Sparpläne des Bundesrats: «Die FDP hat sich ideologisch verengt»

Nr. 39 –

SP-Kofraktionspräsidentin Samira Marti kritisiert die Sparpläne des Bundesrats als «ökonomisch sinnlos». Und sagt, der Bundesrat habe sich genauso radikalisiert wie die gesamte FDP. Was heisst das für die Linke?

Portraitfoto von Samira Marti
«Finanzpolitik ist vor allem eine Verteilungsfrage»: SP-Nationalrätin Samira Marti in Bern. Foto: Christian Beutler, Keystone

WOZ: Frau Marti, der Bundesrat hat letzte Woche seinen Sparplan präsentiert: Er will Kitagelder streichen, beim öffentlichen Verkehr, im Klima- und im Asylbereich sparen, den Bundesbeitrag an die AHV kürzen. Was bleibt der Linken eigentlich noch angesichts dieses rechten Durchregierens? Die Opposition?

Samira Marti: (Lacht.) Meine Arbeit wäre dann vielleicht einfacher. Aber darum gehts ja nicht. Der Bundesrat hat sich radikalisiert, das muss man so sagen. Doch gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass in diesem mächtigsten Gremium auch soziale Stimmen vertreten sind.

Nur scheinen diese linken Stimmen im Bundesrat gerade ziemlich leise zu sein …

Es gab Zeiten, in denen der Bundesrat Entscheidungen politisch ausgewogener getroffen hat, wo mehr respektiert wurde, dass man in einer Kollegialbehörde sitzt. In den letzten Monaten zeigte sich sehr deutlich, dass es auch im Bundesrat ein Blockdenken gibt. Obwohl die SVP-FDP-Mehrheit seit den Wahlen 2019 gar nicht mehr demokratisch legitimiert ist, machen FDP und SVP knallharte Machtpolitik. Das widerspricht diametral der Idee der Konkordanz, auf die sie in ihren 1.-August-Reden dann wiederum Loblieder singen.

Wie konnte sich der Bundesrat derart radikalisieren?

Die Radikalisierung steht für mich in engem Zusammenhang mit der ideologischen Verengung der FDP als Partei. Hier im Parlament sind SVP und FDP kaum mehr zu unterscheiden. Die FDP ist eine Kopie der SVP, einfach mit teureren Massanzügen. Das hat radikale Auswirkungen: bei der Klimapolitik – Stichwort AKW-Kehrtwende –, bei der Gleichstellung, im Asylbereich sowieso. Ein aktuelles Beispiel ist die Abstimmung über den Familiennachzug für Kriegsflüchtlinge. Dieser wurde bis vor kurzem nur von der SVP angegriffen. Und jetzt findet das Verbot dank FDP und Mitte im Nationalrat eine satte Mehrheit. Gerade die rechte Asylpolitik besorgt mich zutiefst. Dort, wo die Menschen am verletzlichsten sind, zeigt sich der Rechtsrutsch am brutalsten.

Allerdings war auch schon der ehemalige FDP-Präsident Philipp Müller ein Hardliner …

Aber zumindest gab es früher in der FDP auch noch andere Stimmen. Nun ist die Partei insgesamt nach rechts gerutscht. Die liberalen Leute trauen sich immer weniger, den Mund aufzumachen. Man sieht auch, was mit denen passiert, die öffentlich sagen, dass sie es anders sehen: Sie werden abgestraft, indem sie etwa aus Kommissionen entfernt werden. Das erinnert vermehrt an den Führungsstil der radikalen Rechten.

Der Sparplan lag als Bericht der Ex­pert:innengruppe quasi bereits vor. Finanzministerin Karin Keller-Sutter gab dem Ganzen dann noch den Anschein einer Aushandlung, indem sie runde Tische einberief …

… aber eigentlich war der Mist schon geführt, ja. Aber es ist nicht nur Karin Keller-Sutter, es ist auch Albert Rösti. Das sieht man stark an den Eckwerten, die der Bundesrat am Freitag präsentiert hat. Man hat das Gefühl, Rösti freut sich richtiggehend, möglichst viel aus seinem Aufgabenbereich ersatzlos zu streichen. Kürzlich erfolgte Volksentscheide, die in der Klimapolitik eigentlich klar den Weg aufzeigen, sind ihm dabei herzlich egal.

