Klimakollaps: «Die Arschloch­gesellschaft feiert gerade ihr Coming-out»

Nr. 47 –

Krieg, Klimakrise und nun auch noch Trump. Wir müssten der düsteren Zukunft in die Augen schauen und uns organisieren, sagt der Berliner Klimaaktivist Tadzio Müller.

Tadzio Müller steht rauchend in einer Unterführung
Katastrophen sind unglaublich wuchtige politische Momente, da gibt es einiges an strategischer Handlungsmöglichkeit»: Tadzio Müller.

WOZ: Herr Müller, die linke Erzählung der letzten Jahre lautete: Die Rechten sind zwar stark, aber am Ende werden sich progressive Bewegungen zwangsläufig durchsetzen, weil sich der Fortschritt immer durchsetzt; und wir brechen in eine schöne, gerechtere, ökosoziale Zukunft auf. Spätestens mit Donald Trumps zweiter Wahl zum US-Präsidenten taugt diese Beschreibung der Zustände nicht mehr, oder?

Tadzio Müller: Wir Linke können Niederlagen traditionell gut verkraften, weil wir an das Dogma glauben, dass wir die letzte Schlacht gewinnen werden. Oder wie es der Bürgerrechtler Martin Luther King einst sagte: «Der Bogen des moralischen Universums ist lang, aber er neigt sich der Gerechtigkeit zu.» Wenn wir nun jedoch auf die Klimakrise schauen, müssen wir sagen: Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass die Faschisten «die letzte Schlacht» gewinnen, als dass wir das tun werden.

Wir erlebten auch früher schon verschiedene Krisen und Kriege gleichzeitig. Das fundamental Neue ist, dass über all dem die Bedrohung durch die Klimakatastrophe schwebt. Spätestens bis 2030 hätten reiche Länder ihre Emissionen radikal reduzieren müssen, nun kommt in den USA 2025 Donald Trump an die Macht, unter dem es wohl keinen globalen Klimaschutz mehr geben wird. Das ist erst einmal extrem deprimierend.

Ja, aber was man sich schon vergegenwärtigen muss: Joe Biden hat mehr Gasbohrungen zugelassen als Trump in seiner ersten Amtszeit. Es ist ja so ein linksökologischer Mythos, dass progressive Parteien bessere Klimapolitik machen als rechte. Der Kern des Problems ist der globale Massenproduktionskapitalismus, der nun einmal die planetaren Grenzen sprengt. Klimapolitik ist eigentlich keine ideologische Frage, sondern eine Wachstumsfrage. Auch die Sozialist:innen gingen davon aus, dass die Welt immer mehr produzieren würde. Sie hatten einfach andere Vorstellungen von der Kontrolle über die Produktion, von Eigentum und Verteilung. Die Idee, dass wir kollektiv glücklich werden in einem Reich der Überproduktion – die hatten alle. Und die Einsicht, die gerade die Mitte der Gesellschaft gerne verdrängt und die uns emotional so angreift, ist, dass die Zukunft nicht eine von ständig expandierendem Wohlstand, sondern eine der ständig expandierenden Katastrophen sein wird. Dass es diese Welt von «immer mehr und immer besser für alle» nicht geben wird.

Sie haben ein Buch über Ihre Einsicht geschrieben, dass wir die Transformation zur Postwachstumsgesellschaft nicht rechtzeitig schaffen, das Klima also nicht retten werden. Wann hatten Sie diese Einsicht?

Ich begann, das im April 2018 zu verstehen, als die ganze Stadt Berlin nach Feuer roch, weil in Brandenburg ein Wald brannte. Mir wurde da irgendwie körperlich klar: Wenn in Nordeuropa im Frühling Wälder brennen, ist das ein Zeichen des Kollapses. Neben der Einsicht, dass der Klimakollaps bereits begonnen hat, setzte sich bei mir aber in den letzten fünf Jahren noch eine weitere Einsicht durch, diejenige nämlich, dass der Klimaschutz als politisches Projekt gescheitert ist. In der Schweiz sieht man das ja gerade in einer totalen Radikalität. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat kürzlich geurteilt, das Land tue nicht genug für den Klimaschutz. Der Bundesrat hat darauf einfach mit einem «Fuck you» reagiert. «Finden wir blöd. Wir machen nichts.» Wir müssen nicht nur einsehen, dass das Klima bereits kollabiert. Wir müssen als Gesellschaft auch verstehen, dass wir bei der Verhinderung gescheitert sind. Nur dann verstehen wir, weshalb die Gesellschaften in Europa oder in den USA so irrational auf die Klimabewegung und ihre Forderungen reagieren.

Symbolbild: Einmachgläser gefüllt mit praktischen Gegenständen
«Ich plädiere für ganz basale, praktische Hilfestellungen über solidarische Netzwerke.» Foto: Tamara Janes, Meret Gschwend

Ihre Kernthese lautet: Das Verdrängen der Klimakrise führt zu einer «Arschlochisierung» der Gesellschaft. Oder wie Sie auch sagen: ins «Arschlochozän». Erklären Sie uns das bitte.

