Stichwahl in Frankreich: Historisches Irrlichtern
Wenn den Resultaten von Runde eins der französischen Parlamentswahlen etwas abzugewinnen sein sollte, dann das, was Marine Tondelier auf der Place de la République in Paris zu verkünden wusste. «Der Macronismus, das ist vorbei», deklamierte die Grünenchefin am Sonntag vor Tausenden Anhänger:innen des Nouveau Front populaire, freilich ohne deswegen in Euphorie zu verfallen. Zu bedrohlich ist die Lage vor der Stichwahl am Sonntag, die das rechtsextreme Rassemblement National an die Regierung spülen könnte.
Trotzdem steht fest, dass sich Präsident Emmanuel Macron heillos verzockt hat mit der im engsten Beraterkreis gefällten Entscheidung, nach den für seine Partei desaströsen Europawahlen das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Ein Befreiungsschlag sollte das wohl werden, denn offenbar hatte er darauf spekuliert, sein Lager abermals als Garant dafür positionieren zu können, dass nicht Marine Le Pen und ihre Clique die Regierung übernehmen würden. So wollte er einmal mehr die Mehrheit des Landes hinter sich zwingen.
Nun aber ist Macrons Bündnis Ensemble im ersten Wahlgang mit nicht einmal 21 Prozent der Stimmen auf Platz drei gelandet, hinter der extremen Rechten und der vereinten Linken. Es wird viele seiner Sitze im Parlament verlieren, in dem es ohnehin nur eine relative Mehrheit hatte. Das Ende der Ära Macron ist damit vorzeitig eingeläutet, auch wenn seine Amtszeit noch drei Jahre währt.
Der Präsident hatte darauf gesetzt, dass die Linke zersplittert bleiben würde. Doch die einigte sich in Rekordzeit auf ein Bündnis. Am Abschneiden dieses Nouveau Front populaire in der Stichwahl hängt nun die Zukunft des Landes. Zugleich bedeutet diese Konstellation, dass es nun an den Macronist:innen ist, das aus ihrer Sicht «kleinere Übel» zu unterstützen, die vereinte Linke. Dieser mag das gar etwas Genugtuung verschaffen, war sie doch in den vergangenen Jahren immer wieder gezwungen, ihr Kreuz bei Macron zu machen, um Le Pen zu verhindern.
Sie hat es getan – mit Bauchgrimmen, weil sie damit eine Politik absegnete, die als neoliberale Sachwalterin perspektivloser Verhältnisse die Polarisierung immer weiter verschärfte. Umso empörender ist es, dass nun wichtige Figuren aus dem liberal-konservativen Lager nicht bereit sind, eine Wahlempfehlung für Links auszusprechen.
So bezeichneten Macrons Wirtschaftsminister Bruno Le Maire wie auch sein früherer Premier Édouard Philippe die Partei La France insoumise als unwählbar – beide ganz auf der Linie des Präsidenten, der davon gesprochen hatte, dass die Gefahr eines «Bürgerkriegs» von links wie von rechts gleichermassen ausgehen würde. Angesichts der rechten Welle, die über die westliche Welt fegt und die ganz konkret eine Bedrohung für liberaldemokratische Errungenschaften darstellt, ist das ein Irrlichtern geradezu historischen Ausmasses.
Überraschend sind solche Töne aus den Reihen Macrons nicht. Er mag sich anfangs als superprogressiver Erneuerer inszeniert haben, der Frankreich zu einer «start-up nation» ummodeln wollte: eine Schaumschlägerei, die ihm viele Linksliberale auch im Ausland bereitwillig abkauften. Seit Jahren aber pfeift er die Melodie der Rechten nach, etwa wenn es um herbeihalluzinierte Gefahren wie den angeblich republikfeindlichen «wokéisme» geht. Jüngst warf er der Linken gar in lupenrein rechtsextremer Terminologie vor, ein Programm zu vertreten, das «totalement immigrationniste» sei.
Ein solches «liberales Zentrum» braucht niemand, zumal eine Alternative existiert. Dass sich die französische Linke derart rasch zusammengerauft hat, macht Hoffnung. Zweckoptimismus? Vielleicht. Aber ohne Glaube daran, dass eine andere – sozialere, grünere und befreitere – Zukunft möglich ist und nicht die Autoritären ohnehin früher oder später die Zügel in den Händen halten werden, haben diese schon jetzt gewonnen. Antifaschismus, schrieb das Onlineportal «Mediapart», sei «kein Projekt, das sich bloss negativ definiert». Das gilt in Frankreich wie überall sonst.