Praktische Hilfe: Selbst ist die Solidarität
Freiwillige, Studierende, Kirchen, Universitäten – oder geflüchtete Menschen selbst: Im Asylbereich bemühen sich zahlreiche Menschen und Institutionen um eine würdige Behandlung von Asylbewerber:innen. Drei Einblicke.
Deutschunterricht für tout le monde
Das Wuseln nimmt kein Ende. 150 bis 170 geflüchtete Menschen besuchen jeden Freitagmorgen den Deutschunterricht, den der Verein Solinetz in Kooperation mit der Zürcher Citykirche Offener St. Jakob anbietet – und zwar aller Stufen von Alphabetisierung bis B2. Manche trudeln zum ersten Mal im Kirchgemeindehaus Aussersihl ein, zum Beispiel eine brasilianische Familie, die im Eingangsbereich auf die Zuteilung zu einer Klasse wartet. Andere kommen bereits seit Jahren, begrüssen die alten Bekannten, tauschen sich über die vergangene Woche aus.
Der Aufenthaltsstatus der Geflüchteten ist sehr unterschiedlich, die Nationalitäten ebenso, hier dürfen alle kommen. Der Frauenanteil ist hoch, vor dem Klassenzimmer steht ein Dutzend Kinderwagen, Freiwillige kümmern sich während der eineinhalb Stunden Unterricht um die Kinder. Manchmal, erzählt die Projektkoordinatorin und Sozialarbeiterin Monika Golling, seien es bis zu dreissig, die hier betreut würden.
Gegründet wurde das Projekt vor gut sechzehn Jahren mit fünf Geflüchteten und fünf Freiwilligen. Heute beteiligen sich rund siebzig Freiwillige am Projekt, als Lehrer:innen, im Aufbau- oder im Küchenteam. Etwa Ruth Schucan, eine der Gründerinnen, die gerade mit vier Frauen um einen Tisch sitzt. Ruth, wie sie alle nennen, drückt die Stoppuhr, die Frauen müssen innert zwei Minuten auf Deutsch erzählen, was sie in ihrem Herkunftsland gearbeitet haben, die anderen ihnen im Anschluss auf Deutsch Fragen stellen. Ruth schreibt die Wörter, die die Frauen nicht kennen, auf einen grossen Zettel. «Langweilig», «verrückt», «schlechte Laune». Eine Frau zeigt eine kosovarische Spezialität auf dem Handy, die sie früher als Bäckerin hergestellt hat. Die Stimmung ist gelöst, es geht hier auch um den Austausch.
Projektkoordinatorin Golling kann Dutzende Geschichten von Menschen erzählen, die in die Schweiz gekommen sind und sich etwas aufbauen konnten, aber sie kennt auch viele Geschichten von solchen, die herbe Rückschläge erlitten, durch alle Maschen fielen oder vom System im Stich gelassen wurden. Psychische Gesundheit sei unter den Geflüchteten ein grosses Thema, sagt Golling. Umso wichtiger seien Inseln wie diese.
Alltag für Ausreisepflichtige
Im Aarauer Telli-Quartier steigen ein paar Jugendliche aus dem Bus, es ist Montag, kurz vor 10 Uhr. Von ihren grossen Schulrucksäcken angeschoben, betreten sie einen grauen Backsteinbau. Hier werden sie im zweiten Stock von Susanne Klaus erwartet, Koprojektleiterin von «Leben & lernen». Es ist gerade Pause, ein Teil des Unterrichts ist schon vorbei, manche Jugendliche kochen Tee, fläzen auf den Sofas herum, spielen am Töggelikasten, begrüssen die Neuankömmlinge. Bald werden alle in die Klassenzimmer verschwinden und Deutsch pauken.
Die Jugendlichen sind unbegleitete Minderjährige, die meisten sind vorläufig Aufgenommene, manche befinden sich im laufenden Asylverfahren. «Leben & lernen», ein 2015 vom Verein Netzwerk Asyl Aargau gegründetes und inzwischen vom Kanton finanziertes Projekt, organisiert hier den Unterricht. Und: Bis zu acht Menschen, deren Asylgesuche abgelehnt wurden – auch «Ausreisepflichtige» genannt –, kochen hier jeden Mittag selbstorganisiert für die Anwesenden. An dieses Projekt bezahlt der Kanton nichts, finanziert wird das Mittagessen über Spendengelder.
