Erneuerbare Energie: Wanderpredigt für die Windkraft

Nr. 35 –

Der Kanton Zürich will die Windenergie ausbauen und hat zwanzig Standorte für neue Anlagen definiert. Im Weinland regt sich Widerstand, wie sich an einer Infoveranstaltung zeigte.

Baudirektor Martin Neukom an einer Feedbackveranstaltung für Windenergie
Schwerer Stand für Baudirektor Martin Neukom: Kritische Fragen aus dem Publikum erhalten mehr Applaus als seine Ausführungen. Foto: Enzo Lopardo

«Wer im Saal ist bereits am Donnerstag an der Veranstaltung in Stammheim gewesen?», fragt der Moderator. Etwa dreissig Hände gehen hoch. Und wie wars? «Emotional», ruft eine Frau mit grauen Haaren und Brille. «Fand ich gar nicht, die Diskussion war sachlich», entgegnet eine andere. Auf Nachfrage erklärt sie, dass die Diskussion zwar sachlich gewesen sei, die Argumente des Kantons jedoch nicht. Sie zeigt auf die Informationen zu einem Windpark in Kleinandelfingen, wo ganz in der Nähe eine Mooraufwertung als wertvoller Lebensraum für Vögel geplant sei. «Da will man die Vögel schützen, und nun will Herr Neukom dort Windräder bauen. Das ergibt doch keinen Sinn.»

Herr Neukom, mit Vornamen Martin, ist der Baudirektor des Kantons Zürich. An diesem Samstagmorgen stellt sich der grüne Regierungsrat in der Wylandhalle Henggart unweit von Winterthur den Fragen der Bevölkerung. Zur Windkraft generell, aber auch zu den «Eignungsgebieten für die Windenergienutzung». Zwanzig Standorte hat der Kanton in einer Evaluation als geeignet taxiert, elf davon im Zürcher Weinland.

Verkürzte Verfahren

Kurz vor 9 Uhr sammeln vor der Halle Mitglieder des kantonalen Ablegers des windkraftkritischen Vereins Freie Landschaft Schweiz Unterschriften für eine Waldschutzinitiative, die vor allem Windräder verhindern soll. Daneben flyert die SVP. «Unser Wyland darf nicht zur Müllhalde des Kantons werden», steht gross auf dem Flugblatt. Auf der Vorderseite wurden bis zu 220 Meter hohe Windräder in ein Bild von Stammheim editiert.

Die ablehnende Haltung gegenüber der Windkraft zieht sich durch den Saal. 208 Teilnehmende sind angemeldet, die wenigsten sind für Windkraftanlagen. Noch während der Begrüssungsrede meldet sich bereits eine Teilnehmerin, die der IG Gegenwind angehört, einer lokalen Antiwindkraftgruppe. Sie sei mit dem Ablauf der Veranstaltung nicht einverstanden. Im Plan ist Zeit für eine Gruppenarbeit vorgesehen, sie hingegen hätte lieber mehr Zeit für Fragen an Neukom.

Die Zeit wolle er sich nehmen, sagt der Regierungsrat und erklärt dann, wie es zur Häufung von geplanten Windkraftanlagen im Weinland kam. Der Kanton habe 52 «Windpotenzial»-Standorte eruiert, davon seien 11 fallen gelassen worden, weil der Schutz der Landschaft höher gewichtet worden sei, und weitere 6, weil sie dem Flugverkehr hätten in die Quere kommen können. Und an 15 werde vorerst nicht gebaut, weil das Windkraftpotenzial dort zu gering sei. Am Ende lagen die grünen Punkte, die besonders gut geeignete Gebiete bezeichnen, vor allem im Nordosten des Kantons. Neukom, der aus dem nahen Winterthur stammt, sagt, er habe selber auch keine Freude an dieser Karte: «Ich kann ja auch vorausschauen und weiss, dass das nicht gut ankommen wird.» Doch wenn man die Energiewende schaffen wolle, müsse man halt etwas unternehmen.