Was sind die Folgen dieses Sparplans?

Die volkswirtschaftlichen Schäden sind enorm. Der Staat ist nun mal kein KMU. Wenn es bei einem grossen Detailhändler knapp wird, wird mal eine Beautylinie gestrichen. Dann gibt es diese Mascara halt nicht mehr. Beim Staat ist das anders. Wenn die Beiträge an die Opferhilfe gestrichen werden, gibt es deswegen nicht weniger Gewalt gegen Frauen. Sie werden einfach alleingelassen. Und wenn die Renten nicht mehr finanziert werden, verschwindet deswegen nicht die ältere Bevölkerung. Die Probleme werden einfach verlagert, und zwar nach unten. Finanzpolitik ist deshalb vor allem eine Verteilungsfrage. Und zudem ein effizientes Instrument für den rechten Backlash.

Wie meinen Sie das?

Wenige trauen sich heute noch zu sagen: «Frauen gehören an den Herd.» Aber man macht gleichstellungspolitische Erfolge rückgängig, indem man etwa Kitaplätze nicht finanziert. Die restriktive Finanzpolitik dient dazu, den Staat künstlich kleinzuhalten. Und das, ohne dass man sich den konkreten Debatten stellen muss. Niemand muss sich hinstellen und sagen: «Wir wollen keinen Klimaschutz, und die Renten der Leute sind uns egal.» Man sagt einfach: «Es geht nicht anders.» Die Ausgabenkürzungen als alternativlos darzustellen, das ist die Idee der Schuldenbremse. Sie ist ein rein ideologisches In­­strument für eine rechtskonservative Politik.

Gibt es keine volkswirtschaftliche Begründung dafür, zu sparen?

Ökonomisch gesehen ist es ein absoluter Schwachsinn, jetzt Ausgaben zu kürzen. Schon die Grundprämisse, dass es um den Bundeshaushalt schlecht steht, ist falsch: Die Schweiz hat, mit allen Vermögen eingerechnet, ein Nettovermögen von 122 Milliarden Franken, also faktisch keine Schulden. Eine so restriktive Schuldenpolitik hat in dieser Situation volkswirtschaftlich negative Auswirkungen, weil notwendige Investitionen nicht getätigt werden. Investiert man etwa in Kitas, stärkt man die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und adressiert so den Personalmangel, mit dem praktisch alle Branchen zu kämpfen haben. Zudem hängt unsere Wirtschaftsleistung massgeblich vom inländischen Konsum ab: Hohe Renten sind also nichts anderes als wirksame Konjunkturpolitik. Da zu kürzen, ist ebenfalls volkswirtschaftlich schädlich. Schliesslich stärkt der zu tiefe Schuldenstand den Schweizer Franken, das ist ein Problem für die Exportwirtschaft. Und zu guter Letzt drücken die tiefen Schulden die Zinsen nach unten, was dazu führt, dass die Sozialversicherungen ihr milliardenschweres Volksvermögen nicht sinnvoll anlegen können.

Ein rechts dominierter Bundesrat treibt eine Finanzpolitik voran, die nichts mit der ökonomischen Realität der Schweiz zu tun hat. Gleichzeitig ist es für die Linke auch im Parlament immer schwieriger, Mehrheiten zu finden. Sie haben von einer radikalisierten FDP gesprochen. Müsste man nicht vielmehr von einer radikalisierten politischen Mitte sprechen?

Ich sehe da schon Unterschiede. Die Mitte-Partei schielt vor allem im Asyldossier nach rechts, ansonsten versucht sie schon, eigenständig zu sein. Das Problem, das wir mit der Mitte-Partei schon lange haben, ist vielmehr, dass sich ihre Politiker:innen – vor allem zwischen National- und Ständerat – nie einig werden und sie deshalb kein zuverlässiger Partner ist. Das hat sich gerade wieder in der Armeedebatte gezeigt, in der sich die Partei erst für eine Finanzierung via Darlehen aussprach, was die Entwicklungszusammenarbeit massiv geschont hätte, und dann im Parlament ihre eigene Idee wieder versenkt hat.

Insgesamt hat man den Eindruck: So schwierig war es im Parlament für die Linke noch nie.

