Durch den Monat mit Hanny Weissmüller (Teil 2): Wird es Ihren Job noch eine Weile geben?

Nr. 37 –

Die oberste Lokführerin des Landes erzählt, wie der ehemalige SBB-Chef sie dazu inspirierte, Gewerkschaftsführerin zu werden, und in welchen Bereichen sie mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden ist.

Hanny Weissmüller an der Delegiertenversammlung des SEV in Brugg
«Für das autonome Fahren bräuchte es unglaublich viele Daten und Technik»: Hanny Weissmüller, hier an der Delegiertenversammlung des SEV in Brugg.

WOZ: Frau Weissmüller, wäre es nach Ex-SBB-CEO Andreas Meyer gegangen, hätten Sie bald keinen Job mehr: 2017 formulierte er die Vision, dass Züge ab 2025 autonom fahren würden.

Hanny Weissmüller: Ja. Er hatte aber auch die Idee, dass Drohnen die ganz Reichen vom Bahnhof zum Flughafen bringen könnten.

Das wäre dann nicht mehr 1. Klasse, sondern Business Class.

Eher Executive Class!

Wie weit entfernt sind wir von einer Realität mit selbstfahrenden Zügen?

Wir hatten schon Pilotprojekte. Es gibt bereits selbstfahrende Metros; in der Schweiz etwa jene in Lausanne. Die fährt aber in einem Tunnel. In offenen Systemen ist es viel schwieriger, wegen der Wettereinflüsse. Mit dem aktuellen technischen Stand würde man ein Drittel der Kapazität verlieren. Das hiesse ein Drittel weniger Züge – während man die Kapazität eher erhöhen will. Das geht nicht auf.

Ihren Job wird es also noch eine Weile geben?

Für das autonome Fahren bräuchte es unglaublich viele Daten und Technik, etwa Sensoren auf den Schienen – das würde so teuer, dass wir Lokführer:innen noch Jahrzehnte lang günstiger wären. Der aktuelle Trend geht eher in Richtung Fahrassistenz, also dass wir stärker durch die Technik unterstützt werden.

2020 wurden Sie als erste Frau Präsidentin des Lokpersonals in der Gewerkschaft des Verkehrspersonals. Haben Sie sich schon in früheren Jobs gewerkschaftlich engagiert?

Ich habe mich zwar immer Verbänden und Gewerkschaften angeschlossen, selber aktiv war ich aber nie. Als Lokführerin bei der SBB fand ich irgendwann: «Du kannst nicht immer nur schimpfen.» Ich fühlte mich quasi von meinem Arbeitgeber genötigt, für meine Kolleg:innen und für mich selbst einzustehen.

Wann dachten Sie: «Jetzt ist es genug»?

2017, als Andreas Meyer meinte, ab 2025 sollten alle Loks digitalisiert sein. Ich glaube, es war ein Mittwoch, an dem ich das im Radio hörte. Am Freitag erhielt ich den neuen Arbeitsplan und sah, dass wir für uralte Loks eingeteilt waren. Gleichzeitig waren die Arbeitsbedingungen immer schlechter geworden, wir bekamen den Personalmangel extrem zu spüren. Die Touren wurden länger und in der Masse zum Teil schwer erträglich. Wenn Sie morgens um 3 Uhr anfangen und um 13 Uhr aufhören, ist das etwas anderes als von 7 Uhr bis 17 Uhr.

Kurz vor Ihrem Antritt als oberste Lokführerin wurde Vincent Ducrot neuer CEO der SBB. Es heisst, er sei wieder mehr «Bähnler» …

Ducrot hat die schlimmsten Entwicklungen unter Meyer entschärft und die Bahn sozusagen wieder auf die Schiene gestellt. Aber es ist nicht so, dass wir von der Hölle in den Himmel gekommen wären – der Wasserkopf ist immer noch gross. Ich meine die, die oben sind: Projektleiter, Kader, Leute, die sich ständig neue «Projekte» ausdenken. Wo wir als Zugpersonal das Gefühl haben: «Gopfriedstutz, wir müssen doch stattdessen schauen, dass die Züge fahren, dass das Rollmaterial unterhalten ist, genügend Personal da ist und es Wertschätzung bekommt.»

Wofür kämpfen Sie konkret?

Etwa für saubere Toiletten und Ruhezimmer. Dass wir Touren haben, die ohne allzu grossen Stress machbar sind. Aktuell arbeiten viele Lokführer:innen Teilzeit, weil es ihnen sonst zu viel ist. Es kann doch nicht sein, dass ich einen Teilzeitjob mache, weil ich es sonst nicht schaffe – und auch die Bedingungen für Teilzeitler:innen nicht genügend attraktiv sind.

Gerade machte der «SonntagsBlick» publik, dass in einer Umfrage unter allen SBB-Mitarbeitenden zwölf Prozent von Diskriminierung und vier Prozent von sexueller Belästigung berichteten. Hat Sie das überrascht?

Leider nicht sonderlich. Eher, dass sich die SBB so überrascht gaben.

Was muss jetzt passieren?

Es braucht einen Kulturwandel, Gleichberechtigung muss tatsächlich gelebt werden. Im Fall von sexueller Belästigung bräuchten wir insbesondere mehr Transparenz – auf verschiedenen Ebenen. Bisher war etwa das Prozedere zur Meldung von Übergriffen recht kompliziert. Viele haben erst bei der Beantwortung der Umfrage davon erfahren.

Laut Bericht sind Lokführerinnen besonders betroffen. Unlängst schrieb zudem der «Beobachter», schwangere und stillende Angestellte dürften bei der SBB keine Züge fahren.

Dass man nicht mehr fährt, sobald man weiss, dass man schwanger ist, finde ich noch in Ordnung. Aber wenn du dein Kind geboren hast und abpumpen möchtest, darfst du auch nicht fahren. Und wenn du weniger als 200 Stunden pro Jahr gefahren bist, musst du die Prüfung wiederholen. Wir von der Gewerkschaft haben betont: Stillt eine Frau, muss der Arbeitgeber die dafür nötigen Orte und Zeiten zur Verfügung stellen. Früher gab es Stilltouren für Frauen – und plötzlich hiess es: Machen wir nicht mehr. Aber das ist gegen das Gesetz!

Hanny Weissmüller (51) ist auch auf europäischer Ebene gewerkschaftlich aktiv. Die Bahnstreiks in Deutschland hat sie eng mitverfolgt, möchte sich aber nicht dazu äussern, weil die Sache kompliziert sei. Selber hat sie noch nie gestreikt.