Kommentar zu Klima und Biodiversität: Zusammen schützen

Nr. 43 –

Der Klimanotstand ist in allen Medien präsent, der Biodiversitätsnotstand viel weniger. Dabei sind sie verknüpft – und lassen sich nur gemeinsam angehen.

Was beschäftigt Sie mehr: das Klima oder die Biodiversität? Die Antwort ist wohl klar: Das Klima erhält viel mehr Beachtung als die Vielfalt der Ökosysteme, der Arten und ihres Erbguts. Über Klimakonferenzen wie die kommende in Glasgow (vgl. «Mit wehenden Fahnen in die Katastrophe» und «Ungleiche Spiesse, bescheidene Ziele, freiwillige Umsetzung» ) berichten die Medien viel mehr als über Biodiversitätskonferenzen. Auch die WOZ.

Ohne stabiles Klima wird es schwierig – das ist inzwischen fast allen klar. Aber wofür brauchen wir so viele Tier- und Pilzarten, Getreidesorten, Sümpfe und Bergwälder? Ginge es nicht auch mit weniger? Die Folgen der schwindenden Vielfalt sind noch schwieriger im Detail vorauszusagen als jene der globalen Erwärmung. Aber von der eigenen Verdauung über die Luft zum Atmen, sauberes Wasser, Medikamente und Essen bis zu Kleidung und Baumaterial: In allem, was wir brauchen, sind wir von nichtmenschlichen Lebewesen abhängig. Nur geht das leicht vergessen, wenn man den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzt.

Die Zukunft der Antibiotika hängt von der Vielfalt der Schimmelpilze ab, die Zukunft des Essens unter anderem davon, wie gut Nutzpflanzen mit immer extremerem Wetter zurechtkommen – also von ihrer genetischen Vielfalt. Und auch davon, ob noch Insekten die Blüten bestäuben und Fische in den Meeren leben. Die Zukunft der Gesundheit ist verknüpft mit der Frage, ob in einer verstädterten Welt genug grüne Räume bleiben, wo Menschen zur Ruhe kommen können, Kontakt mit Tieren und Pflanzen haben – und mit Mikroben, die ihr Immunsystem trainieren.

Umso fataler, dass Klima- und Biodiversitätsnotstand immer noch gegeneinander ausgespielt werden. Regelmässig kommen Vorstösse ins Parlament, die die Energienutzung höher gewichten wollen als Natur- und Landschaftsschutz. Wer bei Wasser- oder Windkraftprojekten genau hinschaut, gilt schnell als kleingeistige Verhinderin: So schrieb die «Zeit» kürzlich flapsig über «Leitungen, die nicht gebaut werden, weil Archäologen nach unterirdischen Schätzen graben oder Umweltaktivisten brütende Rohrdommelpärchen schützen wollen». Klar, manchmal braucht es Kompromisse. Aber Stauseen und Windräder retten das Klima nicht, solange es keinen verbindlichen Plan für den Ausstieg aus den fossilen Energien gibt – und so lange lässt sich die Zerstörung von Ökosystemen im Namen der Energiewende nicht rechtfertigen.

Erst langsam beginnen Klimaforscher und Biodiversitätsspezialistinnen zusammenzuarbeiten. Im Dezember 2020 trafen sich erstmals Wissenschaftler:innen von Uno-Klimarat und Uno-Biodiversitätsrat für einen gemeinsamen Workshop. Sie sind sich einig, dass sich das Klima und die biologische Vielfalt am besten zusammen schützen lassen. In Mooren, die der Luft CO2 entziehen, leben seltene Insekten (siehe WOZ Nr. 41/2021 ), im Wald lassen sich Holznutzung und Artenförderung kombinieren, und auch in der Landwirtschaft suchen Praktiker:innen nach Nutzungsformen, die gleichzeitig mit Humusaufbau das Klima schützen und der Vielfalt dienen.

Für das Klima werden technische «Lösungen» gesucht. Der Biodiversität sollen Schutzgebiete helfen. Ja, es braucht Schutzgebiete – aber vor allem braucht es auf der ganzen Fläche eine Nutzung, die nicht zerstörerisch ist. Und Technik ist nötig, aber noch nötiger ist eine Wirtschaft, die die Welt nicht wie ein Warenlager behandelt. Um das zu verstehen, um handfeste politische Veränderungen anzustossen, hilft ein anderes Denken über die Welt (vgl. «Ganz, ganz anders als wir» ): Wie wir uns als Spezies auf der Erde verorten, ist eine politische Angelegenheit.

Immer wichtiger – und politischer – wird auch die Frage, wie aktive Menschen im Sturm der Bad News psychisch gesund bleiben können. Der deutsche Autor Fabian Scheidler empfiehlt, «aus der binären Logik von Weltrettung und Untergang auszusteigen». Prekär würden die nächsten Jahrzehnte sowieso, aber «jedes Zehntelgrad Erwärmung, das verhindert werden kann, rettet unzählige Leben. Und für jedes einzelne lohnt sich der Einsatz.»