Gefährdete Minderheiten: Reiches, knausriges Land

Nr. 48 –

Dem bürgerlichen Sparwahn fällt auch der Schutz jüdischer und muslimischer Einrichtungen zum Opfer – die Finanzkommission hat eine Aufstockung des Budgets abgelehnt. Dabei wäre die staatliche Unterstützung nötiger denn je.

Kameras an der Grossen Synagoge in Basel
Ohne Sicherheitsmassnahmen geht es nicht: Kameras an der Grossen Synagoge in Basel. Foto: Florian Bachmann

«Zionismus = Terror»: Die antisemitische Parole sprühten Unbekannte letzte Woche an die Mauer des jüdischen Friedhofs in Basel. Auf einer Zürcher Hauswand stand kürzlich gar die Schmiererei «Tot den Juden». In Chur beschimpfte ein Passant einen Jugendlichen, der mit seinem Vater auf Arabisch telefonierte, mit dem Ausruf: «Ihr Araber seid doch alle Terroristen.» Und der Lausanner SP-Gemeinderat Mountazar Jaffar erhielt nach einem Interview zu Palästina rassistische Nachrichten. In einer davon – Jaffar machte sie auf X publik – war von «faschistischen, untermenschlichen, palästinensischen Parasiten» die Rede. Als er den Vorfall anzeigen wollte, sei er von der Polizei abgewimmelt worden, berichtete der Politiker mit irakischer Migrationsgeschichte später den Medien.

Dass der Hass auf Minderheiten sich auch hierzulande Bahn bricht, wenn im Nahen Osten der Konflikt eskaliert, ist nicht neu. Aktuell, das zeigt schon ein Blick in die Statistik, ist das Ausmass der Gewalt allerdings deutlich grösser als in früheren Phasen.

Dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) sind allein in der Zeit zwischen dem Pogrom der Hamas in Israel am 7. Oktober und dem 20. November 82 Vorfälle in der Deutschschweiz gemeldet worden, den Hass in den sozialen Medien ausgenommen. (Zum Vergleich: Im ganzen letzten Jahr waren es 57.) Der jüdische Dachverband spricht von einer «starken Häufung». SIG-Geschäftsführer Jonathan Kreutner berichtet von sieben physischen Angriffen auf Jüd:innen innert sechs Wochen, was sonst «sehr selten» sei: «Der Antisemitismus hat exponentiell zugenommen.» Für die Westschweiz hat die Organisation Cicad im gleichen Zeitraum on- und offline 247 antisemitische Vorfälle registriert – und damit «acht- bis zehnmal so viele» wie sonst. Dabei melden sich längst nicht alle Betroffenen bei den Fachstellen.

Dass sich die Gefährdung religiöser Minderheiten verschärft hat, ist auch in der muslimischen Gemeinschaft spürbar. Zwar würden rassistische Vorfälle nicht systematisch erfasst, sagt Pascal Gemperli, Sprecher der Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS), deshalb könne er auch keine genauen Zahlen nennen. «Doch die an uns herangetragenen Fälle nehmen derzeit auf jeden Fall zu.» Der diskriminierende Umgang der Mehrheitsgesellschaft spiegelt sich indes auch in einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts Sotomo, erstellt im Auftrag von Ringier: 44 Prozent der Befragten äusserten «eher negative» Gefühle gegenüber Muslim:innen, 20 Prozent gegenüber jüdischen Menschen.

Unverständliche Prioritäten

Vor diesem Hintergrund hat vergangene Woche ein Entscheid der nationalrätlichen Finanzkommission für Irritationen gesorgt: Bei der Beratung des Bundesbudgets für das kommende Jahr hat deren bürgerliche Mehrheit der Aufstockung von Mitteln zum Schutz von Minderheiten eine Absage erteilt. Von CH Media nach dem fragwürdigen Entscheid gefragt, wies SVP-Präsident Marco Chiesa alle Verantwortung weit von sich. Stattdessen fantasierte er vom «Gebräu» aus «linkem Schreibtisch-Antisemitismus» und «importiertem Antisemitismus gewaltbereiter Muslime», das es zu bekämpfen gelte.

