Armeeausgaben: Der PR-Coup des Jahres
Diffuse Gefahren, düstere Szenarien: Die Armee setzt sich geschickt in Szene, um ihre Aufrüstung zu forcieren. Politik und Medien folgen ihr weitgehend kritiklos – und offenbaren so ein erschreckendes Sicherheitsverständnis.
Punkt neun Uhr startete am Mittwochmorgen auf SRF die Liveübertragung der Armeeübung «Alpha Uno». «Wir liefern Ihnen das heim in die Stube, sodass sie möglichst alles mitbekommen», begrüsste der Moderator das Publikum, auf einer Brücke über der Autobahn A1 bei Payerne VD stehend – dem Autobahnabschnitt, den die Luftwaffe ab Dienstagabend für 36 Stunden sperren liess, um ihre F/A-18-Kampfjets starten und landen zu lassen. «Wir werden runtergehen zu den gelandeten Piloten und mit den Bodentruppen reden, die die Flieger wieder startklar machen», kündigt der Moderator freudig an und schwärmt später von den «wunderbaren Bildern». Staunt, wie «eng es auf dieser Autobahn für die Jets ist». Fast vier Stunden wird SRF am Ende live und sehr nah über «Alpha Uno» berichten.
Da es sich nicht um einen öffentlichen Anlass handle, habe sich die «Chefredaktion Video» entschlossen, «diesen im Sinne des Service public zu übertragen», schreibt SRF auf Anfrage. Das Interesse an einem solchen Anlass sei aus Erfahrung nicht nur bei Aviatikfans gross. Die Kosten für die Übertragung «bewegen sich voraussichtlich im mittleren fünfstelligen Bereich», so SRF weiter.
Wo liegen die Gefahren?
Das mediale Interesse an der «Militärübung der Extraklasse» («Watson») war weit über das Staatsfernsehen hinaus riesig. Reihenweise Liveticker, historische Stücke über vergangene Autobahn-Kampfjetübungen und Porträts von Kampfpiloten. «Wir wollen unserer Bevölkerung auch zeigen und ihr beweisen, dass wir für sie da sind und dass wir Sicherheit produzieren und das auch können», kommentierte Luftwaffenchef Peter Merz in einer SRF-Sendung – wie gewohnt ohne Nachfrage des Journalisten, wieso ausgerechnet eine Autobahnsperrung und Kampfjets, die kurz vor der Ausmusterung stehen, Sicherheit produzieren sollen – vor dem Hintergrund der realen Gefahren.
Der Test diene dem Ziel, «die Verteidigungsfähigkeit mittels sogenannter Dezentralisierung zu stärken», so die Armee in der Medienmitteilung zum Anlass. Die Luftwaffe verfüge heute noch über drei Jetflugplätze. Die Start- und Landemöglichkeiten der Luftverteidigung seien damit auf wenige Standorte konzentriert, was sie entsprechend anfällig und verwundbar mache. «Um dieses Risiko zu minimieren, setzt die Luftwaffe unter anderem auf die Dezentralisierung als passive Luftverteidigungsmassnahme», heisst es weiter. Konkret übt die Armee also für das Szenario eines Angriffs, im Fall dessen sie die Kampfjets auf Autobahnen landen lassen will, um sie weniger anfällig für Bombardierungen zu machen.
Auf die Nachfrage, wie hoch denn das Risiko eines militärischen Angriffs auf kritische Infrastrukturen wie Flugplätze bewertet werde, antwortet die Armee mit Verweis auf eine Verlautbarung des neu geschaffenen Staatssekretariats für Sicherheitspolitik: «Eine direkte militärische Bedrohung durch einen Angriff auf die Schweiz zu Land oder aus der Luft ist kurz- und mittelfristig unwahrscheinlich.» Aber die Bedrohungen für die Schweiz hätten sich verschärft, beispielsweise durch Cyberangriffe oder Beeinflussungsaktivitäten. Und andere Bedrohungen blieben erhöht, etwa durch Terrorismus. «Gleichzeitig erscheinen internationale Anstrengungen zu Frieden und Sicherheit als immer weniger wirksam», schreibt die Armee weiter.
Diese Antworten sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens verdeutlichen sie, dass «Alpha Uno» eine sinnbefreite Übung ist, weil sie den – gemäss der Armee selbst – real vorhandenen militärischen Gefahren, also Cyberangriffen, Desinformationskampagnen anderer Staaten und Terrorismus, rein gar nichts entgegensetzen kann. Zweitens legen sie sehr gut offen, in welchen Bereichen eine Aufrüstung tatsächlich sinnvoll erschiene. Drittens überrascht die Unverfrorenheit, mit der die Armee friedenspolitische Bemühungen gering schätzt.
