirologInnen, sondern die Generäle von Armee und Polizei.

Das Netzwerk «patriotische Polizei»

Die Situation für die Linksregierung ist nicht zuletzt schwierig, weil sie mit massivem Druck von rechts und den staatlichen Sicherheitsorganen konfrontiert ist. In diesem Zusammenhang hat die Guardia Civil sogar ein Ermittlungsverfahren gegen die Regierung von Pedro Sánchez (PSOE) auf den Weg gebracht. In einem Polizeibericht werden der Regierungsberater und Virologe Fernando Simón sowie mehrere Ministerinnen – die sich an der feministischen Demonstration am 8. März beteiligt hatten – für die Coronakrise verantwortlich gemacht. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Polizei hierfür Zeugenaussagen manipuliert und die Warnung der Weltgesundheitsorganisation rückdatiert hatte, entliess Innenminister Fernando Grande-Marlaska, bisher ein treuer Verbündeter der Polizeiapparate, mehrere hochrangige Funktionäre der Guardia Civil.

Offenbar existiert in den Reihen der Sicherheitskräfte ein Netzwerk namens «patriotische Polizei», das Podemos aus der Regierung zu drängen versucht. Wenn die Regierung Sánchez strukturelle Reformen in sozialen und verfassungsrechtlichen Fragen auf den Weg bringen will, müsste sie diesen Widerstand im Staat brechen. In den vergangenen Jahrzehnten hat die PSOE nie Anstalten unternommen, das autoritäre Erbe in Spaniens Justiz und Polizei zu thematisieren. Selbst Vizeregierungschef Pablo Iglesias versuchte zuletzt, den Konflikt zu deeskalieren, trotz heftiger Anfeindungen gegen seine Familie und deren oppositionelle Haltung während der Franco-Diktatur.

Iglesias versprach, in Zukunft öfter zu schweigen, stellte dann aber doch klar: «Ein Polizeikörper mit der Geschichte und dem Ansehen der Guardia Civil kann es sich nicht leisten, Ermittlungsberichte zu erstellen, in denen rechtsradikale Pamphlete als Zeitungsquellen zitiert werden.»