Durch den Monat mit Ursula Fuchs-Egli (Teil 5): Sollen die Eltern mit in Therapie?

Nr. 22 –

Auch Eltern leiden unter Erwartungshaltungen, sagt die Basler Kinder- und Jugendpsychiaterin Ursula Fuchs-Egli. Das spüren Jugendliche – selbst wenn es nicht ausgesprochen wird.

Portraitfoto von Ursula Fuchs-Egli
«Eltern sein ist keine Aufgabe, die man irgendwann ‹kann›. Die Anforderungen ändern sich mit dem Alter der Kinder. Sich damit auseinanderzusetzen, lohnt sich»: Ursula Fuchs-Egli.

WOZ: Ursula Fuchs-Egli, hier in Ihrer Praxis liegen sehr viele kleine Plastiktiere auf dem Regal. Das müssen um die hundert sein!

Ursula Fuchs-Egli: (Lacht.) Ich habe sie nie gezählt. Es sind auf jeden Fall viele.

Was hat es damit auf sich?

Ich setze sie häufig ein, wenn es darum geht, etwas zu symbolisieren. Das können verschiedene Anteile der Persönlichkeit sein oder auch Gefühle: Wie sieht es aus, wenn du ängstlich oder wütend bist? Die Tiere helfen, eine Distanz zu schaffen. Man redet dann über die Tiere statt über sich.

Und dabei eben wieder genau über sich.

Genau.

Was bedeutet es denn, wenn ich jetzt diesen Tintenfisch hier auswähle?

Ich deute nicht. Also wenn zum Beispiel jemand für seine Wut den grossen Pinguin mit Baby im Schoss hier nimmt, dann frage ich schon nach. Aber ich weiss nie, was im Gegenüber ist, und masse mir auch nicht an, es zu wissen.

Nehmen Jugendliche auch mal Tiere, die Sie überraschen?

Das gibt es immer wieder, ja. Gerade den Tintenfisch, den Sie vorher in der Hand hatten. Der ist weniger eindeutig als etwa ein Löwe, der häufig genommen wird, wenns um Stärke gehen soll oder um Macht.

Was wäre Ihr Tier?

Den Tintenfisch mag ich auch sehr, in diesem Verspielten, nicht so klar Definierten. Aber wie gesagt: Man sollte das auch nicht überinterpretieren. Klar kommen mir auch immer Gedanken oder Assoziationen. Aber ich möchte eher einen Raum öffnen, um zu erfahren, was jemand wahrnimmt.

Nicht wie das Bild des Psychoanalytikers, der im Stuhl hinter seinen Patient:innen sitzt und jede Aussage interpretiert.

Dieses Bild hat etwas dermassen Patriarchales. Aber das kommt nicht von ungefähr: Die Psychoanalyse hat ihre Anfänge als Redetherapie in der Wiener Oberschicht im frühen 20. Jahrhundert, wo Männer die Welt erklärten und Frauen Hysterie angelastet wurde. Und sie war für psychisch stabile Menschen gedacht.

Gibt es diese patriarchalen Strukturen in Ihrem Beruf immer noch?

Teils sicher, ja. Da sind immer noch die alten weissen Herren, die – sorry – immer recht haben und für sich beanspruchen, alles wissen zu können. Aber es gibt auch Strömungen, die die Psychoanalyse mehr als Instrument sehen. Dass der Therapeut besser als die Patient:innen weiss, was diese wahrnehmen und was das Beste für sie ist – das geht für mich gar nicht. Diese Haltung in der Therapie gehört abgeschafft.

Kommen Jugendliche häufig mit Schulthemen zu Ihnen?

Das gibt es schon immer wieder, ja. Druck, Prüfungsangst, soziale Schwierigkeiten, die sich in der Schule zeigen. Ich glaube auch, dass Schule in der Therapie vermehrt ein Thema ist.

Weshalb?

Ich habe den Eindruck, dass der Druck grösser geworden ist, vor allem vonseiten der Eltern – gegenüber sich selbst und den Kindern. Aber es ist schwierig, genau zu sagen, warum das so ist. Kinder sind heute vielleicht häufiger ein Projekt, das einem – wie alles im Leben – gelingen soll. Da entsteht auch ein Leistungsdruck: Wenn mein Kind versagt, habe ich doppelt versagt.

Elternsein als Wettbewerb – spüren das die Kinder?

Ja, auch wenn es nicht ausgesprochen wird. Kinder und Jugendliche nehmen unausgesprochene Dinge viel eher wahr …

… als die Eltern!

Das auch, aber sie nehmen das Unausgesprochene auch viel mehr wahr als das Ausgesprochene. Über Unausgesprochenes kann man nicht reden, das ist dann einfach so. Genau das stellen Jugendliche oft zu Recht infrage.

Also sollten auch die Eltern mit zur Therapie kommen?

(Pause.) Ja.

Um was zu lernen?

Die eigenen Prägungen und Muster. Diese fliessen immer auch in die Erziehung ein. Eltern sein ist keine Aufgabe, die man irgendwann «kann». Die Anforderungen ändern sich mit dem Alter der Kinder. Und gleichzeitig stehen ja auch die Eltern irgendwo mitten in ihrem Leben, sind mit sich ändernden Herausforderungen konfrontiert, auch in ihrer eigenen Entwicklung. Sich damit auseinanderzusetzen, lohnt sich.

Ist man eigentlich jemals austherapiert?

Hat man irgendwann ausgelernt? Ich sehe eine Psychotherapie eher als ein Stück Lebensbegleitung in Zeiten, in denen ich mit meinen bisherigen Strategien nicht weiterkomme – und in meiner persönlichen Entwicklung stecken bleibe.

Ursula Fuchs-Egli (58) war selbst auch immer wieder in Therapie. Sie sei da jedes Mal ein Stück vertrauter mit sich selbst geworden.