Aktuell stellt der Bund pro Jahr 2,5 Millionen Franken für den Schutz von Minderheiten zur Verfügung, die restlichen Kosten müssen Kantone und Gemeinden sowie die Betroffenen selbst decken. Welche Gesuche um Unterstützung bewilligt werden, entscheidet das Bundesamt für Polizei (Fedpol) «nach den Kriterien der Dringlichkeit, Qualität und Effizienz», wie es auf Anfrage schreibt. Von den 42 für dieses Jahr eingegangenen Gesuchen seien 26 für Synagogen, jüdische Schulen oder Altersheime bewilligt worden, 8 für Moscheen und muslimische Kulturvereine. Gleich viele Anträge lägen für das kommende Jahr vor, so das Fedpol, die beantragten Mittel überstiegen die verfügbaren «deutlich». Entsprechend prüfe das Justizdepartement derzeit zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten.

Eine solche Möglichkeit hatte die Basler SP-Nationalrätin Sarah Wyss mit ihrem Aufstockungsantrag in der Finanzkommission im Sinn. Die von ihr geforderten 2,5 Millionen Franken entsprechen der Differenz zwischen eingereichten und bewilligten Gesuchen, würden also die Finanzierungslücke schliessen. «Die Schweiz hat genug Geld, um nicht entscheiden zu müssen, welche Minderheit wie gefährdet ist und wie viel Geld sie bekommen soll», ist sie überzeugt. Sonst würden bloss Minderheiten gegeneinander ausgespielt. «Unwürdig» sei der Kommissionsentscheid gerade im Hinblick auf die fast 55 Millionen Franken zusätzlich gesprochenen Subventionen für die Landwirtschaft, die Millionen für die Weinpromotion oder den Herdenschutz. «Diese Prioritäten verstehe ich wirklich nicht», sagt Wyss. «Die Bürgerlichen müssen sich überlegen, welches Signal sie mit diesem Entscheid senden.»

Geschlossene Gebetshäuser

SIG-Geschäftsführer Jonathan Kreutner findet es ebenfalls «völlig unverständlich», dass sich die Mehrheit der Finanzkommission gegen eine Budgetaufstockung wehrt, «gerade jetzt, wo die jüdischen Gemeinschaften die Unterstützung so nötig hätten». Da der bislang zur Verfügung stehende Betrag den Bedarf bei weitem nicht abdecke, müssten diese auch weiterhin den Grossteil der Kosten – etwa vier bis fünf Millionen – selbst zahlen. Dies sei «mittelfristig aus eigenen Mitteln nicht bestreitbar».

Pascal Gemperli von der FIDS verweist indes auf einen Grundwiderspruch, der sich mit zusätzlichem Geld nicht auflösen lasse: «Mehr Sicherheit würde Abriegeln heissen, dabei sollte die Moschee doch ein offener Ort sein, der für alle zugänglich ist.» Weil sich in den letzten Jahren die Sicherheitslage verschärft habe, würden einige Moscheen zwischen den Gebetszeiten die Gebäude abschliessen, auch stärkere Türen seien eingebaut, Kameras installiert worden. Gemperli sagt aber auch, dass die Vergabepraxis oftmals nicht der Realität muslimischer Gemeinschaften entspreche: «Für kleinere Beträge braucht es keine Unterstützung des Bundes, für die grösseren ist es wiederum schwierig, den verbleibenden Teil aufzutreiben.»

Ein jahrelanger Kampf

Dass der Bund sich an den Sicherheitskosten gefährdeter Minderheiten beteiligt, ist eine vergleichsweise neue Entwicklung. Jahrelang hatte der Staat so getan, als gehe ihn der Schutz der rund 18 000 Jüd:innen und 450 000 Menschen muslimischen Glaubens in der Schweiz nichts an, als sei dieser nicht seine Aufgabe. Jahrelang hatten sich Bund und Kantone bloss gegenseitig die Verantwortung zugeschoben.

2016 noch hatte das Departement von SP-Bundesrat Alain Berset mit der Forderung für Kritik gesorgt, die Jüd:innen könnten selbst für ihre Sicherheit aufkommen – es bediente damit den antisemitischen Topos vom «reichen Juden». 2019 folgte dann aber der Paradigmenwechsel: Nach Druck aus dem Parlament trat eine Verordnung zum Schutz «gefährdeter Minderheiten» in Kraft.

