Durch den Monat mit Ursula Fuchs-Egli (Teil 1): Welcher Weg führt aus der Schmerzspirale?

Nr. 18 –

Die Basler Kinder- und Jugendpsychiaterin Ursula Fuchs-Egli über ihren Unfall vor zwanzig Jahren, chronische Schmerzen und die psychische Gesundheit von Psychiater:innen.

Ursula Fuchs-Egli sitzt auf einer Treppe
«Man muss akzeptieren, dass der Schmerz bleiben wird. Dass es möglich ist, einen Umgang mit ihm zu finden»: Ursula Fuchs-Egli.

WOZ: Ursula Fuchs-Egli, Sie sind Mutter, aber auch Kinder- und Jugendpsychiaterin. Dachten Sie während einer Therapiestunde je: O Gott, wenn das mein Kind wäre?

Ursula Fuchs-Egli: Ich war da immer relativ entspannt und hatte auch einfach Glück mit meinen Töchtern. Beide haben viele Ressourcen, die ältere hat auch ein ADS. Da denke ich heute, es wäre vielleicht besser gewesen, früher hinzuschauen. Aber ich kann das Rad nicht zurückdrehen. Eltern machen Fehler, haben eigene Grenzen und können nicht alles mitbestimmen. Und das ist auch gut so.

Wie können Eltern aber dazu beitragen, dass ihr Kind psychisch stabil und resilient ist?

Wichtig ist, sich vor Augen zu führen, dass ein Kind mit einer Persönlichkeit auf die Welt kommt, die man nicht verändern kann. Es ist, wie es ist. Aber man kann es unterstützen. Ein Kind braucht Stabilität, Präsenz, Resonanz. Aber auch Grenzen. Es braucht die Erfahrung, dass man ihm etwas zumutet, dass es alleine Erfahrungen machen kann, ohne gerettet oder aufgefangen zu werden. Aber es sollte dabei immer im Hintergrund die Eltern oder Bezugspersonen wissen, die signalisieren: Du kannst jederzeit zu mir kommen, ich bin für dich da.

Und bei Jugendlichen?

Sie sind ebenfalls stark auf eine stabile Beziehung zu den Eltern angewiesen, auch wenn sie diese manchmal ablehnen. Die Eltern sollten Reibungsfläche bieten, auch wenn das für sie oft gar nicht so einfach auszuhalten ist. Was auch in Ordnung ist, jede und jeder darf mal ausflippen. Es gibt diesen englischen Begriff: «good enough parents». Es reicht, gut genug zu sein.

Sie selbst wurden mit dreissig – da hatten Sie zwei kleine Kinder zu Hause und schrieben an Ihrer Dissertation – von einem Auto angefahren und erlitten ein starkes Schleudertrauma. Wie hat dieser Unfall Ihr Leben verändert?

Ich hatte zwanzig Jahre lang chronische Schmerzen. Ich unternahm verschiedenste Therapieversuche, von Infiltration bis Kinesiologie. Nichts funktionierte so richtig, und ich hatte das Gefühl, ich sei selbst schuld daran, dass es mir nicht besser ging. Mit meinem Hausarzt versuchte ich, die Sache psychosomatisch anzugehen, zu lernen, mit dem Schmerz umzugehen. Aber wir waren beide überfordert. Im Grunde hätte er damals sagen sollen: «Frau Fuchs, Sie brauchen eine Psychotherapie.»

Was sagte er stattdessen?

Dass mir nur noch die Schmerzmittel blieben. Ich dachte: Okay, wenigstens etwas. Und nahm zwölf Jahre lang Opioide. Aber die nehmen den Schmerz nicht, sie distanzieren dich davon. Als wäre man in eine leichte Schicht Watte eingepackt. Der Schmerz betrifft einen weniger. Aber dafür nimmt man auch andere Dinge weniger wahr. Erst viel später setzte ich mich mit einem Psychosomatiker zusammen und schaute mir an, was mein Umgang mit meinen Schmerzen mit mir zu tun hatte.

Sie gingen also mit dem Schmerz so um wie mit unangenehmen Situationen?

Genau. Ich habe ihn immer von mir weggeschoben, um ihn möglichst nicht wahrnehmen zu müssen. Das konnte ich gut, ich habe in dieser Zeit die Facharztausbildung gemacht und arbeitete dann erfolgreich als Psychiaterin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Das Problem ist allerdings: Der Schmerz kommt irgendwann wieder. Und überflutet einen. Ein sehr anstrengender Kreislauf.

Wie fanden Sie den Ausweg?

Indem ich akzeptierte, dass der Schmerz bleiben wird. Dass es möglich ist, einen Umgang mit ihm zu finden. Dass ich mich selber wahrnehmen will und Einschränkungen zum Leben dazugehören. Wir sind nicht allmächtig. Ein Leben zu führen, in dem alles immer funktioniert, ist unmöglich.

Als Ärztin wussten Sie das doch eigentlich.

Sicher, aber dieses Wissen bei sich selbst anzuwenden, ist schwieriger, als man denkt.

Was passierte, als Sie die Opioide absetzten?

Ich nahm mich plötzlich anders wahr. Das war ein langer Prozess über ein, zwei Jahre hinweg. Ich wurde wieder neugierig, habe widersprochen, mich für mich eingesetzt. Das war für die Umwelt gar nicht so einfach. Man war es gewohnt, dass ich immer zustimme, immer funktioniere.

Eine Art Erwachen?

Das war es. Es führte aber auch dazu, dass ich kurzzeitig nicht mehr wusste, wer ich bin und was mich ausmacht. Erst mit intensiver psychotherapeutischer Begleitung fand ich wieder zurück.

Wie steht es eigentlich um die psychische Gesundheit von Psychiater:innen?

Ich habe keine Zahlen, aber ich glaube, die ist nicht so wahnsinnig gut.

Wieso nicht?

Wer in der Gesundheitsbranche arbeitet, will anderen helfen. Auf sich schaut man dabei zuletzt. Dabei wäre das Thema Selbstfürsorge sehr wichtig. Man sieht in uns immer die Helfenden in Weiss. Aber natürlich sind auch wir nur Menschen. Mit Problemen und Unzulänglichkeiten wie alle anderen auch.

Nach der Matura wollte Ursula Fuchs-Egli (58) an die Hochschule für Soziale Arbeit, worauf ihr Vater sagte: «Zu dene Lingge gahsch mer nöd.» Fuchs wurde Ärztin, links blieb sie bis heute.