Pop: Im Einkaufszentrum, wenn dort niemand ist
Panda Bear und Sonic Boom sind beim Reset vom Reset angelangt: Sie treffen sich im Dub Space, um ein paar Pole des psychedelischen Pop zu verschmelzen.
Neu starten, nachstellen, wiedereinsetzen, zurücksetzen: Die Musik, um die es hier geht, will nichts weniger als das Denken über und das Fühlen von Musik einem Reset unterziehen, also neu einstellen. «Reset» hiess letztes Jahr ein sogenanntes neues Album, wie es die Popkritik noch immer nennt, von Noah Lennox (Panda Bear) und Peter Kember (Sonic Boom). Ausgerechnet diese Veteranen des abseitigen Pop sollen unseren Umgang mit Musik verändern? Tatsächlich, «Reset» bietet Stoff, um über Timing, Aufmerksamkeit, Werkcharakter und Formate zu grübeln und zu grooven und den Umgang mit dem Hörstoff mit heutigen Moods und Modi floatender und gestreamter Musik abzugleichen.
Panda Bear und Sonic Boom also – die fünfzehn Minuten Ruhm ihrer (Ex-)Bands Animal Collective und Spacemen 3 liegen weit genug zurück, dass die Nachricht von dieser Paarung bei niemandem Herzrasen auslösen wird. Herzrasen? Schnappatmung? Schüttelfrost? Das sind sowieso keine Erregungszustände, die «Reset» auslösen könnte, diese stetig wachsende Serie, in der Bear und Boom im Zeichen fast unbegrenzter Vertriebsmöglichkeiten – bis dato – drei Versionen in die Soundumlaufbahnen schickten.
Wie aus dem Promomärchen
Am Anfang steht das – im Wissen um den Anachronismus des Begriffs – Original von 2022: «Reset». Neun Songs, man könnte von Sunshine Pop reden, wäre der Begriff nicht retroverseucht. Im Herbst darauf folgt eine «Expanded Edition» mit Instrumentalversionen plus drei Remixen, wohl um den Retroverdacht zu entkräften. Kleiner Vorgriff: Der markante Harmoniegesang der beiden ist bei diesen «Instrumentals» keineswegs gelöscht; die Stimmen floaten im Hintergrund, als hätten sich die Sänger ein paar Schritte vom Mikro entfernt. Oder hat der Mixer die Vocalspuren runtergedreht, mit Hall und Echo bearbeitet, also Dubtechniken angewandt?
Von da ist es nicht weit zum kürzlich erschienenen «Reset in Dub». Der Reset vom Reset aus dem Echolabor von Adrian Sherwood, dem – wie Sonic Boom und Panda Bear weissen – Dubveteranen aus London, Mitgründer des verdienstvollen Labels On-U Sound und in den Achtzigern zur Stelle, wenn Punk und Reggae sich karibritisch Gute Nacht sagten. «Einer der Haupteinflüsse auf ‹Reset› war der jamaikanische Rocksteady, und es schien eine interessante Idee zu sein, diese tropischen Wurzeln wieder aufzugreifen», sagt Sonic Boom.
Sherwood spult seine Routinen ab, um aus einer interessanten, aber nicht unriskanten Idee (Kulturelle Aneignung! «Club Tropicana»! UB40-Kitsch!) Musik zu machen, der man abnimmt, dass sie angefangen hat wie ein schlechtes Promomärchen: Treffen sich Lennox, ein Mittvierziger und Beach-Boys-Fan aus Baltimore, und Kember, ein Fastsechziger und Velvet-Underground-Aficionado aus den englischen Midlands, an der portugiesischen Riviera, wo Kember inzwischen lebt. Sie wollen ihr Faible für Doo Wop karibifizieren. Sherwoods Routinen sind: Bas(s)ics! Bässe tiefer legen. Aufräumen: Überflüssiges entfernen, Löcher lassen, Ornamente aussparen. Panda Bear: «Ich mag grosse, leere Räume; Einkaufszentren, wenn dort niemand ist, den Strand im Winter. Das Rauschen der Brandung übertönt alles andere, also ist es wohl keine Überraschung, dass ich den Dubsound schon immer mochte.»
Reset des Hörens
Bei Resetversuchen gilt erst mal: Vorsicht! Gerade ältere Musiker kaschieren ihren Ideenschwund gern mit Reminiszenzen und verkaufen das Revisiting der eigenen Vergangenheit als Rekontextualisierung. Boom und Bear haben Grösseres im Sinn. Um den Reiz dieser Musik auszukosten, empfiehlt sich ein Reset des Hörmodus: Man sollte die drei Alben nicht hintereinander hören, sondern die Playlist so arrangieren, dass man jeden Song in den drei Versionen hören und die Veränderungen rekapitulieren kann. Vergleichen, wie einst bei den Finde-den-Fehler-Bilderrätseln in Zeitschriften oder bei den Beatles, als 2003 «Let It Be … Naked» rauskam, die für spiessige Rockist:innen «authentische» Albumversion von «Let It Be», bereinigt vom Geigen- und Chöre-Overkill des Produzenten Phil Spector.
Auf «Reset in Dub» treffen sich die ungleichen Freunde Boom und Bear in einem dritten Raum, dem Dub Space des Adrian Sherwood. Im virtuellen Jamaika driftet die Musik durch Rekontextualisierungen zwischen verschiedenen Polen: Ost- und Westküste, kalt und warm, sonnig und noir, Velvet Underground und Beach Boys. Auf diese beiden US-amerikanischen Matrixbands der Sechziger beriefen sich viele, um Ordnung zu stiften in der Entgrenzung nach 1965 – aber in der Regel eben nur auf eine von beiden. Die «Resets in Dub» blühen aber gerade auf, wenn Bear, Boom und Sherwood das Entweder-oder auflösen, die vermeintliche Polarität hinter sich lassen.
Nein, die Beach Boys sind nicht bloss sunny and funny, im Song «I Just Wasn’t Made for These Times» erzählen sie aufs Steinerweichendste davon, wie es ist, fehl am Platz zu sein. Nein, Velvet Underground sind nicht bloss dark und nihilistisch; in «Pale Blue Eyes» erzählen sie aufs Steinerweichendste davon, wie es ist, sich in blassen blauen Augen zu verlieren. Wie im blauen Meer vor Kingston.