Die europäischen Gesellschaften der Nachkriegsära lebten lange in einer eingebildeten Ponyhofwelt. Ich komme aus dem Land der Täter:innen des Nationalsozialismus. Aber witzigerweise hat sich die Bundesrepublik spätestens nach 1968 eingeredet, dass jetzt alle Nazis weg und wir plötzlich dieses progressive, liberale Gleichstellungsland seien. Ein Champion bei den Menschenrechten, obwohl wir eine total ausbeuterische, neoimperiale Wirtschafts- und Ressourcenpolitik betrieben. Klimavorreiter, obwohl Deutschland in der Realität ein Vorreiter bei fossil betriebenen Autos ist. Im Überfluss liess es sich leicht mit solchen progressiven Selbstlügen leben. Dann kam Mitte der achtziger, Anfang der neunziger Jahre das Klimathema auf. Unsere Gesellschaften sagten: Ja, wir kümmern uns darum, auch weil wir verstanden haben, dass wir den anderen die Welt weggefressen haben. Klimaschutz war sozusagen die moralische Anforderung an unsere Gesellschaften. Und eine Zeit lang hat man tatsächlich darüber nachgedacht, etwas zu machen, es gab ein paar Klimagesetze, ein paar Debatten, aber im Kern haben wir in den letzten Jahren festgestellt, dass Klimaschutz zu anstrengend ist.

Er würde uns zu viel kosten.

Vor allem würde er unsere relativ bequeme Realität verändern. Und das wollen wir nicht. Und deswegen schämen wir uns jetzt. Die meisten Menschen verdrängen diese Gefühle, weil sie sehr unangenehm sind. Das erklärt so ein bisschen die total seltsame, teils sehr brutale Reaktion auf die Letzte Generation oder auf Extinction Rebellion. Über rechte Terrorist:innen regt man sich nicht so auf wie über die Klimakleber:innen. Und das liegt nicht nur daran, dass die Leute zu spät zur Arbeit kommen. Die Letzte Generation wollte unser Gewissen sein. Aber die Leute in den Autos haben gesagt: «I get it, aber ich will darüber nicht nachdenken, ich will mich damit nicht auseinandersetzen.» Freud nennt es die «Wiederkehr des Verdrängten».

Nach dem Sieg von Donald Trump analysierten viele Linke, er habe wegen der Inflation gewonnen, die Demokratische Partei habe die Wirtschaft nicht genug zum Wahlkampfthema gemacht. Sie hingegen sagen: Trump und andere Rechte machten vielen Wähler:innen schlicht ein gutes Angebot.

Womit wir bei der «Arschlochisierung» wären. Wenn ich mich so verhalte, dass das nicht mit meinen Werten übereinstimmt, habe ich zwei Optionen: Ich kann mein Verhalten verändern, aber das ist anstrengend, oder ich kann einfach meine Werte verändern, sodass ich mich nicht mehr schlecht fühle. Das ist genau das, was Trump so attraktiv macht. Er befreit die Leute von ihrer Scham, indem er sagt: Seid ruhig Arschlöcher. Auch in Europa feiert die Arschlochgesellschaft gerade ihr Coming-out. Wir scheissen auf den Rest der Welt, fahren mit Tempo 180 schnitzelessend durch die Fussgängerzone. Wir schämen uns nicht mehr dafür, dass Europa halt dieser Arschlochkontinent ist, der seine Privilegien verteidigt, der allen anderen alles wegnimmt, der die Mauern hochzieht, wenn Menschen hier Schutz suchen, einfach nur, weil sie anderswo nicht mehr leben können, weil wir auf ihre Kosten hier so reich geworden sind. Diese Zusammenhänge stressen nur, wenn man irgendwie noch den humanistischen Wertekanon ernst nimmt. Wenn man sagt: Es ist deren Schuld und mögen die doch verrecken, ist das Leben leichter. Natürlich leiden in den USA die Menschen unter der Inflation. Aber es ist einfach keine zulängliche Erklärung zu sagen: Wegen der hohen Preise haben wir den Faschisten gewählt.

Sie sagen, klassischer Klimakampf bringe nun nichts mehr. Stattdessen rufen Sie zum solidarischen Preppen auf. Was heisst das?

