LeserInnenbriefe

Nr. 11 –

Wem nützt ein Boykott?

«Das China-Abenteuer der ZHdK: Kunstschaffen und Zwangsarbeit», WOZ Nr. 8/2021

Angenommen, die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) bricht die Zusammenarbeit mit der chinesischen Kunst-Fachhochschule tatsächlich ab. Wird dann eine Uigurin, ein Uigure weniger misshandelt? Wohl kaum. Wahrscheinlicher ist, dass die Unterdrückung noch zunimmt, weil die Unterdrücker westliche Konspiration und Aufwiegelei wittern. Repression und Paranoia gehen für gewöhnlich Hand in Hand. Oder wird die Regierung der Volksrepublik China so beeindruckt sein, dass sie von ihrem verbrecherischen Tun ablässt? Wohl kaum. Wahrscheinlicher ist, dass sich ein paar Hardliner freuen, weil wieder eine westliche Institution weniger Einblick in chinesische Verhältnisse nimmt.

Wem also nützt der Boykott? Seinen InitiantInnen. Sie dürfen sich zu ihrer moralischen Integrität und Konsequenz gratulieren und sich ein erhöhtes Selbstwertgefühl attestieren.

Wolfram Malte Fues, Duggingen

Eine Art Homestory

«Opposition in Russland: Der Nawalny-Kosmos», WOZ Nr. 8/2021

Was ich sonst von der WOZ erwarte, finde ich diesmal in meiner regionalen «Zürichsee-Zeitung». Dort schreibt Zita Affentranger fundiert und kritisch über Alexei Nawalnys Vergangenheit und seine politischen Absichten.

In der WOZ hingegen lese ich eine Art Homestory über Nawalnys Team, einzig Wladimir Aschurkows Antworten weisen auf etwas Substanzielleres hin, wie Oligarchengelder auf Schweizer Bankkonten, einen höheren Mindestlohn, mehr Privatisierungen in der Wirtschaft. Das ist zu wenig. Viele spannende Fragen bleiben dabei unbeantwortet. Wer steckt wirklich hinter dem Giftanschlag auf Nawalny? Er hat sich in Russland mehr als nur Putin zum Feind gemacht. Wer ist die Opposition in Russland? Es sind weit mehr Parteien und Organisationen, als in den westlichen Mainstreammedien genannt werden. Warum wird Nawalny von diesen Medien so gepusht?

Die deutsche Bundesregierung war sehr besorgt um Nawalnys Gesundheitszustand, während sie Tausende ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer kalt lassen. Wird Nawalny von EU/Deutschland benutzt, lässt er sich gar benutzen, in der Hoffnung, so seine «Ziele» erzwingen zu können? Ist die Affäre Nawalny eine innere Angelegenheit Russlands? Wenn nein, was wäre eine legitime «Einmischung»? Den tödlichen Rassismus in den USA kritisieren wir, aber keiner kommt auf die Idee, deswegen US-Konzerne oder Politiker zu sanktionieren.

Wie sieht das politische Machtgefüge im heutigen kapitalistischen Russland aus? Ist Putin der Autokrat, als der er bei uns dargestellt wird? Oder vertritt sein System die Interessen bestimmter Oligarchen? Und schliesslich: Staaten haben keine Freunde, sondern Interessen. Welche Interessen zeigen sich in der sich zuspitzenden Auseinandersetzung zwischen EU/Deutschland, den USA und Russland? Überall wird aufgerüstet. Wie könnten die Konflikte friedlich gelöst werden? Ich hoffe, dass die WOZ mit ihrem Potenzial fundiert und kritisch einige Fragen erhellen könnte.

Ch. Bodinek, per E-Mail

Der Mensch im Zentrum

«Essay: Die Verantwortung ist ein ethisches Prinzip; sie kann nie nur das Eigene bedeuten», WOZ Nr. 8/2021

Ein grosses Dankeschön der WOZ für die Publikation des Essays und Gratulation der Autorin Melinda Nadj Abonji für diesen brillanten und scharf analysierenden Text, der sich mit den gängigen Sprachregelungen wie dem Schlagwort der «Eigenverantwortung» und der Rhetorik der politischen EntscheidungsträgerInnen auseinandersetzt.

Nadj Abonji mahnt Verantwortungsbewusstsein auf allen Ebenen an und fordert dazu auf, die Menschen ins Zentrum der Gesundheitspolitik und der Politik überhaupt zu setzen. Die Autorin erinnert daran, dass (nicht bloss im Kontext einer Pandemie) Verantwortung immer nur in Rücksicht auf den Mitmenschen Sinn ergibt, was in der Summe kollektiver und individueller Handlungen zum Gemeinwohl beiträgt; dies ist ein ethischer Wert, den die Politik allenfalls hochhält, wenn es wie im Jahr 2008 im Falle der UBS gilt, ein systemrelevantes Bankinstitut zu retten.

