Durch den Monat mit Peter Schneider (Teil 2): Wieso beschäftigt Sie das Thema Trans?

Nr. 33 –

Eigentlich wäre es die Aufgabe von Redaktionen, das Empören und Aufbauschen zurückzubinden, sagt Peter Schneider. Wenn er sich aufregt, schüttet der Psychoanalytiker seine inneren Betablocker aus – und korrespondiert mit seiner besten Freundin.

Peter Schneider sitzt auf einem Sessel und raucht Zigarre
Peter Schneider: «Ich lese auch nicht jede Woche drei Bücher zum Thema Trans. Aber mich schmerzt die Unterkomplexität des Diskurses.»

WOZ: Peter Schneider, wann ist Empörung angebracht?

Peter Schneider: Sie ist in vielem angebracht. Aber man weiss ja auch, dass dauerempörte Leute nicht gerade Sympathieträger sind.

Ist es denn nötig, sympathisch zu wirken?

Damit sich die Leute mit einem Thema beschäftigen: ja. Es ist natürlich nicht unbedingt nötig, aber zumindest in der eigenen Bubble sollte man es versuchen. Dass nicht die eigenen Leute sagen: Herr Schneider hat ja schon recht, aber dieses Persistieren auf dem immer selben Zeug, kann der nicht mal … Das mein ich mit Sympathieträger. Und von denen gibts ja zum Glück einige.

In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» klagten Sie kürzlich über den grassierenden Kulturpessimismus. Ist es wirklich so schlimm?

In meiner Praxis begegnet er mir glücklicherweise nicht. Abgesehen davon: Ich kann das empirisch nicht stützen, aber ich habe schon den Eindruck, dass es bei der Fragekolumne im «Tagi» mit der Zeit mehr kulturpessimistische Töne gegeben hat. Das ist natürlich immer so bei Themen wie dem Handy, eine Zeit lang war das Ruheabteil im Zug ein grosser Heuler, die Füsse auf dem Sitz. Das ist jetzt Ageism, aber es mag schon etwas damit zu tun haben, dass die Kolumne vor allem printrezipiert war und das Durchschnittsalter der Printleser:innen mittlerweile bei 71 Jahren liegt. Vielleicht überschätze ich das auch. Mit der Zeit gab es aber schon eine gewisse Verengung, so in die Richtung: «Ich versteh die Welt nicht mehr.»

Wie hat sich das konkret geäussert?

Aktuelle Themen sind praktisch nicht mehr vorgekommen. Das Einzige, was manchmal aktuell war, und das war dann so oder so ein Selbstläufer, waren die berüchtigten «Es gibt nur zwei Geschlechter»-Geschichten. Das waren immer die meistkommentierten.

Ich habe mir Ihre letzten Kolumnen angeguckt. Gegen Ende kamen Sie auch selbst insbesondere auf das Thema Trans zu sprechen. Wieso?

Zum einen habe ich immer so Steckenpferde, eine Weile war das zum Beispiel der Autismus. Letztes Jahr habe ich «Trans. Gender und ‹Race› in einer Zeit unsicherer Identitäten» von Rogers Brubaker in der deutschen Übersetzung herausgegeben. Das ist einfach ein toller Text, und es macht Spass, sich so mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wenn man das gelesen hat und dann manche Interviews zum Beispiel mit Terf-Aktivistinnen liest: Da schmerzt mich einfach die Unterkomplexität des Diskurses. Ich meine gar nicht, dass alle alles gelesen haben müssen, ich lese auch nicht jede Woche drei Bücher zum Thema Trans. Auch Brubaker war ja kein Geheimtipp mehr, als ich ihn kennengelernt habe. Aber die Leute geben sich zum Teil wirklich unbelehrbar.

Sie meinen, es gibt eigentlich gar keine Lust auf das Thema?

Es gibt eine Lust, sich darüber aufzuregen. Und das wars dann. Man muss gnädig sein mit der Zeitökonomie der Leute, aber man kann durchaus verlangen, dass sie sich interessieren.

Was wäre denn ein guter Umgang damit?

Man muss seine inneren Betablocker ausschütten. Und mit anderen Leuten darüber reden. Ich mache das oft mit meiner besten Freundin, zum Frühstück schicken wir uns immer die Perlen der Berichterstattung – denn es sind ja nicht einfach die Leute, die mir Fragen stellen, sondern leider oft Journalist:innen, die sich mit diesen Themen so unterkomplex beschäftigen. Sehen Sie [reicht sein Handy über den Tisch], da können Sie mal durchscrollen. Aber ich kann es den Leuten nicht zu sehr anlasten, wenn ich denke, mit welchem Scheiss ich früher mein Geld verdient habe … Aber eigentlich wäre es die Aufgabe einer Redaktion, diese Art des Empörens und Aufbauschens zurückzubinden.

Es ist ermüdend.

Ja, und oft ist es auch einfach doof! Auch wenn dann so eine Besessenheit aufkommt mit Benimmthemen und im 100. Artikel der Modeexperte gefragt wird, ob man Flipflops im Büro tragen darf. Oder ob es ein Problem ist, wenn man im Frühling die hornhautigen Füsse in Sandalen steckt. Es ist komisch, es gibt so viele grosse politische Themen und Ereignisse, die mich umtreiben und berühren, aber nichts nervt so sehr wie diese Dussligkeiten im Journalismus. Und verbunden damit dieses antiwoke Gerede über das Seuchensozialismusdings … Ich glaube, wenn man gut informiert ist, deprimieren einen die schlimmen Dinge, die passieren, doch nicht so sehr wie diese Scheisse.

Vielleicht ist es auch die Funktionsweise dieser Texte, dass es die Leute auf einer komischen Ebene kratzt. Und dann liest man es eben doch.

Ja, und sieht überall nur noch Hornhaut. Ich komme auch nicht ganz davon weg. Das ist wie Tiktok, das musste ich abstellen bei mir, weil ich mir bis spät in die Nacht noch das 100. Eulenvideo angeguckt hab. Oder schlimmer noch: Folksongs.

Peter Schneider (66) ist Psychoanalytiker und Satiriker. Bis vor kurzem hat er im «Tages-Anzeiger» Fragen zu gesellschaftlichen Themen beantwortet, die, wenn möglich, übers gute Benehmen hinausgingen.