Wie wir leben werden (8): Die erträumte Schüür

Nr. 10 –

Im bernischen Kirchdorf antworten vier Freund:innen mit dem Umbau einer Scheune aus der Zeit vor der Französischen Revolution auf soziale und ökologische Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

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Roman Droux und Annlis von Steiger vor der Schlössli-Schüür in Kirchdorf
Bald sollen hier 25 Menschen wohnen und arbeiten:  Roman Droux und Annlis von Steiger vor der Schlössli-Schüür in Kirchdorf.

«Wir können nicht die Welt verändern», sagt Annlis von Steiger. «Aber wir können einen winzigen Ort so gestalten, dass er für uns passt und für die Umwelt verträglich ist.» Der winzige Ort ist 45 Meter lang, 14 Meter breit, 15 Meter hoch: eine Scheune aus dem 18. Jahrhundert, die sie von ihrem Vater geerbt hat. Ein «Riesentütschi», wie die Berner:innen sagen. Die Schlössli-Schüür im bernischen Kirchdorf war Kornspeicher, Apfel- und Kartoffelkammer, Heustock und Strohlager, Dreschplatz und Stall. Heute liegt sie wie eine gestrandete Arche am Auslauf des Belpbergs, eines Hügels mit grossartiger Aussicht auf die Berner Alpen.

In wenigen Jahren soll sie Wohn- und Arbeitsplatz für 25 Menschen sein. Die Vorarbeiten sind abgeschlossen, die Baueingabe ist gemacht. Treibende Kräfte waren (und sind noch immer) Annlis von Steiger und ihr Lebenspartner Roman Droux zusammen mit Rebecca Vermot und Äbu Liniger. Was die vier über eine langjährige Freundschaft hinaus verbindet, ist der unbedingte Wille, nicht auf Kosten der Umwelt und der Zukunft zu leben. «Wir wollen uns weiterentwickeln», sagt Vermot. Und das heisst: hin zum Kleinen, zu materieller Knappheit und mentaler Grosszügigkeit. Mit der riesigen Schlössli-Schüür wollen sie dahin kommen.

Doch die Scheune steht unter Denkmalschutz. Liniger, der Vernetzer und Möglichmacher, schlug vor, sich als Erstes direkt an die Denkmalpflege zu wenden. Ein guter und wichtiger Schritt, denn diese Behörde schlug vor, den Schutzstatus zu erhöhen. Das erst macht es möglich, in die grosse, leere Hülle zehn selbstständige Wohneinheiten zu bauen. Mit diesem «Haus-in-Haus-Prinzip» wäre allen gedient: Das Äussere des Gebäudes bleibt erhalten, und es entsteht Wohn- und Arbeitsraum, ohne dass dafür neues Land überbaut werden muss. Das Konzept überzeugte. Neun der zehn Wohneinheiten sind im Stockwerkeigentum bereits jetzt verkauft. Selbstauferlegte Vorgaben verhindern, dass die Besitzer:innen sie zu spekulativen Preisen weiterveräussern.

Dorfplatz inklusive

Unter dem ausladenden Dach wird in den nächsten Jahren ein kleines, vielfältiges Quartier entstehen, mit Familienwohnungen und Studios, zwei Zimmern für Feriengäste und einem für Menschen in Not. Richtwert sind pro Person 25 Quadratmeter privater Wohnraum. Das ist die Hälfte der durchschnittlichen Wohnfläche in der Schweiz. Zu diesem reduzierten Wohnraum kommen allgemein nutzbare Räume: Küche, Cafeteria, Werkstatt, Gästezimmer, Bibliothek, Büro und ein zum Dach hin offener Dorfplatz zwischen den Wohnbauten.

Geheizt wird mit Solarthermie und ergänzend mit einer Holzheizung. Transparente Solarpanels auf dem Dach produzieren mehr Strom, als die Bewohner:innen verbrauchen, und lassen genügend Licht in die Scheune einfallen. In Küche und Bad wird Dachwasser genutzt. Feststoffe und Urin in den Toiletten werden getrennt und zu Kompost und Dünger verarbeitet, Grauwasser geht durch eine hauseigene biologische Kläranlage.

Auf unserem Rundgang kommen wir in den ehemaligen Kornspeicher. Roman Droux nimmt eine der Bodenplatten in die Hand, fährt über ihre raue Oberfläche und dreht sie um. Auf der Rückseite ist der Abdruck eines Kinderfusses. Nicht nur für Droux ein berührendes Bild dafür, was Wiederverwendung ist und kann. «In der Schweiz entsteht jede Sekunde 550 Kilogramm Bauschutt», sagt er. Droux hat sich in den letzten Jahren intensiv mit grauer Energie beschäftigt, die im Hoch- und im Tiefbau verschwendet wird.

In der Schlössli-Schüür dagegen soll alles, was einst verbaut wurde, erhalten oder an einer neuen Stelle eingesetzt werden. Ein Zementboden wird sorgfältig in Streifen gefräst und für den künftigen Versorgungskanal wiederverwendet. Ausgediente Bahnschwellen aus Beton werden als Streifenfundament ein zweites Mal verbaut, die Bausteine für die Wände aus Aushublehm und geschredderten Korkzapfen gepresst. Das Holz für den Bau kommt aus dem eigenen Wald, die dreifach verglasten Fenster stammen aus einem Rückbau der Chipsfirma Zweifel. Zement wird nur äusserst sparsam eingesetzt.

Acht Jahre Vorbereitung

Doch dann kommt noch das grosse «Aber das alles muss doch irre teuer sein». Ist es nicht. Die Käufer:innen bezahlen für ihre Wohneinheit nicht mehr als in anderen gemeinnützigen Bauprojekten. Darüber hinaus bekommen sie in der Schlössli-Schüür viel Gemeinschaftsraum und die Gewissheit, dass sie an einem Ort leben, der seine Energie selbst produziert und sehr umwelt- und ressourcenschonend gebaut wurde. Über acht Jahre hat die Vorbereitung gedauert. Das hat viel persönliche Energie gekostet. «Aber es kommt immer gut, wenn du dir deinen Traum nicht nehmen lässt», sagt Äbu Liniger.

Eine ausführliche Dokumentation (und ein Aufruf zum Korkzapfensammeln) findet sich auf www.stalldrang-kirchdorf.ch.