Durch den Monat mit Gerhard Pfister (Teil 4): Warum haben Sie schlecht geschlafen?
In der nächsten Legislatur dürfte die Mitte-Partei bei politischen Entscheiden das Zünglein an der Waage sein. Wie er diesen Machtzuwachs nutzen will, lässt Parteipräsident Gerhard Pfister vorerst im Vagen.
WOZ: Herr Pfister, Ihrem Mienenspiel haftet gewöhnlich etwas Sphinxhaftes an, jetzt wirken Sie gelöst.
Gerhard Pfister: Ich habe schlecht geschlafen.
Warum denn?
Ein Wahlwochenende ist Adrenalin pur, zumal für einen Parteipräsidenten, der mit Erfolg oder Misserfolg identifiziert wird. Bis die Wirkung des guten Stresses nach einem Wahlerfolg nachlässt, dauert es eben. Ihre Beobachtung trifft zu, ich bin für den Moment zufrieden, wir haben unser Wahlziel sogar übertroffen. Die Öffnung unserer Partei trägt erste Früchte, wir haben in urbanen Gegenden und bei Jungen gepunktet – und die FDP überholt, ein historisches Momentum.
Die SVP ist Wahlsiegerin, die SP legte mehr zu als Die Mitte. Dennoch reden alle von Ihnen. Das erinnert an die grüne Euphorie von 2019.
Bei aller Freude, diese Trendumkehr müssen wir in vier Jahren bestätigen, erst dann ist sie nachhaltig. 2019 konnten wir uns auf tiefem Niveau stabilisieren, jetzt geht es leicht nach oben. Wir konnten uns dort stabilisieren, wo wir bereits stark sind, und in Kantonen zulegen, wo wir bis jetzt eher eine kleine Partei waren. Die Verschiebungen im politischen Zentrum sind vergleichsweise klein, aber unsere Hebelwirkung hat sich nach links und rechts nochmals deutlich erhöht. Wir sind durchsetzungsfähiger.
Die Mitte überraschte in Zürich, wo sie zwei zusätzliche Nationalratssitze holte …
Das ist eindrücklich. Wir haben aber mit Ausnahme von Neuenburg auch in der ganzen Westschweiz Wähleranteile gewinnen können.
Der Politologe Adrian Vatter stellte in der NZZ fest, dass Sie das Potenzial der Fusion mit der BDP bei weitem nicht ausschöpfen konnten. BDP-Wähler:innen wanderten zurück zur SVP.
Vatters Feststellung ist richtig. Als Parteipräsident würde ich es allerdings anders formulieren. Die BDP hat in Graubünden, Glarus und Bern bereits 2019 stark verloren. Die Fusion mit der CVP kam zu spät. Dennoch haben wir dort durch die Fusion Brückenköpfe gewonnen. Die SVP in diesen Kantonen und dann die BDP vertraten eher gemässigte Positionen. Das passt grundsätzlich zu uns. Die Herausforderung wird sein, hier stabil zu werden und im Idealfall unsere Position zu stärken.
SVP-Präsident Marco Chiesa wollte Sie in der SRF-«Elefantenrunde» ins eigene Boot ziehen. Wird der bürgerliche Schulterschluss, der bisher Fiktion blieb, nun vollzogen?
Wir wären ja nicht ganz bei Trost. Unser Erfolg beruht gerade darauf, dass wir uns eigenständig in der Mitte positioniert haben. Ich habe von diesem Schulterschlussgerede nie viel gehalten. Parteien, auch bürgerliche, müssen sich unterscheiden. Sonst könnte man ja gerade so gut SVP, FDP und Mitte fusionieren. Übrigens heissen diese Angebote vonseiten der SVP: «Ordnet euch uns unter!» Das würde sie selber auch zu Recht ablehnen. Ausgehend von unseren Positionen verweigere ich mich selbstverständlich nicht Gesprächen auf Augenhöhe in Sachfragen.
Als Bündnispartner haben Sie ein Problem. Besonders die Ständeratsfraktion der Mitte erscheint unzuverlässig.
Daran arbeiten wir. Wir haben das in der Fraktion immer wieder thematisiert. Es kann nicht sein, dass wir kontrovers debattieren, bis wir eine Lösung finden und einen Fraktionsbeschluss verabschieden – und dann einzelne Ständeräte ohne Vorwarnung solche Beschlüsse unterlaufen.
Sie bezeichnen Die Mitte als Partei der sozialen Verantwortung, scheuen aber Bündnisse mit der Linken. 2024 dominieren Abstimmungen von sozialpolitischer Tragweite – etwa die von der Mitte mitbeschlossene BVG-Revision oder eine 13. AHV-Rente. Sind Sie dafür?
Lassen Sie es mich etwas verkürzt so sagen: Bei all diesen Fragen, von der Inflation, steigenden Mieten bis zu Rentenfragen, lautet die Antwort der Rechten: Die Migration ist an allem schuld – und die der Linken: Bitte mehr staatliche Gelder! Beide Antworten sind falsch. Eine 13. AHV-Rente lehne ich ab. Das ist finanziell nicht machbar und hilft nicht den Menschen, die auf echte Solidarität der Gesellschaft angewiesen sind. Wir müssen eigene, zielgerichtete Antworten finden.
Eigene Antworten klingt gut, aber vage. Wie lauten Ihre Antworten?
Da sind beispielsweise unsere Initiativen für faire Steuern und Renten für alle Ehepaare, die die Kaufkraft des Mittelstands stärken.
Sie haben wohl nicht nur mich überrascht, als Sie am Montag gegenüber CH Media sagten, Die Mitte müsse Bewegungscharakter annehmen. Das wirkt schräg.
Ich bestreite erstens, dass das ein linker Begriff sei. Die SVP integrierte bereits Anfang der Neunziger Bewegungselemente in ihre Parteiarbeit – die wirken bis heute. Wollen wir im 21. Jahrhundert als Mitte zwischen den Polen konkurrenzfähig bleiben, müssen wir ein zeitgemässes Angebot machen. Allerdings müssen wir eigene Stilmittel entwickeln, die zu uns passen. Wir arbeiten daran.
Auf die Frage, ob Die Mitte einen zweiten Bundesratssitz anstrebe, hielt Gerhard Pfister (61) am Mantra fest, dass seine Partei keine amtierenden FDP-Magistrat:innen abwählen wolle.