Deutsche Wahlen: Der Linksruck im Rechtsruck
Hoffnung ist zum Luxusgut geworden – ein bisschen so wie im ersten Coronalockdown Toilettenpapier, was nicht mal die abwegigste Assoziation ist angesichts der braunen Kloake, die sich gerade schier überall auftut. Umso heller strahlt der Erfolg der deutschen Linken bei der Bundestagswahl vergangenen Sonntag. Nach der Spaltung der Partei durch die fortlaufend rechts blinkende Sahra Wagenknecht drohte sie bedeutungslos zu werden. Bei der Europawahl im Juni 2024 holte sie niederschmetternde 2,7 Prozent, noch diesen Januar sah es in Umfragen nicht viel besser aus.
Man versteht also, warum der Kovorsitzende Jan van Aken als Fantast abgetan wurde, als er davon sprach, bei der vorgezogenen Neuwahl sieben bis acht Prozent anzupeilen. Und warum nun auf den Partys der Genoss:innen Freudentränen flossen, als sie den Einzug ins Parlament mit fast neun Prozent bejubelten.
Sicher ist das kein Resultat, das Die Linke zu dem macht, was man früher mal eine Volkspartei nannte. Aber der Kontext, in dem es errungen wurde, ist massgeblich. So beweist das gute Abschneiden, dass linke Positionen grossen Zuspruch erobern können – nicht obwohl, sondern gerade weil man keine Zugeständnisse an die Demokratiefeinde rechts aussen macht und sich stattdessen auf die soziale Frage (Mieten, Inflation et cetera) konzentriert.
Diese Botschaft – «Solidarity first!» – schallt über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. Der Kampagnenslogan «Niemals alleine, immer zusammen» hatte sie auf den Punkt gebracht. Ganz Abgeklärte mögen solche Parolen rührselig finden. Etwas Pathos ist aber nicht verboten, solange das den Leuten glaubhaft macht, den Katastrophen der Gegenwart nicht völlig isoliert ausgesetzt zu sein.
Das ist es nämlich, was sie häufig in die Arme der extremen Rechten treibt. Die wiederum ist in Deutschland, wo man sich lange für den Weltmeister Vergangenheitsaufarbeitung hielt, so stark wie nie zuvor seit 1945. Ohne Zweifel ist das Land infolge des Desasters namens Ampelkoalition nach rechts gerückt – versinnbildlicht durch den sich nun konstituierenden Bundestag, in dem wohl nicht einmal ein Drittel der Abgeordneten Frauen sein werden. Trotzdem hätte man angesichts eines Wahlkampfs, der auf bizarre Weise auf das Thema Migration (oder genauer: die Abpanzerung gegen dieselbe) verengt war, Schlimmeres erwarten müssen. Sowohl die AfD (20,8 Prozent) als auch die Konservativen unter Friedrich Merz (28,5) sind hinter eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Das Abschneiden der SPD (neuer Negativrekord: 16,4 Prozent) und der Grünen (11,6) belegt indes einmal mehr, dass es ein Irrglaube ist, die Rechte einhegen zu können, indem man sich ihrer Agenda beugt. Wann lernt man es endlich?
Für die Deutschen verheisst das mittelfristig nichts Gutes, was aber angesichts der internationalen Grosswetterlage auch nicht anders zu erwarten war. Ökonom:innen wie etwa Isabella Weber warnten schon vorab, dass unter einem Kanzler Merz ein radikales Deregulierungsprogramm droht: Das entspräche den Zeichen der Zeit, siehe Javier Milei in Argentinien oder Donald Trump in den USA.
Merz mag für den rechten CDU-Flügel stehen und ein schauderhafter Charakter sein. Immerhin hat er signalisiert, dass für ihn die Schuldenbremse nicht sakrosankt ist. Nicht auszuschliessen, dass eine möglicherweise bald regierende CDU-SPD-Koalition Investitionen in die Infrastruktur auf den Weg bringt, die das Land dringend nötig hat und die der AfD zumindest etwas Wind aus den Segeln nehmen. Ein solches Programm fordern selbst dem Kapital nahestehende Institutionen seit längerem – in einem Volumen von mehreren Hundert Milliarden Euro.
Die Schuldenbremsendebatte hat so auch unmittelbar nach der Wahl begonnen, zunächst geht es um die Beschaffung von Geldern zur Aufrüstung. Damit es dabei nicht bleibt, sondern eine umfassende «antifaschistische Wirtschaftspolitik» (Ökonomin Weber) folgt, braucht es Druck von links. Auf der Strasse – aber eben auch im Parlament.