Erst sprach der Bund jährlich allerdings bloss lächerliche 500 000 Franken für jüdische und muslimische Gemeinschaften, Fahrende oder die LGBTIQ+-Community. Weil die beim Fedpol eingereichten Gesuche das Budget deutlich überschritten, wurde die Unterstützung auf die heutigen 2,5 Millionen aufgestockt. Erst wurden nur bauliche Schutzmassnahmen wie Zäune, Panzertüren und Alarmanlagen finanziert, später auch die laufenden Kosten der Gemeinschaften wie die Löhne fürs Wachpersonal. Nach diesem jahrelangen Kampf ist der Entscheid der Finanzkommission ein blamabler Rückschritt – nun geht das Tauziehen um die Finanzierung des Minderheitenschutzes im Nationalrat weiter: Die Budgetdebatte ist für nächsten Donnerstag traktandiert.

Grundsätzlich könne es allerdings keine Lösung sein, allein auf Mauern zu setzen, sagt SP-Politikerin Sarah Wyss. Mindestens genauso wichtig sei die Förderung eines friedlichen Zusammenlebens in der Gesellschaft. «Wir müssen mehrgleisig fahren, auch an den Schulen beispielsweise das Verständnis für andere Religionen fördern.» Eine weitere Möglichkeit für die Sensibilisierung der Mehrheitsgesellschaft hatte die Basler Grüne Sibel Arslan schon im Frühling 2022 ins Spiel gebracht, als sie von Bund und Kantonen eine Strategie gegen Antisemitismus forderte. Mehr als hundert Nationalrät:innen unterstützten den Antrag – das zuständige Innendepartement von Alain Berset wischte das Anliegen als «nicht nötig» vom Tisch.

Nachtrag vom 14. Dezember 2023: Plötzlich eine Mehrheit für die Minderheiten

Die Kapriole der bürgerlichen Parlamentsmehrheit ist blamabel. Auch wenn die Geschichte jetzt ein glückliches Ende gefunden hat. Der Nationalrat hat den Antrag der SP-Nationalrätin Sarah Wyss, mehr Geld für den Schutz von Minderheiten zu sprechen, angenommen. Neu sollen 5 statt wie bisher 2,5 Millionen Franken zum Schutz von Synagogen, Moscheen sowie von LGBTQ+-Communitys zur Verfügung stehen. Die rechte Mehrheit in der Finanzkommission des Nationalrats hatte diese Verdoppelung in der Vorberatung noch abgeschmettert. Angesichts antisemitischer Sprayereien wie auch antimuslimischer Ressentiments im Zuge des Nahostkriegs hatte der Entscheid in der Öffentlichkeit für Irritationen gesorgt.

In der laufenden Wintersession berät das Parlament über das Bundesbudget. Am Montag verabschiedete der Nationalrat seinen Vorschlag mit einer Mehrheit von gerade einmal vier Stimmen. Es geht bekanntlich um sehr viel Geld: Die geplanten Bundesausgaben belaufen sich insgesamt auf rund 90 Milliarden Franken. Die zusätzlichen 2,5 Millionen Franken, die Wyss für den Schutz von Minderheiten beantragt hatte, kann der Bund hingegen aus der Portokasse bezahlen. In der Ratsdiskussion ruderten die Bürgerlichen denn auch zurück. Mitte und FDP befürworteten Wyss’ Antrag. Sogar der Bundesrat sprach sich dafür aus. Das reichte letztlich locker für eine Mehrheit in der grossen Kammer. Der Ständerat hatte bereits letzte Woche einem gleichlautenden Einzelantrag von FDP-Mann Thierry Burkart zugestimmt. Damit ist die Budgeterhöhung gesichert.

Eine «grosse Erleichterung» sei das, sagt Sarah Wyss. «Jetzt können die betroffenen Stellen und Organisationen fest mit der Aufstockung planen.» Auch wenn die endgültige Verabschiedung des gesamten Bundesbudgets noch bevorsteht. Der Stimmungsumschwung in der Ratsdebatte sei für sie nicht überraschend gekommen, sagt die Basler Nationalrätin. «Ich setzte bei diesem Geschäft von Anfang an mehr Hoffnung in den Rat als in die Kommission.» Dass diese sich anfänglich gegen die geringfügige Erhöhung des Budgets ausgesprochen hatte, sagt viel über die Arbeitsweise des bürgerlichen Machtkartells in Bundesbern aus. Sarah Wyss: «Die Finanzkommission lehnt – ohne sich gross damit auseinanderzusetzen – fast alle Anträge von links von vornherein ab.» Das sei «sehr bedauerlich» und erschwere die Arbeit in der Kommission.