Ein anderes Stichwort: «Güterabwägung». Die in Sachen Waffenexporte Zuständigen in Bundesbern wägen sorgsam den Erhalt heimischer Arbeitsplätze (Exportrisikogarantie) gegen das Leid im Jemen und anderer Kriegsschauplätze ab (die der Einfachheit halber als «Krisenregionen» bezeichnet werden), und so haben sie nichts dagegen, dass im Jahr 2020 mehr Waffen aus der friedlichen Schweiz exportiert wurden denn im Vorjahr …

Dorothee Rippmann, per E-Mail

In Basel klappts

«Grundeinkommen für Kulturschaffende: Ein kleines bisschen Sozialismus», WOZ Nr. 10/2021

Freischaffend ist nicht dasselbe wie selbstständig erwerbend. Was in Zürich nicht klappt, wird in Basel bereits praktiziert.

Danke für den Artikel zu den unbürokratischen Ausfallentschädigungen für die freien Kulturschaffenden, er ist leider unvollständig: Denn der Ansatz von Jacqueline Fehr, den Zürcher Kulturschaffenden mit einer Art Grundeinkommen durch die Coronakrise zu helfen, hat einen gewaltigen Haken: Das Modell richtet sich nämlich ausschliesslich an selbstständig Erwerbende. Im Theaterbereich sind die meisten KünstlerInnen jedoch freischaffend tätig, das heisst, sie arbeiten mit befristeten Arbeitsverträgen.

Im Kanton Basel-Stadt wurde am 9. Februar entschieden, «Taggelder zur Existenzsicherung von Kulturschaffenden» auszuzahlen. Diese Massnahme richtet sich explizit an «selbstständig erwerbende und freischaffende Kulturschaffende». In Basel ist das möglich, da die Kosten mit kantonsinternen Geldern gedeckt werden. Damit das Zürcher Modell ebenfalls allen Kulturschaffenden zugutekommen könnte, bräuchte es ein Einlenken des Bundes.

Ursina Greuel, Koleiterin des Sogar-Theaters in Zürich

Tierische Lebensmittel

«Zukunft der Welternährung: Raus aus der industriellen Landwirtschaft», WOZ Nr. 9/2021

Vielen Dank für den spannenden und gut recherchierten Beitrag von Franziska Meister. Einzig erstaunt hat mich die Tatsache, dass die engen Zusammenhänge zwischen Milchproduktion und Fleischproduktion mit keinem Wort erwähnt werden. Als würde es genügen, weniger Fleisch zu essen! Im Fadenkreuz der «planetaren Übeltäter» stehen immer auch unsere Milch, unser Käse, unsere Butter, unser Mascarpone und unsere Eier. Denn das eine ist ohne das andere leider nicht zu haben!

Nicht die Reduktion unseres Fleischkonsums, sondern die Reduktion unseres Konsums an tierischen Lebensmitteln muss daher im Zentrum unserer Bemühungen stehen.

Peter Tillessen, Zürich

Schwierige Planung

«Krisengewinner: ‹Seit Corona gehts nur noch um Zahlen›», WOZ Nr. 10/2021

Die Arbeitsbedingungen der Logistikerinnen im Onlinehandel verschlechtern sich schon seit längerer Zeit. Die Unternehmen dafür in die Pflicht zu nehmen, ist richtig, greift jedoch meiner Ansicht zu kurz. Die hohe Arbeitsbelastung der Logistiker liegt vor allem daran, dass die Arbeit schlecht geplant werden kann, da der Bestelleingang nicht genügend genau voraussehbar ist. Das Versprechen der Lieferung am darauffolgenden Tag ist eine tolle Dienstleistung. Jedoch muss nicht jedes Paket anderntags im Briefkasten liegen. Oft verstreicht einige Zeit, bis es geöffnet oder benötigt wird.

Wäre es da nicht sinnvoller, die Kundin entscheiden zu lassen, ob eine Lieferung am nächsten Tag notwendig ist, und damit der Unternehmer die Freiheit hat, die Arbeit besser planen zu können und so seine soziale Verantwortung wahrzunehmen? Die Unternehmen sind gefordert, die entsprechenden Angebote zu schaffen. Im stationären Handel funktioniert das üblicherweise.

Wenn wir ökologische und soziale Verantwortung als Dienstleistung, als Produkt ansehen, wird dies den anderen Produkten gleichgestellt und somit ein Handelsgut. Welche Produkte erfolgreich werden, muss die Gesellschaft entscheiden. Soziale und ökologische Verantwortung ist eine persönliche Entscheidung und kann nicht diktiert oder verordnet werden.

Christian Marty, Trub