Durch den Monat mit Corina Schwingruber und Nikola Ilic (Teil 2): Wie lebt es sich in Belgrad und Luzern?

Nr. 10 –

In Luzern finden sie ihr Gleichgewicht, in Belgrad die Inspiration: Das Filmpaar Corina Schwingruber und Nikola Ilic über ihr Leben in zwei Städten und über eine Wohnung, aus der ein Projekt wurde.

Nikola Ilic und Corina Schwingruber im Luzerner Kino Bourbaki: «In Luzern ist alles schön und funktioniert. In Belgrad dagegen ist ständig Full House und ein ‹Puff›.»

WOZ: Corina Schwingruber, Nikola Ilic, Sie pendeln zwischen Belgrad und Luzern. Warum teilen Sie sich Ihr Leben zwischen diesen beiden Städten auf? 
Corina Schwingruber: An beiden Orten haben wir Familie und Freunde, doch in Luzern schätzen wir die Schönheit der Stadt und der Natur sehr, die Luft und das Wasser sind sauber, und das politische System funktioniert einigermassen. Belgrad hingegen ist ein Tohuwabohu, jeder Tag ist anders, das Durcheinander und ein extrem kreatives Umfeld inspirieren uns sehr.

Nikola Ilic: Es ist sehr unterschiedlich, auch finanziell. Dort sind wir reich, hier arm. Doch finden wir das Gleichgewicht: Hier ist alles schön und funktioniert. In Belgrad dagegen ist ständig Full House und ein «Puff». Aber ich bin überzeugt, wenn ich nur einen Ort von beiden hätte, mir ginge es nicht gut.

Wie muss man sich Ihr «Pendeln» vorstellen?
Ilic: Wir verbringen meist Frühling und Herbst in Belgrad – ungefähr vier bis fünf Monate. Doch auch dazwischen reisen wir mal spontan hin, denn es gibt in Belgrad immer etwas zu tun. Bei meiner Mutter oder auch mit der Atelierresidenz, die wir koordinieren. Schlussendlich sind wir wohl mehr als ein Drittel des Jahres in Luzern, ein Drittel in Belgrad, knapp ein Drittel unterwegs an Festivals und Drehs. Ich glaube, wir brauchen das einfach, dieses viele Reisen.

Schwingruber: Wir haben den absoluten Luxus, beide Orte verbinden zu können. Mir tun unsere Freunde in Belgrad leid, denn sie müssen sich ständig mit diesem System herumplagen und sich darin zurechtfinden, mit der ganzen Korruption und den teils fehlenden Zukunftsperspektiven. Das macht manchmal ziemlich hilflos.

Sie haben zuvor von einer Atelierresidenz gesprochen – worum geht es da?
Ilic: Wir haben 2016 ein Wohnatelier für Kulturschaffende aus Luzern und dem Thurgau in Belgrad initiiert, und direkt vor der Pandemie kam ein weiteres dazu. Nun sind ständig drei Schweizer Kunst- und Kulturschaffende in den zwei Residenzen. Das gibt einiges zu organisieren, zu koordinieren und auch sonst zu tun. Denn an den Wohnungen muss ständig etwas geflickt werden. Grosse Teile der Infrastruktur in Belgrad sind in einem schlechten Zustand. Viele Handwerker sind nach Westeuropa ausgewandert – hätte ich nicht ein paar gute Kontakte von früher, wir wären aufgeschmissen.

Wie kam es zu diesen Ateliers?
Schwingruber: Die Idee entstand, als wir 2014 ein Atelierstipendium in Ägypten bekamen. Zur gleichen Zeit erkannten wir, dass wir in Belgrad nicht mehr bei Nikolas Mutter und Grossmutter wohnen konnten. Eine eigene Wohnung, die dann monatelang leer stehen würde, wollten wir aber nicht. So entstand die Idee, die Wohnung auch als Atelierstipendium auszuschreiben. Per Zufall suchten die Stadt Luzern und die Kulturstiftung des Kantons Thurgau gerade nach einer neuen Atelierresidenz. Etwas später kam auch die Städtekonferenz Kultur mit derselben Idee auf uns zu. Wir haben uns dann nochmals voll reingehängt und waren im Frühling 2020 bereit – gerade noch vor dem Lockdown.

Ilic: Inzwischen ist es angelaufen, es sind immer Kulturschaffende vor Ort. Der Austausch ist toll, die Leute schätzen die Stadt sehr.

Sind noch weitere Expansionen geplant?
Schwingruber: Tatsächlich ist unser nächstes Ziel, ein Atelierprojekt in der Schweiz für serbische Künstler:innen aufzubauen, damit der Austausch wirklich beidseitig ist.

Schaut man sich Ihre Filme an, wird klar, dass Sie viel Inspiration in Serbien finden. Bekommen Sie dort auch Aufträge?
Schwingruber: Nein. In Serbien gibt es kaum Filmfördermittel, und das Wenige wollen wir den serbischen Kolleg:innen nicht wegnehmen. Unsere Produktionsfirmen und der grösste Teil der Filmcrew sind hier. Doch wenn wir an unseren eigenen Projekten arbeiten, können wir das gut von beiden Orten aus tun.

Was Ihren Hintergrund betrifft, kommen Sie aus jeweils ganz anderen Verhältnissen. Wie wirkt sich das auf Ihr gemeinsames Schaffen und Ihren Alltag aus?
Ilic: Als ich in die Schweiz kam, war das Geld für mich ein grosses Thema. Mit meiner Anstellung als Bühnentechniker am Luzerner Theater habe ich den grösseren Teil unseres Lebensunterhalts verdient. Das war mir damals sehr wichtig. Doch ich glaube, es wäre nicht gut für uns, wenn ich immer noch dort arbeiten würde. Zum Glück hat mir Corina damals in den Hintern getreten, denn ich wollte ja Film studieren, was ich dann gemacht habe. Wichtig ist auch die Offenheit für Veränderungen. Dank dieser funktioniert das bei uns sehr gut mit dem Zusammenleben und -arbeiten.

Schwingruber: Das hört sich jetzt sehr harmonisch an. Wir haben schon auch Krisen. Er kann etwa nicht wirklich streiten aufgrund dessen, wie er mit seiner Grossmutter und Mutter als Einzelkind aufgewachsen ist. Ich hingegen hatte mit meinen Geschwistern eine ausgeprägte Streitkultur. Das ist jedoch kein Nationalitätenproblem, sondern eines von Familienkultur. Und sobald man die Familie richtig kennt, kann man vieles verstehen. Vielleicht nicht stets nachvollziehen, aber verstehen.

Nächste Woche erzählen Corina Schwingruber und Nikola Ilic von ihrem Film «Dida», der von Ilics Mutter und Grossmutter handelt.