Durch den Monat mit Klara Obermüller (Teil 4): Wie haben Sie es denn mit der Religion?

Nr. 52 –

Klara Obermüller über die grossen Themen: Kultur, Religion und Liebe.

«In der katholischen Kirche gab es damals viele öffentlichkeitswirksame Konflikte, dieses Feld war journalistisch sehr ergiebig»: Klara Obermüller am Zürichsee.

WOZ: Frau Obermüller, von 1996 bis 2002 moderierten Sie die «Sternstunde Philosophie» im Schweizer Fernsehen. Vergleichbare Formate werden gerade zusammengespart.
Klara Obermüller: Die «Sternstunden» sind ja zum Glück noch nicht betroffen, dafür aber im Radio «Blickpunkt Religion» und «52 beste Bücher». Ich habe die Petitionen gegen die Streichung unterschrieben, denn ich finde diese Entwicklung tragisch. Nehmen wir die Religion: In einer Zeit, in der religiöser Fundamentalismus mit Vehemenz in alle Bereiche hineingreift, sind eine fundierte Berichterstattung über und eine Auseinandersetzung mit Religion gesellschaftlich notwendig. Hier zu sparen, finde ich fahrlässig.

Und die Kultur?
Jetzt, da wir darauf verzichten müssen, sehen wir doch, wie armselig das Leben ohne Kultur ist. Darüber hinaus entziehen wir mit Sparmassnahmen, wie sie zurzeit bei Fernsehen, Radio und auch in den Printmedien betrieben werden, den Kulturschaffenden ihre Existenzgrundlagen. Ein Schriftsteller lebt davon, dass seine Bücher diskutiert und damit einem breiteren Publikum bekannt gemacht werden. Wenn sie nicht publik gemacht werden, kauft sie keiner, und wenn sie keiner kauft, wird er irgendwann keine Bücher mehr schreiben können. Die Kultur ist definitiv kein Luxus, auf den man beliebig verzichten kann.

Um den abgedroschenen Begriff zu verwenden: Sie ist systemrelevant.
Absolut. Diese Geringschätzung der Kultur ist aber leider nicht neu. Ich habe ja viel in diesen Sparten gearbeitet, und da bekam man immer mal wieder vermittelt: Ihr seid im Grunde überflüssig. Ihr seid ein Nischenprodukt, ihr geniesst Narrenfreiheit, man braucht euch nicht wirklich. Wirtschaft und Politik, die sind wichtig, auf Kulturberichterstattung kann man notfalls auch verzichten. Damit mussten wir leben, aber auch dagegenhalten.

Und das ging gut?
Mehr oder weniger. Aber Sparmassnahmen, wie wir sie jetzt erleben, und auch dieser Zeitdruck, dem Journalistinnen und Journalisten ausgesetzt sind, das hätten wir uns in unseren schlimmsten Träumen nicht vorstellen können. Als Angehörige jener Generation, die in den siebziger Jahren journalistisch aktiv geworden ist, fühle ich mich rückwirkend gesehen sehr privilegiert. Die Stellen waren immer da, das Geld war da, und die Zeit war da – zwei Wochen und mehr für einen komplexeren Text oder eine aufwendig recherchierte Geschichte, das war damals ganz normal.

Glauben Sie, dass den heutigen Chefredaktionen ein gewisses Grundvertrauen gegenüber ihren Angestellten fehlt?
Kann sein, ja. Früher bei der NZZ mussten wir zum Beispiel nie Belege für Spesen vorweisen. Und bei der «Weltwoche» hiess es nicht selten: «Geh nach Hause und komm wieder, wenn du fertig bist.» Man muss den Menschen doch Zeit lassen, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen. Auch wenn das Recherchieren mit dem Internet heute sicher einfacher geworden ist: Guter Journalismus braucht Zeit.

Neben der Kultur scheint Religion eine zentrale Rolle in Ihrem Leben zu spielen, Sie haben viel dazu geschrieben, haben einen Ehrendoktortitel in Theologie, sind mit einem ehemaligen Priester verheiratet …
Nun gut, den habe ich mir nicht wegen des Berufs ausgesucht (lacht). Wir sind uns begegnet, und es hat gefunkt, wie das im Leben halt so ist. Dass er ein katholischer Geistlicher war, stellte zunächst mal ein grosses Hindernis für unsere Liebe dar.

Kurt Studhalter unterstand noch dem Zölibat, als Sie sich kennenlernten?
Ja, er war im Kloster. Der Austritt war für ihn ein langer und schmerzlicher Prozess, und auch ich empfand das Warten und die Ungewissheit als sehr belastend. In dieser Zeit habe ich dann angefangen, mich mit dem Katholizismus auseinanderzusetzen. Ich wollte die Welt kennenlernen, aus der dieser Mann kam, und die Konflikte verstehen, die ihn umtrieben. Diese Auseinandersetzung wirkte sich dann auch auf meine Arbeit bei der «Weltwoche» aus. Ich liess ab und zu eine informierte Bemerkung zu Religion fallen, und als der Kollege, der sich bisher um Religion und Kirche gekümmert hatte, wegen einer schweren Krankheit ausfiel, musste ich in die Bresche springen. Man konnte sich mit dem Thema übrigens gut profilieren.

Als Ende der achtziger Jahre der «Fall Haas», der Streit um den Bischof von Chur, die Gemüter erregte, sagte der damalige «Weltwoche»-Chefredaktor Rudolf Bächtold einmal zu mir: «Lass doch die Kultur und die Bücher sein, mit diesen Kirchengeschichten schaffst du dir viel mehr Beachtung!»

Und?
Er hatte recht. Für viele bin ich erst damit journalistisch so richtig relevant geworden. Es hat mir aber auch Spass gemacht. Ich liebe es, mich zu empören und für Dinge auf die Barrikaden zu gehen, die mir wichtig sind. Da es damals in der katholischen Kirche viele öffentlichkeitswirksame Konflikte gab, war dieses Feld journalistisch in der Tat sehr ergiebig. Ich konnte aus dem Vollen schöpfen.

Die Publizistin Klara Obermüller (80) lebt mit ihrem Ehemann Kurt Studhalter in Männedorf ZH. Obermüller sagt, sie sei weder atheistisch noch gläubig: «Für mich ist der Glaube eine Suche, die nie an ein Ende kommt.» Aus der reformierten Kirche ist sie ausgetreten.