Deshalb will der Regierungsrat auch das Bewilligungsverfahren ändern. Aktuell könne der Bau eines Windrads siebenmal vor Gericht gezogen werden, mit dem neuen Verfahren wären es noch zweimal. Als Negativbeispiel nennt Neukom den Windpark im waadtländischen Sainte-Croix, für den das Bewilligungsverfahren 23 Jahre dauerte. Im besten Fall würde das neue Verfahren den Prozess auf 5 bis 10 Jahre verkürzen.

Auch sonst macht Neukom den Windkraftgegner:innen wenig Hoffnung. Er erklärt, dass einzelne Gemeinden nichts gegen Windräder auf ihrem Gebiet ausrichten könnten. In Hinwil hat die Gemeindeversammlung zum Beispiel entschieden, dass Windräder mindestens einen Kilometer Entfernung zum nächsten Haus haben müssten. So könnte auf dem gesamten Gemeindegebiet kein einziges Windrad gebaut werden. In über zwanzig Zürcher Gemeinden wurden ähnliche Einzelinitiativen eingereicht. Doch wenn der Kanton ein Windkraftwerk will, muss er keine Rücksicht auf diese kommunalen Entscheidungen nehmen. Kantonales Recht breche Gemeinderecht, erklärt Neukom nüchtern. So wie eidgenössisches Recht das kantonale: Als der Bund auf der Suche nach einem Atomendlager im Kanton Zürich fündig geworden sei, da habe er als Kantonsvertreter auch nur mitreden, aber nicht entscheiden können.

Nächster Halt: Knonauer Amt

Trotz der harten Debatte bleibt die Veranstaltung in Henggart friedlich. Viele haben sich vorbereitet und stellen präzise Fragen: Gibt es im Kanton nicht zu wenig Wind für Windenergie? Wie sieht es mit Eis aus, das von den Windrädern herunterfällt? Und werden die Windräder auch irgendwann rückgebaut? Neukom antwortet, dass man sich keine Sorgen wegen des Windes machen müsse. Wo es nicht genug gebe, seien die betreibenden Energiefirmen bestimmt nicht an einem Windrad interessiert. Die Gefahr des Eiswurfs halte er für überschätzt. Und der Rückbau der Anlagen müsse gewährleistet sein, im Notfall könne man Firmen dazu verpflichten, Geld dafür zur Seite zu legen. Das Publikum quittiert die Fragen oft mit mehr Applaus als Neukoms Antworten.

Dass an diesem Samstag in der Wylandhalle noch jemand seine Meinung ändert, scheint unrealistisch. Das sei aber auch nicht das Ziel des Anlasses, sagt Neukom nach der Fragerunde im Gespräch. «Ich will der Bevölkerung zeigen, was wir uns überlegt haben.» Ganz so entspannt, wie sich der Baudirektor gibt, scheinen beim Kanton nicht alle gewesen zu sein. Am Anlass teilnehmen durfte nur, wer sich zuvor angemeldet hatte. Auf der Website der Gemeinde Henggart war kein Hinweis zur Veranstaltung zu finden. Der Ort der Versammlung wurde erst wenige Tage vorher bekannt gegeben. Neukom sagt, ihm seien diese Regeln nicht bekannt gewesen. Er sorge sich nicht um seine Sicherheit, vielmehr schätze er den Austausch mit der Bevölkerung.

Tatsächlich antwortet Neukom oft sehr ausführlich und setzt sich während der Gruppenarbeit auch länger an den Tisch der IG Gegenwind. In der offenen Runde wird er gefragt, ob es sich lohne, die Natur mit Windrädern zuzubauen, obwohl mit den aktuellen Plänen gerade einmal sieben Prozent des kantonalen Stromverbrauchs gedeckt werden könnten. Er zeigt dem Publikum Grafiken, die zeigen, wie die Windenergie besonders in den Wintermonaten viel Strom generieren könne. Als dann eine halbe Stunde nach dem planmässigen Ende der dreistündigen Veranstaltung ein Mann aus dem Publikum sagt, dass es im Kampf gegen den Klimawandel neue Energieformen brauche und dabei alle mithelfen müssten, nimmt Neukom das gleich als Schlusswort und sagt: «Sie haben mich gefordert mit ihren kritischen Fragen.» Am nächsten Samstag wartet im Knonauer Amt der nächste widerständige Saal auf ihn.