Das kann vieles heissen. Es geht darum, sich auf mögliche Krisensituationen in einer unsicher werdenden Welt vorzubereiten. Ich bin HIV-positiv. Anfang Jahr gab es plötzlich Lieferschwierigkeiten bei meinem überlebenswichtigen Medikament. Da können wir zum Beispiel «Buyers Clubs» gründen, um die solidarische Verteilung von Medikamenten zu sichern. Was das Klima angeht, plädiere ich für ganz basale, praktische Hilfestellungen über solidarische Netzwerke. Man kann in seiner Stadt schauen, was die wahrscheinlichste Auswirkung der Klimakrise ist. In Berlin ist das zum Beispiel die Hitze. Man könnte sich also nachbarschaftlich um die vertrocknenden Bäume in der Strasse kümmern, jeder adoptiert einen. Starke Hitzewellen treffen bekanntlich die Alten, Armen, Schwachen am meisten. Wir können also mit der Bezirksregierung zusammenarbeiten und schauen, wie wir auch alte Leute erreichen, die im fünften Stock im Altbau wohnen. Das klingt jetzt erst einmal sehr kleinteilig. Aber es geht mir um praktische Kollapspolitiken der Solidarität.

Aber wenn sich jetzt auch Linke einfach in ihre solidarischen Bunker zurückziehen, ist das nicht ein Stück weit zynisch?

Man kann sagen, es ist zynisch, weil es die globale Gerechtigkeitsperspektive aufgibt. Aber wir reden schon lange darüber, und es hilft nicht, wenn wir keinen realpolitischen Hebel haben, globale Gerechtigkeitspolitiken durchzusetzen. Stattdessen können wir unsere begrenzten Handlungspotenziale ernst nehmen und fragen: Wie setzen wir die rational ein? Natürlich müssen wir hier gleichzeitig weiter antifaschistisch zusammenstehen und gegen rechte Regierungen kämpfen – oder gegen Autobahnen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, wie Sie das Scheitern des Klimakampfs in eine tiefe Zukunftsdepression gestürzt habe. Wie viel Zukunftshoffnung steckt denn nun noch in dieser Idee des solidarischen Preppens?

Die Zukunft wird dunkler. Ich kann jetzt hier keine Geschichte erzählen, die das ignoriert. Meine neue Hoffnung ist nicht mehr so glitzernd und hell wie die auf den globalen Queerkommunismus. Aber auch in einer sich ständig verschlechternden Welt haben wir immer noch die Fähigkeit, Räume für gutes Leben herzustellen. Und wenn alles gut läuft, können wir diese Räume erweitern und uns mit anderen Räumen vernetzen. Das ist für mich eine reale Hoffnung. Ich habe dazu ein etwas absurdes Bild: Ich lebe in Berlin, und Brandenburg rundherum ist ziemlich reaktionär. Wenn ich mir nun vorstelle, dass die faschistischen Horden kommen und unser Berlin übernehmen, dann stelle ich mir vor, wie in den Katakomben der Stadt ein paar von uns queeren Antifakämpfer:innen den letzten queeren Club der Welt eröffnen. Das mag jetzt absurd klingen, weil es so klein gedacht ist, aber es geht um gutes Leben, für eine Stunde oder einen Tag. Das war der Glaube, der mir verloren gegangen war. Nicht nur der Glaube an die Zukunft, sondern der Glaube an die Bewegung, die die Welt besser machen kann. Aber es kann immer weitergehen, weil es nie so scheisse ist, dass man nicht mehr dafür arbeiten kann, dass es weniger scheisse ist.

Wie schlimm es wird, darauf haben wir immer noch Einfluss. Muss also die Hoffnung nicht weiter darin liegen, dass wir Leute für eine Postwachstumsperspektive gewinnen können?

Sicher. Aber unsere Gesellschaften sind derzeit an einem Punkt, wo sie nach dreissig, vierzig Jahren Selbstüberforderung erst einmal sagen: Jetzt sind wir mal Arschlöcher. Das ist ein richtiges Befreiungsgefühl. Wir müssen realistisch davon ausgehen, dass humanistische Positionen im globalen Norden derzeit nicht mehrheitsfähig sind. Linke Politik speist sich ja im Grunde genommen aus dem Verständnis, dass Menschen solidarisch sein können. Das haben in vierzig Jahren Neoliberalismus viele Leute vergessen. Und wir müssen dieses Gefühl nun wiederherstellen. Wir müssen die netten Menschen sein, die in der Katastrophe mit allen zusammenarbeiten. Katastrophen sind unglaublich wuchtige politische Momente, da gibt es einiges an strategischer Handlungsmöglichkeit. Man sieht das derzeit etwa in Valencia, wo 10 000 Freiwillige im Katastrophengebiet aufräumen. Im Grunde will ich aus solchen Erfahrungen eine neue linke Politik aufbauen. Ist das nun wieder sehr optimistisch? Vielleicht. Aber ich glaube, die Zusammenhänge sind schon richtig. Wir erleben die Welt zwar katastrophal, aber auch solidarisch. Das müssen die Bausteine der neuen linken Bewegung sein.

Tadzio Müller (48) ist Politikwissenschaftler und seit den nuller Jahren in der globalisierungskritischen Bewegung sowie in der Klimabewegung aktiv. Kürzlich erschien sein Buch «Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps. Wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben».