Durch den Monat mit Klara Obermüller (Teil 3): Wieso hatten Sie Hausverbot bei der NZZ?

Nr. 51 –

Klara Obermüller über einen beruflichen Bruch, der ihre Sicht auf die Gesellschaft veränderte.

«Ich spürte, dass ich unter Beobachtung stand, und wusste, dass ich diesen Konflikt auf Dauer nicht aushalten würde»: Klara Obermüller bei sich zu Hause.

WOZ: Frau Obermüller, in einem Interview mit dem «St. Galler Tagblatt» haben Sie gesagt: «Ich musste mich entscheiden, und ich habe mich für die Liebe und gegen die Karriere entschieden.» Gemeint war Ihre Liebe zum Schriftsteller und Sozialisten Walter Matthias Diggelmann. Was war passiert?
Klara Obermüller: Ich hatte im Feuilleton der NZZ als Redaktionsassistentin mit Halbtagsstelle angefangen und bekam später eine Festanstellung. Ein halbes Jahr später lief ich zufällig Diggelmann über den Weg. Wir verliebten uns Hals über Kopf. Ein als Kommunist verschriener Lebenspartner auf der einen und die sehr freisinnige NZZ auf der anderen Seite – ich realisierte schnell, dass diese Konstellation zu Spannungen führen würde.

Also mussten Sie sich entscheiden?
Es war damals üblich, in einer Beilage von Zeit zu Zeit unveröffentlichte Texte von Schweizer Autoren abzudrucken. Diese Tradition führte ich nach bestem Wissen und Gewissen weiter – was auch hiess, Diggelmann als Schriftsteller ernst zu nehmen. Nachdem ich zum zweiten Mal eine Erzählung von ihm aufgenommen hatte, fand ich ein Dossier über seine Person auf meinem Schreibtisch vor, zusammen mit einem Zettel von Chefredaktor Fred Luchsinger, in dem er mich ermahnte, in Anbetracht meiner «besonderen Beziehung zu diesem Autor» mehr Zurückhaltung an den Tag zu legen und Berufliches von Privatem zu trennen. Da brannte bei mir eine Sicherung durch. Ich spürte, dass ich unter Beobachtung stand, und wusste, dass ich diesen Konflikt auf Dauer nicht aushalten würde.

Man sprach Ihnen Ihre Autonomie als Journalistin ab?
Ja, Luchsinger dachte wohl, als Frau stünde ich unter dem Einfluss des Mannes, was hiess, dass dieser linke Schriftsteller durch mich Einfluss auf die NZZ hätte nehmen können. Dies galt es natürlich zu vermeiden. Ich bin sicher, wäre ich ein Mann gewesen, hätte man das nicht so gesehen. Im Wissen, dass ich damit alle Brücken hinter mir abbreche, schrieb ich Luchsinger einen wütenden Brief. Daraufhin wurde ich fristlos entlassen und bekam Hausverbot. Der Redaktion wurde zudem nahegelegt, nicht mehr mit mir zu verkehren. Es gab Kollegen, die sich daran hielten und die Strassenseite wechselten, wenn sie mich sahen.

Sie standen vor dem Nichts?
Ich bekam zwei Monatslöhne mit auf den Weg, und das wars. Für einen Schriftsteller ohne festes Einkommen und eine arbeitslose Journalistin war die Situation prekär. Aber das war im Jahr 1974, und im Unterschied zu heute kamen bereits am nächsten Tag die ersten Angebote. «Die NZZ-Redaktorin und der linke Schriftsteller», das hatte sich rumgesprochen.

Woher kamen die Angebote?
Die ersten Angebote kamen vom Radio und aus der Kulturszene. Adolf Muschg setzte sich überdies bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» für mich ein. Daraufhin kam deren Literaturchef Marcel Reich-Ranicki höchstpersönlich nach Zürich und bot mir eine freie Mitarbeit an. «Solange Sie keine Silberlöffel stehlen, steht einer Tätigkeit für die ‹FAZ› nichts entgegen», sagte er. So arbeitete ich sieben Jahre lang als Freie, unter anderem auch für die «Annabelle», die «Femina» sowie die Basler «Nationalzeitung». Nach dem Tod von Walter Matthias Diggelmann kam dann auch die «Weltwoche» auf mich zu. Im Frühjahr 1980 fing ich dort auf der Redaktion an.

Gab es irgendwann noch eine Aussprache mit der NZZ?
Nein. Einige von denen, die damals die Strassenseite gewechselt hatten, sagten viele Jahre später etwas verdruckst: «Schade, dass du damals weggegangen bist.»

Hat Sie diese Episode politisiert?
Durch den Bruch mit der NZZ war ich zum ersten Mal aus meiner Komfortzone herausgefallen. Ich hatte auf einmal materiell zu kämpfen, hatte mich unbeliebt gemacht und musste den Widerspruch zur Gesellschaft aushalten. Die Ächtung der Linken hatte nun auch auf mich abgefärbt. Durch den Rauswurf wurde ich aber nicht nur politisiert, ich gewann auch sehr viel Selbstbewusstsein hinzu. Bis dahin war ich ein verwöhntes Töchterchen gewesen, dem immer alles in den Schoss gefallen war.

Sie haben erwähnt, dass die Auseinandersetzung mit dem Chefredaktor anders verlaufen wäre, wenn Sie ein Mann gewesen wären.
Ich hatte mein Leben lang wenig Grund, mich als Frau benachteiligt zu fühlen. Ich habe in Zürich die Höhere Töchterschule besucht. Vom ersten Tag an wurde uns dort beigebracht, dass wir zur Elite der Nation gehören. Und es gab gar keine Jungs, an denen wir hätten gemessen werden können, dafür zahlreiche Lehrerinnen, die uns zeigten, dass Frauen den Männern ebenbürtig sind. Erst an der Uni fiel mir auf, dass es keine einzige Professorin gab, obwohl die Mehrheit der Studierenden Frauen waren. Beim «Du» war ich die erste Volontärin. Bei der NZZ waren wir zu viert, allesamt in den sogenannt weichen Ressorts wie Kultur, Mode oder Frauenbeilage tätig, nicht in der Wirtschaft, nicht im In- oder im Ausland. Damals schien mir das noch ziemlich selbstverständlich. Ich war keine Feministin der ersten Stunde, vieles realisierte ich erst Jahre später.

Klara Obermüller (80) schrieb in ihrer Zeit als freie Journalistin vier Jugendbücher und hätte sich im Rückblick eine etwas rebellischere Jugend gewünscht.