Armeefinanzen: Helm ohne Kopf

Nr. 6 –

Es war der wohl irrwitzigste und unverantwortlichste Entscheid, den die bürgerliche Mehrheit im Parlament seit langem gefällt hat. Und just noch in jenem Bereich, in dem sie sonst die Vernunft für sich gepachtet haben will: in der Finanzpolitik.

Nach dem Grossangriff Russlands auf die Ukraine hat sie 2022 beschlossen, das Armeebudget müsse ein Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen. Anfänglich sollte das Ziel bis 2030 erreicht werden. Später wurde es auf 2035 verschoben. Wie auch immer: Das Armeebudget dürfte damit von heute 5,5 auf rund 10 Milliarden Franken steigen – es wird also praktisch verdoppelt.

Irrwitzig ist der Entscheid, weil es für die Kopplung ans BIP keine logische Begründung gibt. Klar, die Nato verpflichtet ihre Mitgliedstaaten, zwei Prozent ihres BIP fürs Militär auszugeben. Doch dabei handelt es sich um einen Vergleichswert: Die reicheren und weniger reichen Staaten sollen im Verhältnis gleich viel ans Militärbündnis zahlen. Der Schweizer Richtwert ist hingegen aus der Luft gegriffen. Weil er tiefer ist als jener der Nato, verschleiert er zudem das Wesentliche: dass die Schweiz pro Kopf heute schon mehr für ihre Armee ausgibt als Deutschland, Österreich oder Italien. Von den Nachbarländern bezahlt nur die Atommacht Frankreich mehr.

Unverantwortlich ist die BIP-Kopplung zudem, weil damit just das Budget jenes Staatsbereichs verdoppelt wird, der bezüglich Finanzen häufig durch Intransparenz glänzt. Jüngstes Beispiel ist die Diskussion um Liquiditätsengpässe der Armee. Sie muss ausstehende Verpflichtungen über 1,4 Milliarden Franken auf die nächsten Jahre verschieben. Wie Recherchen der WOZ zeigen, dürfte das Monsterprojekt Kampfjetbeschaffung der Grund dafür sein: Es verstellt das ordentliche Budget (vgl. «Amherds luftige Versprechen»).

Armeechef Thomas Süssli konnte bisher keine schlüssige Erklärung für den Engpass liefern. Immerhin stellt er sich den Fragen der Medien. Verteidigungsministerin Viola Amherd hüllt sich in Schweigen. Die Zeit arbeitet dabei für sie: Im Frühling darf sie ihre neue Armeebotschaft präsentieren – und damit ihren Plan zur Ausschöpfung des erhöhten Militärbudgets. Im für sie besten Fall erhält Amherd für die aktuellen Liquiditätsprobleme sogar noch zusätzliche Mittel.

Der nun sichtbar gewordene Engpass sollte dem Parlament stattdessen Anlass bieten, die beschlossene Aufrüstung zu überdenken – gerade im Hinblick auf die Bedrohung durch Russland. Das autoritär-mafiöse Regime von Wladimir Putin führt gegen die Ukraine einen Krieg um die eigene Vergangenheit. In der grossrussischen Fantasie sollen die Gebiete, die einst zum Zarenreich und später zum Sowjetimperium gehörten, zurückerobert werden. Und vor allem darf in der früheren Einflusssphäre keine demokratische Alternative entstehen. Das war einer der Gründe, warum Putin nach den Bolotnaja-Protesten von Russlands Jugend 2012 und dem kurz darauf erfolgreichen Euromaidan in der Ukraine die Krim annektierte – und den heutigen Krieg lostrat.

Insofern ist die Angst namentlich der baltischen Staaten nachvollziehbar, von Russland angegriffen zu werden. Dass aber «Raketen auf Zürich und Lausanne» fallen könnten, wie der Berner Polizeidirektor am Wochenende ventilierte, ist schlicht Panikmache.

Natürlich kann sich die Schweiz – die geplanten Landungen von Kampfjets auf Autobahnen künden leider davon – mental noch einmal in den Kalten Krieg zurückbunkern. Ehrlicher wäre die Einsicht, die spätestens seit dem Wiener Kongress von 1815 gilt: Die Grossmächte haben ein Interesse, dass die Passhöhe Schweiz in der Mitte Europas brav neutral bleibt. Den Tresor des Kontinents greift man besser nicht an, das stört bloss die Geschäfte. Auch jene der russischen Oligarchie.

Nutzen wir deshalb das Geld, das wir mit dieser Neutralität oft unverdient verdienen, für den Wiederaufbau der Ukraine – auch als Zeichen für die Unterstützung im Kampf für die Demokratie. Bis das Parlament zu dieser Einsicht gelangt, könnte es immerhin Bundesrätin Amherds Rolle bei den Armeefinanzen klären. Trotz des neuen Namens ihrer Partei soll für sie eines nicht gelten: Ab durch die Mitte.

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Kommentare

Kommentar von peter.sigerist

Do., 08.02.2024 - 20:32

Eigentlich hätte ich heute auf der WoZ-Front einen Motivationsartikel für den Schlussspurt für den möglichen historischen Erfolg der 13. AHV-Rente am 3.3. erwartet (und nicht nur 2 bezahlte Inserate). Stattdessen ein Frontaufmacher und eine ganze Seite über die alt bekannten Armee-Finanzgeschichten, bei der übrigens BR Amherd sich zum Ärger der Armeespitze NICHT für die Aufstockung stark machte. Diese alte Geschichte wird hier erst noch in die alte Weltordnung eingebettet: Hoch die Neutralität (ausgerechnet!) und nicht zurück in den Kalten Krieg, als wäre dies überhaupt die Frage, gibt es doch eine neue geostrategische Weltlage, über die zu reflektieren auch die WoZ nicht herumkommt, wenn schon LMD wegen Mélenchon-Putin-Nähe dazu kaum mehr etwas hergibt. Sorry, aber für mich ist dies sowohl in Sachen AHV als auch in Sachen Neutralitäts- und Sicherheitspolitik eine verpasste Chance!