Autoritarismus in Zentralamerika: Wer nicht spurt, wird ausgebürgert
Die Präsidenten Daniel Ortega und Nayib Bukele festigen ihre Macht: In Nicaragua wie in El Salvador wird die Opposition verfolgt, und kritische Medienschaffende werden aus dem Land gejagt.
Nicht nur in Guatemala, auch in anderen Ländern Zentralamerikas werden die Medien geknebelt. In Nicaragua etwa gibt es kaum mehr Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender, die nicht direkt oder indirekt der Familie von Präsident Daniel Ortega gehören. Die wenigen, die nicht Teil dieses Imperiums sind, sind lediglich unterhaltend oder folgen brav der Regierungslinie.
Carlos Fernando Chamorro, ehemals Chefredaktor des sandinistischen Parteiblatts «Barricada» und seit 1996 Leiter der investigativen Internetzeitung «Confidencial», arbeitet längst von Costa Rica aus, wohin er vor den Nachstellungen der Justiz geflohen ist. Das Haus in der Hauptstadt Managua, in dem die Redaktion untergebracht war, wurde schon 2019 von der Regierung beschlagnahmt. Als Vorwand für Verhaftungen und Ermittlungen werden in der Regel Steuer- oder sonstige Finanzvergehen erfunden. Ausländischen Journalist:innen, die der Regierung nicht genehm sind, wird die Einreise verweigert; so ist es auch dem Korrespondenten der WOZ ergangen.
Gegen «El Faro» in El Salvador sind die Steuerfahnder:innen schon ein halbes Dutzend Mal vorgegangen; ein Vergehen wurde nie nachgewiesen. Kein anderes Medium des Landes hat so viele Korruptionsskandale der Regierung von Präsident Nayib Bukele aufgedeckt wie diese älteste Internetzeitung Lateinamerikas. «Wir bekamen Todesdrohungen, die Polizei stellte uns nach, immer wieder mussten unsere Journalisten für ein paar Monate aus dem Land fliehen», sagt der Reporter Oscar Martínez. «Aber wir konnten immer direkt aus San Salvador berichten.» Jetzt sei das nicht mehr möglich. «Es ist nicht irgendeine Gruppierung in der Regierung, die hinter uns her ist, es ist der gesamte Staat.» Im April verlegte die mit internationalen Preisen überschüttete Redaktion ihren Sitz in die costa-ricanische Hauptstadt San José. «Wir hatten keine andere Wahl», sagt Martínez.
Eine Enthüllungsgeschichte von «El Faro» ärgerte Bukele besonders. Sie handelt von einem Abkommen, das der Präsident mit den Maras genannten kriminellen Banden geschlossen hatte. Diese wurden schon lange für die Mehrzahl der vielen Morde im Land verantwortlich gemacht und hatten in Armenvierteln eine Art Parallelregierung errichtet. Sie erpressten flächendeckend Schutzgelder und bestimmten, wer das Viertel betreten durfte und wer nicht. Zwangsrekrutierungen unter Jugendlichen waren gang und gäbe. Bukele hatte mit den Maras vor der Parlamentswahl von 2021 heimlich eine Vereinbarung getroffen: Sie wandten weniger Gewalt an, im Gegenzug gab es Hafterleichterungen für gefangene Mara-Chefs. Die sinkende Zahl der Verbrechen verkaufte Bukele als seinen Erfolg, seine Partei Nuevas Ideas gewann bei der Wahl eine Zweidrittelmehrheit. Als letztes Hindernis auf dem Weg zum Autokraten liess er die höchsten Richter:innen des Landes von Polizisten aus ihren Büros werfen und ersetzte sie – verfassungswidrig – durch ihm ergebene Jurist:innen.
Lange Inhaftierung ohne Verfahren
Im März vergangenen Jahres kündigte Bukele das Abkommen mit den kriminellen Banden auf seine Art. Regierungsvertreter:innen bestellten Mara-Führer zu Gesprächen ein, um sie dann verhaften zu lassen. Die Banden reagierten mit über sechzig wahllosen Morden an einem einzigen Tag. Bukele rief daraufhin den Ausnahmezustand aus und liess seither rund 70 000 junge Leute im ganzen Land verhaften. Der Vorwurf lautet pauschal «Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung», Verfahren fanden bislang nicht statt. Immer wieder werden Stadtteile oder auch ganze Städte von der Polizei und der Armee umzingelt und die Häuser durchsucht. Wer männlich, jung und arm ist, wird einfach mitgenommen.
Der Präsident hat für die Opfer dieser Massenverhaftungen ein neues Gefängnis bauen lassen. Und Justizminister Gustavo Villatoro sagte, wer dort einfahre, der werde «nie wieder in seine Nachbarschaft, Gemeinde oder Stadt zurückkehren». In den Gefängnissen wird systematisch gefoltert. Nach einer Mitte Mai veröffentlichten Studie der Menschenrechtsorganisation Cristosal sind in diesem Jahr bislang mindestens 153 Häftlinge zu Tode gekommen. Gut die Hälfte von ihnen erlagen den Folgen der Folter, andere starben, weil ihnen medizinische Versorgung verweigert wurde. Etliche verhungerten – Bukele hatte angeordnet, die Essensrationen zu kürzen.
Die rechte Partei Arena und die linke FMLN, die die Politik El Salvadors drei Jahrzehnte lang bestimmt hatten, stürzten nach Korruptionsskandalen bei der letzten Wahl 2021 ab und sind heute öffentlich kaum mehr wahrzunehmen. Ihre führenden Köpfe werden von der Finanzpolizei verfolgt, sind ins Exil geflohen oder versuchen, möglichst nicht aufzufallen. Nur ein paar ehemalige Kommunist:innen versuchen, sich bei Bukele anzubiedern. Auch die Wirtschaftselite fürchtet sich vor den Nachstellungen der Staatsanwaltschaft. Ihr einst mächtiger Unternehmerverband Anep äussert sich nur selten und dann mit harmlosen Erklärungen.
Kleine Oppositionsbewegung
Aber es gibt auch einen schwachen Keim einer neuen Opposition. Er nennt sich Bloque de Resistencia y Rebeldía Popular, also etwa «Volksblock für Widerstand und Rebellion». Dem Zusammenschluss von 34 Organisationen gehören linke Christ:innen, Bauernorganisationen, Kooperativen und Frauenrechtlerinnen an. Ihr grösster Erfolg war eine Demonstration am 15. September 2021, dem 200. Jahrestag der Unabhängigkeit. Damals gingen über 40 000 Menschen auf die Strasse. «Uns schwebt eine breites Bündnis vor, das bis ins gemässigt rechte Lager hineinreicht», sagt Samuél Rodríguez, einer der Koordinator:innen des Bündnisses. Man brauche dieses Spektrum, um zu einer ernsthaften Konkurrenz für die «Diktatur des Bukele-Clans» werden zu können, sagt Rodríguez. «Das Problem heute ist nicht eines der richtigen Ideologie», schiebt er nach. «Das Problem ist Bukele.»
In Nicaragua hingegen ist von einer aufkeimenden neuen Oppositionsbewegung nichts zu sehen. Seit der vor allem von jungen Leuten getragene Aufstand von 2018 niedergeschlagen wurde, geht Präsident Ortega gegen alle vor, die er als Dissident:innen einstuft. Hunderte von nichtstaatlichen Organisationen wurden verboten. Selbst Rolando Álvarez, der katholische Bischof von Matagalpa, wurde wegen «Unterwanderung der Regierung, Verbreitung falscher Nachrichten und Ungehorsam» zu 26 Jahren Haft verurteilt. Im Februar liess Ortega mehr als 200 politische Gefangene in die USA ausfliegen und verweigert ihnen seither die Rückreise. Ihnen und rund hundert weiteren Oppositionellen wurde die nicaraguanische Staatsbürgerschaft entzogen (siehe WOZ Nr. 10/23).
Die einzige Unruhe, die Kenner:innen des Innenlebens von Ortegas Sandinistischer Befreiungsfront wahrnehmen, ist das Gerangel um seine Nachfolge. Der 77-jährige Präsident ist schwer krank, seine machtbesessene Frau und Vizepräsidentin, Rosario Murillo, ist bei der Mehrheit der Parteianhänger:innen unbeliebt. Das Paar hat aber sieben Kinder, und die Familie versucht, Laureano Ortega, den viertältesten Sohn, als möglichen Nachfolger aufzubauen. Der 41-Jährige aber hat sich bisher mehr seiner Karriere als Operntenor gewidmet als dem Aufbau einer eigenen Machtbasis. Erst in den vergangenen Jahren wurde er von seinen Eltern immer öfter als Chefdiplomat eingesetzt. Daneben gibt es etliche mittlere Kader, die sich Hoffnung auf einen Aufstieg machen. Langjährige Parteimitglieder gehen davon aus, dass der Kampf um die Nachfolge des Präsidenten blutig ausgetragen werden könnte.
Auch der salvadorianische Präsident Nayib Bukele hat seine Familie in seine Regierung eingebunden. Aber er ist erst 41 Jahre alt und gesund, und er will sich im kommenden Jahr wiederwählen lassen. Zwar schliesst die Verfassung eine direkte Wiederwahl aus. Doch das von Bukele verfassungswidrig eingesetzte Verfassungsgericht hat den entsprechenden Artikel bereits für ungültig erklärt.