Durch den Monat mit Gerhard Pfister (Teil 3): Weshalb kritisieren Sie den Lobbyismus nicht generell?
Wenige Tage vor den Parlamentswahlen: Mitte-Präsident Gerhard Pfister kritisiert den parlamentarischen Lobbyismus im Gesundheitswesen scharf und nimmt auch seine Parteikolleg:innen nicht davon aus.

WOZ: Gerhard Pfister, Sie sassen von 2017 bis 2019 in der Gesundheitskommission des Nationalrats und sagten im «Club» des Schweizer Fernsehens, Sie hätten sich noch nie dermassen von Interessenvertreter:innen belästigt gefühlt. Wo liegt das Problem?
Gerhard Pfister: Die Schweiz hat ein exzellentes Gesundheitswesen, und das soll auch so bleiben. Aber die Kosten laufen aus dem Ruder. Praktisch alle Reformbemühungen sind blockiert. Alle Akteure – Spitäler, Kantone, Krankenkassen, Ärzteschaft und Medikamentenhersteller – sagen: Ja, wir müssen reformieren, aber bitte bei den anderen! Die Lobbyistinnen und Lobbyisten verteidigen die Interessen dieser Akteure und lähmen das Bundesparlament. So kann es nicht weitergehen. Wenn selbst Mittelstandsfamilien nicht mehr wissen, wie sie die Prämien bezahlen sollen, drehen wir im roten Bereich.
Das zeigt sich nicht bloss im Gesundheitswesen. Während der Coronakrise politisierten Parlamentarier:innen für Immobilienkonzerne und bei den Rentenreformen gegen die Interessen der Versicherten. Weshalb kritisieren Sie den Lobbyismus nicht generell?
In einem Milizparlament ist er unabdingbar. Lobbyisten tragen legitimerweise gesellschaftliche und wirtschaftliche Partikularinteressen ins Parlament. Was ich im Gesundheitswesen kritisiere, ist die Intensität des Lobbyings, da treiben sie es auf die Spitze; sie führen etwas, was in ein Milizparlament gehört, ad absurdum. Solche Übertreibungen führen irgendwann zu einem Volksentscheid, einem Lobbyismusverbot oder rigiden Regulierungen. So etwa war die Annahme der Minder-Initiative den Boniexzessen geschuldet.
Genützt hat sie nicht. Der Zusammenbruch der CS in diesem Jahr war letztlich eine Folge von Boniexzessen.
Nicht nur, aber auch.
Lobbyismus im Parlament entwickelt sich zu einem demokratiepolitischen Problem – wenn die Politiker:innen nicht primär ihre Wähler:innen repräsentieren, sondern Konzerne und Verbände, von denen sie nicht gewählt sind, aber fürstlich entlöhnt werden.
Man kann mich der Naivität bezichtigen, aber ich gehe von der Positivvermutung aus, dass alle meine 245 Kolleginnen und Kollegen im Parlament das Beste für die Schweiz im Sinn haben und Anliegen von Lobbys gewichten und entsprechend einordnen können. Paul Rechsteiner etwa stand als Ständerat jahrelang in Sold und Lohn der Gewerkschaften. Ich habe ihm nie unterstellt, er sei von ihnen gekauft.
Würden Sie eine Initiative unterstützen, die bezahlten Lobbyismus im Parlament verbietet?
Ich gehe davon aus, dass Lobbyismus in der nächsten Legislatur ein Thema sein wird. Öffentlich debattiert wird es ja bereits. Jede öffentliche Debatte hat eine Dringlichkeit. Noch einmal: Interessenvertretung ist legitim, solange sie transparent ist und ein gewisses Mass nicht überschreitet. Wo diese Grenze liegt, ist Teil der politischen Auseinandersetzung.
Lobbyist:innen müssen zwar ihre Interessenbindungen offenlegen, nicht aber ihre Bezüge. Diese Forderung wäre rasch umsetzbar …
Die bestehenden Regeln genügen. Ich bin ein Anhänger der Selbstverantwortung. Auch ich habe bezahlte Mandate. Aber bevor ich ein solches annehme, nenne ich meine Bedingungen: An erster Stelle stehen meine Überzeugungen, dann kommen die Beschlüsse meiner Partei und meiner Fraktion – und am Ende diese partikuläre Interessenvertretung.
Die exorbitante Prämienerhöhung, steigende Preise und Mieten setzen auch den Mittelstand unter Druck. Was tut Die Mitte dagegen?
Gerade was die Gesundheitskosten betrifft, haben wir unsere Verantwortung wahrgenommen und diese Entwicklung schon vor Jahren kommen sehen. Unsere Kostenbremse-Initiative ist eine Antwort darauf. Zudem stärken wir mit unseren beiden Fairness-Initiativen die Kaufkraft der Ehepaare, indem wir die Diskriminierung bei den Steuern und der AHV beseitigen wollen.
Bei der Rentenaltererhöhung für die Frauen hat Die Mitte mit FDP und SVP paktiert. Sie blinken links und biegen dann doch rechts ab.
Diese Vorlage war eine Mitte-Rechts-Lösung. Die GLP unterstützte sie ebenfalls. Wir haben uns erfolgreich für einen sozialen Ausgleich eingesetzt. Ohne Die Mitte wären die Kompensationen für die ersten neun Jahrgänge tiefer ausgefallen. Das mussten wir SVP und FDP abringen. Ich bin überzeugt: Sonst hätten wir die Abstimmung verloren und wären bei der notwendigen AHV-Sanierung erneut gescheitert. Den Unterschied machten bloss knapp 40 000 Stimmen.
Laut jüngsten Wahlprognosen könnte Die Mitte die FDP überholen. Sollte sie am Wochenende reüssieren, könnten Sie sozialpolitisch mit der Linken in der kommenden Legislatur einiges bewegen.
Es gibt in der Politik keine voreilige Versöhnlichkeit. Wir gehen aus der Mitte heraus mit unseren eigenen Lösungsvorschlägen voran und versuchen, dafür Mehrheiten zu gewinnen. Wie alle anderen Parteien auch.
Gerhard Pfister (61) hat zwölf bezahlte Mandate inne und offenbart dabei eine durchaus spielerische Seite – er präsidiert nämlich den Schweizer Casino Verband. Nächste Woche interpretiert Pfister den Ausgang der Wahlen und deren mögliche politische Konsequenzen.