Es gibt immer noch die kleinen Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Der letzte Erfolg war der bessere Schutz von Migrant:innen vor häuslicher Gewalt, bei der wir das Ausländer:innenrecht progressiv erweitern konnten. Ansonsten ist es eine Legislatur, in der unsere Referendumskraft entscheidend ist: Wir haben mit der Drohung eines Referendums gerade neue Steuerprivilegien für Reedereien, Rohstoffhändler und -konzerne verhindert, weil wir vorher im Steuerbereich viele Referenden gewonnen hatten. Da, wo es referendumsfähige Erlasse gibt, hilft unsere Stärke als SP. Schwierig wird es dort, wo dies nicht gilt, zum Beispiel bei den brutalen Kürzungen für die Entwicklungszusammenarbeit.

Die Linke hat in den letzten Jahren die meisten Referenden gewonnen, zuletzt jenes gegen die BVG-Reform. Warum gewinnt sie nicht auch die Wahlen?

Die SP hat 2023 um 1,5 Prozentpunkte zugelegt, das ist angesichts der stabilen Schweizer Verhältnisse ein klarer Sieg. Die soziale Schweiz wurde gestärkt. Doch die Verluste der Grünen und das Wachstum der SVP haben die Fronten verhärtet. Aber es verändert sich gerade etwas im Land. Jede dritte junge Frau wählt SP. Leider nehmen gerade die Frauen und die jungen Menschen ihre politischen Rechte weniger wahr. Da sehe ich noch grosses Potenzial. Rechte Kreise sind in der Schweiz nach wie vor besser mobilisiert.

Samira Marti (30) ist Ökonomin und SP-Nationalrätin. Zusammen mit Samuel Bendahan präsidiert sie die SP-Fraktion.

Swissinfo vor dem Aus : Geld gibts nur noch für Symbolpolitik

Kürzlich fuhr Albert Rösti wieder einmal Zug. In Begleitung einer Schulklasse und vieler Medienleute inszenierte sich der Verkehrs- und Medienminister von der SVP nicht nur als Freund des öffentlichen Verkehrs, sondern auch als Gegner von Fake News. Rösti weihte einen SBB-Waggon ein, der als «rollendes Klassenzimmer» durchs Land tingelt und Kinder über gefälschte Videos und manipulierte Fakten aufklärt.

Einige Wochen später lächelt Rösti wieder in die Kameras und erklärt das Ende von Swissinfo. Er will die Bundessubventionen in der Höhe von rund zwanzig Millionen Franken pro Jahr an das SRG-Portal streichen. Gefährdet sind die Jobs von hundert Festangestellten, die bei Swissinfo verlässliche Informationen über die Schweiz bereitstellen. Rösti begründet den Entscheid mit fehlender Effizienz. Wobei völlig unklar bleibt, was er damit meint. Klar ist aber die Kurzsichtigkeit dieser Politik. Statt ein wirkungsvolles Medium gegen Desinformation gibts einen Bahnwagen. Wie lange dieser rollt, bleibt allerdings ungewiss: Der Bundesrat will auch 200 Millionen Franken jährlich bei der Bahninfrastruktur streichen.

Das Sparprogramm, das Finanzministerin Karin Keller-Sutter vergangenen Freitag vorgelegt hat, umfasst Kürzungen über vier Milliarden Franken jährlich. Der geplante Ausbau der externen Kinderbetreuung soll gänzlich gestrichen (800 Millionen), der Klimaschutz um 900 Millionen Franken geschwächt werden, vor allem durch Abstriche im Gebäudeprogramm. Zusätzlich will Keller-Sutter 500 Millionen Franken bei den Integrationszulagen für Asylsuchende kürzen. Das sind die Hauptposten in diesem Abbaupaket.

Grundlage dafür ist der Sparbericht der Arbeitsgruppe um den neoliberalen Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger (siehe WOZ Nr. 35/24 und WOZ Nr. 37/24). Keller-Sutter übernimmt deren Vorschläge zu weiten Teilen. Wie nonchalant die vermeintlichen Expert:innen zu Werke gegangen sind, zeigt sich beispielhaft an der verlangten Schliessung von Swissinfo. Es gäbe bereits heute ein «sehr umfassendes Informationsangebot durch diverse Medienkanäle über die Schweiz im Ausland», argumentieren die Sparapostel. Ohne auch nur einen Beleg dafür anzuführen.