Wie wir leben werden (6): Auf Permafrost gebaut
Der Boden war zu instabil geworden: Anstelle der alten Rothornhütte wurde in dieser Saison ein Neubau eröffnet. Welche Zukunft haben Berghütten in der sich schnell erwärmenden Bergwelt?
Vom trubeligen Zermatt zur Rothornhütte sind es 1700 Meter Aufstieg, in engen Kehren durch Lawinenverbauungen und über steile ehemalige Schafweiden. Irgendwann sind da bloss noch Geröll und Moränen, grauer Fels, blaues Eis und von Saharastaub bedeckte Schneefelder. Hier oben trifft man auf Murmeltiere, Steinwild – und Bergsteiger:innen. Für Letztere wurde die Rothornhütte 1948 erbaut. Schon einige Jahre später machten sich die ersten Risse bemerkbar. Die Hütte war auf instabilem Grund errichtet worden, auf schmelzendem Permafrost. Sie rutschte.
Steigeisen, bunte Kletterseile und Helme liegen zum Trocknen ausgebreitet vor dem Eingang der neuen Rothornhütte. Der schwarze, moderne Holzbau wurde 2023 errichtet und diesen Sommer eröffnet. In grossen, weissen Säcken stapeln sich die Steine der alten Hütte – mit ihnen soll noch die Terrasse fertiggestellt werden. Hinter dem Gebäude steht Hüttenwartin Daniela Brielmaier und zeigt den Hang hinauf, dorthin, wo sie ein knappes Jahrzehnt gearbeitet hat: «Da oben stand die alte Hütte, nur etwa achtzehn Meter höher als die neue.» Permafrost oder kompakter Fels – in den Bergen ist das oft eine Frage von ein paar Metern.
Permafrost ist Boden, der sich nie über null Grad erwärmt. Weil die Temperatur des Untergrunds kaum von saisonalen Schwankungen beeinflusst wird, ist er zudem ein guter Indikator für Klimaveränderungen. Und der Trend ist klar: Der Permafrost taut auf. In der Folge werden Hänge instabiler, es kommt häufiger zu Murgängen und Steinschlägen. Im Fall der Rothornhütte häuften sich die Risse. Ein Stahlgürtel um das Gebäude konnte das Problem zwar einige Jahrzehnte lang eindämmen, in den vergangenen Jahren nahm die Bewegung des Bodens jedoch wieder stark zu. Es wurde klar: Entweder muss die Hütte totalsaniert oder gleich ganz abgerissen werden. 2016 entschied man sich für den Neubau.
Vom Schmelzwasser abhängig
Ein Drittel der SAC-Hütten liegt in Regionen, in denen das Auftauen des Permafrosts künftig zum Problem werden könnte. «Neben der Rothornhütte ist jedoch nur die Mutthornhütte im Berner Oberland schon heute von den Folgen des sich erwärmenden Permafrosts betroffen», erklärt Bruno Lüthi, Fachleiter Hüttenbetrieb des SAC. Sie musste wegen akuter Felssturzgefahr 2022 schliessen und soll nun ebenfalls an einem neuen Standort wiederaufgebaut werden. Dass sie gleich neu gebaut werden müssen, sei eher die Ausnahme. Aber: «Wir stellen uns immer öfter die Frage: Welche Zukunft haben die bestehenden Hütten?» Im Rahmen des Projekts «Hütten 2050» wird deshalb aktuell untersucht, wie die Unterkünfte des SAC den klimabedingten Veränderungen angepasst werden können.
Auch wenn solche extreme Gefahrenlagen wie bei der Rothorn- und der Mutthornhütte selten sind – die Klimaerhitzung führt zu neuen Herausforderungen. Der Alpenraum hat sich im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt seit dem 19. Jahrhundert rund doppelt so stark erwärmt, die Nullgradgrenze ist seit Beginn der Messungen 1864 um 300 bis 400 Meter gestiegen, Gletscher haben im Schnitt sechzig Prozent ihrer Eismasse bereits verloren. «Die Wassersituation ist ein grosses Thema. Hütten, die sich in erster Linie mit Gletscherwasser versorgen, werden mehr und mehr Probleme bekommen», so Lüthi. Das gilt auch für die neue Rothornhütte. «Wir sind vom Schmelzwasser abhängig», erklärt die Hüttenwartin. «Aber wir haben vorgesorgt: Im Keller steht ein 17 000-Liter-Wasserspeicher.»
Schöne Schmelze
Auf Wasserknappheit können sich die Hütten vorbereiten. Was aber zunimmt, sind extreme Naturereignisse. Das betreffe nicht nur die Hütten selbst, so Lüthi. «Extreme Niederschläge, Murgänge, Steinschlag oder die Verschiebung von Schneefallgrenzen – das alles hat auch Einfluss auf die Zustiege und die Wanderwege.» So haben etwa Ende Juni Schmelzwasser und starker Gewitterregen den Triftbach und die Vispa bei Zermatt zum Überlaufen gebracht. Das Dorf war abgeschnitten. Der Weg entlang des Triftbachs, eigentlich der direkte Zustieg zur Rothornhütte, ist noch immer gesperrt.
Zudem ziehen die Berge immer mehr Menschen an. «Als ich 2019 hier angefangen habe, hatten wir im Schnitt 1400 Übernachtungen über den Sommer», erinnert sich Brielmaier, «nun sind es sicher 1700 bis 1800.» Und nicht nur der Bergsport hat zugenommen. Auch wer den Berg nicht zu Fuss schafft, möchte gerne einen Blick auf schmelzende Gletscher und schroffe Gipfel erhaschen. So sehen wir allein in den wenigen Stunden, die wir auf der Rothornhütte verbringen, vier Helikopter ums Ober Gabelhorn kreisen. Ob das die Bergrettung sei? Hüttenwartin Brielmaier lacht: «Nein, das sind nur Touristenflüge.»