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Corina Schwingruber und Nikola Ilic (Teil 3): Wie oft dachten Sie ans Aufhören?

Nr. 11 –

Als Kind schämte sich Nikola Ilic für seine lernbehinderte Mutter. Während er sie gemeinsam mit Corina Schwingruber mit der Kamera begleitete, lernten sich Mutter und Sohn neu kennen.

Nikola Ilic und Corina Schwingruber: «Die Kamera ist in diesen Jahren praktisch zu einem Teil von uns ­geworden.»

WOZ: Corina Schwingruber, Nikola Ilic, in Ihrem Kinodokumentarfilm «Dida» zeigen Sie viel Privates aus Ihrem Leben und jenem von Nikolas Mutter und seiner Grossmutter. Wie kam es dazu?
Nikola Ilic: Auslöser war vor acht Jahren die Krebsdiagnose meiner Mutter Dida. Ich habe damals mit dem Filmen angefangen, nur für mich, ohne Funkmikrofon und Stativ. Es war unser Ritual morgens mit Schnäpsli und Kaffee, mit Grosi und Dida in ihrer gemeinsamen Wohnung. Dida ist sehr speziell, und in ihr steckt vieles, das ich nicht kannte oder kenne. Ich wollte sie einfach noch richtig kennenlernen. So haben wir über die Jahre immer gefilmt, wenn wir da waren. Irgendwann meinte Corina: Lass uns einen Film machen.

Und Sie waren gleich dabei?
Ilic: Nein, ich habe mich damit nicht wohlgefühlt, fand das zu persönlich.

Corina Schwingruber: Wir wollten dann zuerst einen Film über die Symbiose der beiden Frauen drehen. Gar nicht so sehr über Dida und die persönliche Ebene von Nikola.

Ilic: Im Prozess dann – und mit dem Tod meiner Grossmutter – verlagerte sich der Fokus immer mehr. Ich habe mich lange gewehrt, selbst vor die Kamera zu treten, meine Stimme zu geben. Doch viele Leute fanden, meine Sicht müsse mit einfliessen.

Ihre Mutter ist lernbehindert und war zeitlebens von Ihrer Grossmutter abhängig. Was hat der Film bei Ihnen selbst ausgelöst?
Ilic: Es war ein langer, schwieriger Prozess für mich mit Dida. Als Kind schämte ich mich für Dida, sie war immer so schräg. Sie stand in einem gelben, dreckigen Skianzug vor der Schule, und ich wünschte mir so sehr, dass meine Mutter einfach normal wäre oder gar cool. Später habe ich mich dann dafür geschämt, dass ich so dachte. Und während des Filmens habe ich lange geglaubt, dass sie selbstständig leben könnte. Wir mussten aber nach vielen Versuchen einsehen, dass gewisse Dinge nicht möglich sein werden. Durch den Prozess des Films, durch die vielen Stunden und Tage der Auseinandersetzung, konnte ich einige dieser Kapitel abschliessen. Es fühlt sich ein bisschen wie eine Befreiung an.

Vom schlechten Gewissen?
Ilic: Ja, auch ein wenig.

Schwingruber: Er hatte oft ein schlechtes Gewissen, weil wir nicht immer da sein konnten. Ein Problem, das viele binationale Paare kennen.

Ilic: Es ist natürlich auch nicht einfach, wenn meine Mutter traurig ist, weil ich wieder gehe. Aber sie hat eine gute Betreuung, kann mich jederzeit anrufen, und ich besuche sie oft. Aber ich will nicht, dass Dida mit uns lebt. Und es wäre ihr nicht wohl hier. Ihr fehlen zu sehr die Streuner auf der Strasse.

Über acht Jahre Arbeit an einem so persönlichen Projekt: Wie oft dachten Sie dabei ans Aufhören?
Ilic: Mehrfach. Aber jetzt bin ich extrem stolz – und froh, dass der Film fertig ist.

Schwingruber: Es war einerseits sehr intensiv, immer zu filmen, wenn wir in Belgrad waren. Andererseits konnten wir so auch arbeiten, wenn wir eh da sein wollten und sollten, um Nikolas Mutter und Grossmutter zu unterstützen. Doch die Kamera ist in diesen Jahren praktisch zu einem Teil von uns geworden.

Wie war das für Dida, dass sie ständig gefilmt wurde?
Schwingruber: Sie hat es geliebt. Und sie hat sich gefreut, so wichtig zu sein für Nikola. Früher stand die Grossmutter stets im Vordergrund. Der Film gab nun Dida einen neuen Zugang zu Nikola. Und sie war Teil eines Familienprojekts.

Wie geht es ihr jetzt, da die Filmarbeit vorbei ist?
Ilic: Zu Beginn war sie irritiert, dass die Kamera nicht mehr mit dabei war. Sie hat sich Sorgen gemacht, dass wir unsere Rituale verlieren. Aber das hat sich mittlerweile gelegt.

Schwingruber: Und jetzt hat sie ja auch ihren Film.

Und freut sich darüber?
Schwingruber: Sehr. Sie hatte vor der Premiere monatelang ständig danach gefragt. Sie stellte sich alles auch sehr glamourös vor, roter Teppich, Blitzlichtgewitter. Als wir den Film dann letztes Jahr am Festival in Belgrad zeigen konnten, waren wir sehr nervös, was sie dazu sagen würde. Doch sie fand ihn super, brach oft in Gelächter über sich selbst aus.

Ilic: Wir mussten in ihrer ganzen Wohnung Filmplakate aufhängen.

Sind Sie auch sonst im Privaten mit Kamera unterwegs?
Schwingruber: Gar nicht. Wenn, dann sind es Handyfilmchen wie bei allen. Sag niemals nie, aber ich glaube, den persönlichen Dokfilm haben wir abgehakt.

Das klingt nicht gerade begeistert.
Schwingruber: Das ist aber nicht aussergewöhnlich. Ich habe bei jedem Film am Ende das Gefühl, er sei Mist geworden. Jedes Mal denke ich: Die armen Leute müssen sich das nun anschauen, sich da durchkämpfen. Ich habe jeweils fast ein schlechtes Gewissen. Aber das ist wohl normal, wenn man so lange an einem Film gearbeitet hat, ihn so oft gesehen hat.

Corina Schwingruber Ilic (40) und Nikola Ilic (44) bringen «Dida» am 24. März in die Kinos.