Restitutionen in der Schweiz: Handel vor Moral

Nr. 14 –

Eine wichtige Kommission für belastete Kulturgüter wurde geschaffen – und mit einem unnötigen Kompromiss geschwächt.

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Eigentlich ist die Schaffung einer Kommission für historisch belastetes Kulturerbe ein Meilenstein. Eingereicht 2021 als Motion von SP-Nationalrat Jon Pult im Nachgang zu den Debatten um den stümperhaft vorbereiteten Einzug der Sammlung Bührle ins Kunsthaus Zürich, sollte eine solche Kommission zu einer kompetenten Anlaufstelle für Fragen zu belastetem und strittigem Kulturgut werden.

Die unabhängige Expert:innenkommission soll beratend tätig sein und unverbindliche Empfehlungen für oder wider Restitutionen aussprechen, geleitet von der Suche nach den «gerechten und fairen Lösungen», die das Washingtoner Abkommen, das die Schweiz bereits 1998 unterzeichnet hat, verlangt. Auch versäumte man es nicht, neben den NS-verfolgungsbedingten Kontexten auch koloniales Unrecht explizit zu erwähnen.

Das war alles gut, richtig und auf der Höhe der Zeit gedacht. Zumal sich Nationalrat und Bundesrat für eine einseitige Anrufbarkeit aussprachen: Mutmassliche Geschädigte sollten die Kommission eigenständig um Rat bitten können, ohne dass die aktuellen Besitzer:innen eines Werks zwingend ihr Einverständnis geben müssten.

Nun hat der Ständerat diesen entscheidenden Zahn gezogen: Die Kommission kann nur zweiseitig angerufen werden, «ausser bei Kulturgütern im Kontext des Nationalsozialismus, die sich in staatlich finanzierten Museen oder Sammlungen befinden». Der Kompromiss wirkt noch unverständlicher, wenn man erfährt: Deutschland hat eben diesen zweiseitigen Anrufungsmechanismus für untauglich erklärt – nach zwanzig Jahren Praxiserfahrung. Die Begründung: Der Mechanismus sei ein Haupthinderungsgrund für gütliche Einigungen.

Was ein solches Scheitern von Einigungen für die Geschädigten konkret bedeuten kann, zeigen Beispiele von Restitutionsverhandlungen, die von den aktuellen Besitzer:innen zäh in die Länge gezogen werden, bis auch die Nachkommen der ursprünglichen Besitzer:innen nicht mehr leben (vgl. «Im Theater der Selbstvergewisserung»). Umgekehrt gibt es auch Fälle, bei denen dank eines proaktiven und umsichtigen Umgangs mit Rückgabeforderungen die Werke nach der formellen Restitution als Leihgaben in den Museen bleiben können.

Ausgerechnet Philipp Hildebrand, Präsident der Kunstgesellschaft Zürich, deponierte letzten Dezember beim Bund eine Stellungnahme, die viel besser zu seinem Hauptjob als Vize des US-Vermögensverwalters Blackrock passt. Er teilte der für die Motion zuständigen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur auf Briefpapier des substanziell öffentlich finanzierten Kunsthauses Zürich mit, dass er sich um den «Schutz des Privateigentums» sorge.

Bei «der ‹Reparation›» bestehe nämlich das Risiko, dass «historisches Unrecht durch ein neues Unrecht ersetzt oder ‹ausgeglichen›» werde. Die Empfehlungen der neuen Kommission hätten «unmittelbare Auswirkungen auf die Handelbarkeit und den ökonomischen Wert der betroffenen Werke». Hildebrand beschwört in seiner dreiseitigen Depesche einfühlsam Bedrohung, Vertrauensverlust und Besorgnis um den «hochsensiblen» internationalen Kunstmarkt; er warnt vor Belastungen der privaten Eigentümer:innen und Museen, vor «De-facto-Enteignung» – und verliert dabei kein Wort der Anteilnahme für die im NS- oder kolonialen Kontext Enteigneten und an Leib und Leben Bedrohten. Am Ende des Briefs wirkt es, als sei Hildebrands Bekenntnis zur Kommission im ersten Absatz des Schreibens vor allem eins: Rhetorik.

Hildebrands Unterstellung, «Interessengruppen» könnten künftig versuchen, «Einfluss zu nehmen», fällt auf ihn selbst zurück. Aus dem «faulen Kompromiss» (Jon Pult), der nun durchgesetzt wurde, spricht die von Hildebrand wortreich evozierte Sorge um die heute Besitzenden gegenüber den einst Bestohlenen und Geschädigten. Eine deutliche Bruchlinie im Meilenstein.