Geschlechtergraben im Ständerat
Es sind nicht nur die Medien, die der Armee-PR verfallen. Auch die Politik ist nicht davor gefeit. Ganz im Gegenteil: So hat der Ständerat am Montag beschlossen, die Armeeausgaben für die kommenden vier Jahre auf knapp dreissig Milliarden Franken hochzuschrauben. Das sind vier Milliarden Franken mehr, als der Bundesrat vorgeschlagen hat – auf Kosten vor allem der Entwicklungszusammenarbeit, der nach dem Willen der bürgerlichen Mehrheit zwei Milliarden Franken weggenommen werden sollen. Das Geld benötigt die Armee in erster Linie für die neuen F-35-Kampfjets, aber auch für neue Artillerie oder gepanzerte Fahrzeuge mit integrierten Lenkwaffen. Schweres Gerät, das für den Kriegseinsatz bestimmt ist. «Was bisher nur implizit stattfand, wird nun schamlos gefordert: Die Armee streicht anderen Bereichen das Geld», fasst die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) den Dammbruch im Ständerat gut zusammen.
Franziska Roth, SP-Ständerätin und Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission, ist auch einen Tag nach der Debatte in der kleinen Kammer noch hörbar aufgewühlt. Sie hatte am Montagabend vergebens versucht, eine Diskussion auf der Grundlage realistischer Bedrohungsszenarien zu führen: «Gegen Desinformation, Cyberangriffe und Spionage hilft uns Heavy Metal einfach nichts», sagte Roth während der Debatte und kritisierte vor allem auch den Bundesrat, der bisher auf «eine Vernehmlassung und damit auf eine breite öffentliche Debatte über die künftige Ausrichtung der Armee» verzichtet habe und seine eigenen Sicherheitsberichte nicht ernst nehme. Eine solche Debatte sei bitter nötig.
Mit ihren Bedenken biss Roth vor allem bei ihren männlichen und bürgerlichen Ratskollegen auf Granit. «Ich habe einen deutlichen Geschlechtergraben gespürt», sagt Roth gegenüber der WOZ. Auf der einen Seite stünden die bürgerlichen Männer, «die Sicherheit offenbar so deuten, dass selbstdefinierte Fähigkeitslücken der Armee, die auf unplausiblen Szenarien beruhen, gefüllt werden müssen». Auf der anderen Seite die Frauen, «die nach Lösungen suchen, um als Schweiz eine solide ernste Partnerin der Europäischen Länder und der Ukraine zu sein». Immer würden Kollegen sie auf das sogenannte Schwarzbuch der Armee hinweisen, eine Publikation aus der Feder von Armeechef Thomas Süssli, die als Strategiepapier daherkomme, im Kern aber ein Forderungskatalog für eine möglichst hochgerüstete Armee sei.
Autobahn als Sinnbild der Debatte
Was Franziska Roth besonders erschüttert hat, sind die beschlossenen Kürzungen von zwei Milliarden Franken bei der Entwicklungszusammenarbeit. «Was für ein Zeichen sendet hier die Schweiz, eines der reichsten Länder der Welt, an die internationale Gemeinschaft? Während wir uns bis an die Zähne bewaffnen für eine kaum realistische Gefahr, streichen wir den Ärmsten dieser Welt die Unterstützung. Ich muss es so deutlich sagen: Ich halte das für ein grosses Versagen des Ständerats», so Roth. Sie hofft, dass der Nationalrat, der das Geschäft in der Herbstsession behandeln wird, das Ruder herumreissen wird. «Denn was ist das für ein Sicherheitsverständnis, das praktisch nur die militärische Aufrüstung als Lösung sieht?»
Am Ende ist die Autobahn ein durchaus passender Schauplatz, um das Niveau der Schweizer Sicherheitsdebatte zusammenzufassen: Die Armee kann sie für eineinhalb Tage für eine sinnbefreite Übung sperren und erntet dafür Bewunderung von weiten Teilen der Politik und der Medien. Klimaaktivist:innen hingegen, die mit ihren – in kürzester Zeit von Sicherheitskräften aufgelösten – Autobahnblockaden auf den Umstand hinweisen, dass kein anderer Sektor in der Schweiz mehr Treibhausgase emittiert und damit die Klimakrise stärker befeuert als der Privatverkehr, sind für dieselben Kreise nervig bis kriminell.