Luxus im Alter: Wohlgepflegt in die Oper

Nr. 1 –

Illustration von Luca Schenardi: Armreif

Sebastian (68): «Lieber reich und gesund als arm und krank!» Julia (72): «Wie bitte?» S.: «Das haben wir früher immer gesagt, da hats gepasst.» J.: «Stimmt, bei meiner Tante hab ich das noch hautnah erlebt. Die war ihr Leben lang Verkäuferin; auch als sie meine Cousine bekam, arbeitete sie weiter, meist auf Abruf, der Kindsvater war längst über alle Berge. Nach der Pensionierung reichte ihre AHV nur ganz knapp, Ergänzungsleistungen wollte sie nicht, sie schämte sich. Ich weiss noch, dass sie im Winter öfter im Supermarkt rumschlich und nichts kaufte – bloss, um mal unter Leuten zu sein. Altersarmut nannte man das, es war ziemlich verbreitet.»

S.: «Krass! Meine Grosseltern waren ständig auf Reisen, der Alte war vorher Apotheker gewesen. Sie blieben erst zu Hause, als er Parkinson bekam. Als meiner Grossmutter die Pflege zu viel wurde, heuerte sie eine 24-Stunden-Pflegerin aus Polen an. Sie konnten sich das zum Glück leisten.» J.: «Kein Mensch engagiert doch heute noch Polinnen, die dann monatelang von ihrer Familie getrennt sind. Das macht doch die Hauspflege – und zwar supergut und gratis noch dazu.»

S.: «Das hat sich aber erst geändert, als sie das Aktienrecht modernisiert haben. Jetzt gehen drei Viertel der Gewinne in den öffentlichen Sektor, als Dividenden werden bloss noch maximal zehn Prozent ausgeschüttet. Die Aktionäre haben getobt, aber nach der vierten Volksabstimmung gings plötzlich. Muss man sich mal vorstellen!»

J.: «Wenns damals schon so was wie die ‹Küchen für alle› gegeben hätte – meiner Tante wärs echt besser gegangen, da hätte sie auch Leute kennengelernt. Sie liebte übrigens Opern, aber das war der totale Luxus. Ein einziges Mal war sie dort, um ‹Aida› zu sehen. Aber ihr Platz war ganz oben hinter einer Säule.» S.: «Wir gehen inzwischen wöchentlich. Zehn Franken auf allen Plätzen – es ist immer brechend voll!» J.: «Ich habs nicht so mit Opern. In meinem Rock-Pop-Kulturabo kommt nächste Woche Billie Eilish. Die ist mit ihren 52 immer noch voll der Hammer!»

Karin Hoffsten ist WOZ-Kolumnistin.

Illustration: Luca Schenardi