Viele Ausreisepflichtige können nicht ausreisen, weil sie keine Papiere besitzen. Sie verbringen teilweise Jahre in der paradoxen Situation der regulären Illegalität. Und es gibt praktisch keine Angebote und Tagesstrukturen, bezahlt arbeiten dürfen sie nicht, nur Freiwilligenarbeit ist erlaubt. Heute stehen zwei Männer am Herd, in einem grossen Topf kocht bereits Gemüsecurry. Sie sind seit mehreren Jahren in der Schweiz und sprechen fliessend Deutsch, beide leben von einer Nothilfe von 52.50 Franken pro Woche. Vier Tage die Woche bereiten sie den Mittagstisch vor. Seit er klein sei, koche er schon, sagt der eine, sie seien ein sehr gutes Team. Das Kochteam sei eine kleine Familie, ergänzt der andere, dank ihr habe er Austausch, lerne viel Neues.
Immer wieder gelingt es den Projektleiter:innen rund um Klaus, für die Ausreisepflichtigen Härtefallgesuche durchzubringen, die einzige Chance, die Ausreisepflichtigen noch bleibt. Vor wenigen Wochen war das Gesuch für eine junge Frau aus dem Küchenteam erfolgreich, sie beginnt bald mit dem Lehrgang Pflegehelfende des Roten Kreuzes. «Ein Glück», sagt Klaus, auch wenn es immer traurig sei, sich von jemandem verabschieden zu müssen. Man kennt sich nach all den Jahren und ist aufeinander angewiesen.
Recht in Asylrechtsfällen
Neben Struktur im Alltag, Deutschkursen, Beratungen und Betreuung brauchen viele Asylsuchende rechtlichen Beistand, zu dem sie oft keinen niedrigschwelligen Zugang haben. Oder den sie sich nicht leisten können. In dieser Lücke wirkt die «Human Rights Law Clinic», ein Projekt der Universität Bern, das 2017 auf Initiative von Rechtsprofessoren und Wissenschaftlerinnen aus dem akademischen Mittelbau entstanden ist. Es vernetzt Anwält:innen und Jus-Studierende, die gemeinsam in der Regel «pro bono», also ohne Bezahlung, Menschen zu ihrem Recht verhelfen und für sie Verfahren führen.
Die Law Clinic sei in erster Linie ein Lehrangebot und stehe nicht in Konkurrenz zu Anwält:innen, erklärt Jann Schaub, Postdoc am Institut für Strafrecht und Kriminologie und Leiter der Koordinationsstelle der Law Clinic. Die Fälle würden so ausgewählt, dass sie sich für universitäre Ausbildungszwecke eigneten. Rund zwanzig Studierende beteiligen sich jeweils während zwei bis drei Semestern in der Law Clinic, stellen Härtefallgesuche, erwirken Familiennachzüge, führen Beschwerden wegen schlechter Bedingungen in Asylunterkünften oder wegen zu tiefer Nothilfebeiträge. So solle das Projekt einerseits Studierenden Praxisnähe vermitteln, sagt Schaub, andererseits rechtssuchende Menschen unterstützen. Das gelänge gut, «die Nachfrage unter den Studierenden ist gross, sie sind sehr motiviert». Die Rechtsfälle beträfen meist marginalisierte Personen, die sonst kaum Chancen hätten, im komplizierten Schweizer Asyl- und Rechtssystem zu ihrem Recht zu kommen. «Viele rechtssuchende Personen fallen durch das Netz, die versuchen wir aufzufangen», sagt Schaub. Dank einer laufenden Planung könnten zudem Verfahren geführt werden, die länger als zwei bis drei Semester dauerten.
Die Law Clinic wirkte auch schon über den Einzelfall hinaus: Ausgehend von einem konkreten Fall rügte ein Anwalt die Haftbedingungen in der ausländerrechtlichen Administrativhaft im Kanton Bern. Das Bundesgericht entschied daraufhin, dass künftig Menschen in Administrativhaft nur in begründeten Fällen in normalen Gefängnissen inhaftiert werden dürfen.