Kunst: Widersprüche jenseits der Baumgrenze
Auf Initiative des Schweizer Alpen-Clubs ist derzeit die Ausstellung «Passage» am Gemmipass zu sehen. So faszinierend sie ist: Ist die hochalpine Show nicht auch ein bisschen problematisch?

Auf der Hochebene des Gemmipasses liegt nahe am Ufer quer über eine kleine Insel eine Fichte im Daubensee, der Stamm halb im Wasser. Die Szenerie irritiert, aber erst auf den zweiten Blick. Die Landschaft ringsherum ist hochalpin felsig und karg, der grosse Natursee liegt auf gut 2200 Metern über Meer, Bäume gibt es hier oben keine mehr.
Wie also ist diese Fichte hierhergelangt? Unmöglich, dass sie angeschwemmt wurde – woher denn auch. Der See wird hauptsächlich von Schmelzwasser und Niederschlägen gespeist, bis im Oktober wird das gesamte Wasser im porösen Gestein versickert sein, der Baum zur Gänze auf Geröll liegen.
Des Rätsels Lösung: Der Baum kam aus der Luft, mit einem Helikopter. Bob Gramsma liess ihn hier absetzen, machte ihn so zum Kunstwerk. Er wolle damit unter anderem die Verschiebung der Baumgrenze durch die Klimaerwärmung thematisieren, sagt er dazu. «Es ist kein spektakuläres Werk, sondern eine stille Geste.» Still? Helikopter machen Lärm und verbrennen Kerosin.
Monumentale Skulptur
Der Künstler aus Zürich arbeitet immer wieder in den Bergen zum Thema «Kunst und Klimawandel». Parallel zur Aktion auf der Gemmi hat Gramsma bei der «Arte Soazza» im Misox einen riesigen Schrotthaufen aus zertrümmerten Leitplanken und kaputten Strassenlaternen platziert – eine monumentale Skulptur, die an einen katastrophalen Murgang in der Nähe erinnern soll.
Bereits 2017 liess er in Zürich drei Kandelaber fällen, die per Heli von der Talstation der Seilbahn Albigna in Paranzaira weiter in die Höhe transportiert wurden*, wo sie für die Freilichtausstellung «Arte Albigna» oberhalb eines Stausees an eine schräge Felswand montiert wurden. Faszinierend, aber auch absurd und provokativ. Gerade für einen Betrachter, der sich ob allem Sinnieren über die Eingriffe des Menschen in die Natur an den verheerenden Bergsturz im nahen Bondo erinnert.
Auch auf der Gemmi ist die Klimakatastrophe omnipräsent. Ganz in der Nähe ist vor kurzem ein ganzes Dorf verschüttet worden: Blatten im Lötschental.
In vorbelasteter Landschaft
Bei der Ausstellung «Passage» irritiert deshalb mindestens so stark wie der stille Baum die Sache mit den lauten Helikoptern – zumal es der Schweizer Alpen-Club (SAC) ist, der diese hochalpine Kunstshow initiiert hat. Grundsätzlich gehe es ihm schon darum, «die einzigartige Natur- und Kulturlandschaft der Alpen zu schützen», erklärt der SAC auf Anfrage. Aber: «Wir sind uns bewusst, dass jede menschliche Aktivität in den Alpen Spuren hinterlässt.» Wohlüberlegt habe man für die Ausstellung eine vorbelastete Landschaft gewählt: «Die Gemmi ist ein Gebiet, das intensiv besucht wird und das durch bestehende Infrastruktur wie Bauten und Bahnen geprägt ist.»
Für neun der dreizehn Installationen seien Transporte mit Helikoptern nötig gewesen, so der SAC, rund drei Stunden Flugzeit seien bisher zusammengekommen, beim Abbau der Ausstellung dürften es dann noch einmal gleich viele sein. Verbrauch an Kerosin: über tausend Liter.
Pro Natura kommentiert auf Anfrage, es handle sich auch bei dieser Kunstaktion um eine unnötige «Möblierung der Landschaft», und die Organisation Mountain Wilderness erklärt: «Hinsichtlich Glaubwürdigkeit und Wirkung der Ausstellung unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist es ein Makel, wenn Kunstwerke mit dem Helikopter geflogen werden.»
Bedenklich ist für deren Geschäftsleiterin Maren Kern denn auch, dass der Schweizer Alpen-Club hinter dieser Ausstellung steht. «Der SAC hat eine Klimastrategie und sollte gemäss dieser perspektivisch klimaneutrale Veranstaltungen ausrichten. Ob Helikopterflüge für Kunstaktionen hier ins Bild passen, ist fraglich, sie stellen jedoch verglichen mit den Dimensionen anderer (Gross-)Events des SAC die kleinere Herausforderung dar.»
Für den Kanton Bern, der die Ausstellung mit 27 000 Franken unterstützt hat, ist Nachhaltigkeit in diesem Zusammenhang kein Thema. Kommunikationsleiter Yves Brechbühler schreibt: «Die Vergabe von Projektbeiträgen ist nicht an den Nachweis von ökologischem Handeln gebunden.»
Rätselhafte Präsenz
In der Nähe von Bob Gramsmas Tanne überrascht an einer schräg abfallenden Felswand ein seltsamer Fremdkörper. Das Künstlerduo Lang/Baumann aus Burgdorf hat hier eine strahlend weisse, rechtwinklige, rund 3 × 3 × 3 Meter grosse und etwa 500 Kilogramm schwere portalartige Skulptur platziert, eine mit bemalten Holzplatten verkleidete Aluminiumstruktur, die laut Begleitpublikation «ein gewagtes Spiel mit der Schwerkraft» sichtbar macht. Auch dieses Objekt fasziniert und verunsichert gleichzeitig: mit seiner ästhetischen Ausstrahlung, seiner Makellosigkeit und seiner rätselhaften und absurd wirkenden Präsenz, die die umliegende zerklüftete Felslandschaft und den riesigen Strommast im Hintergrund erst richtig in Szene setzt. Selbstverständlich wurde auch dieses Werk mit einem Helikopter hierhergeflogen.
Gigantismus? «Dies ist tatsächlich ein Thema in diesem Kontext, bezieht sich aber auf die wuchtige Hochspannungsleitung. Dem wollten wir mit unserer klaren und einfachen Struktur etwas entgegenstellen. Die Dimension steht in einem Verhältnis zum Menschen und kann durchaus zum Nachdenken über Nachhaltigkeit, Technologiekritik und die sich verändernden Realitäten in der Bergwelt anregen», schreibt das Künstlerduo auf Nachfrage.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Beate Engel und Peter Erismann. Dieser schickt im SAC-Magazin schon mal ein grundsätzliches Statement zum Spannungsfeld «Kunst und Ökologie» voraus: «Gewisse Widersprüche bleiben bei einer solchen Veranstaltung immer bestehen.» Auf Anfrage relativiert das Kuratorenduo den Einsatz von Helikoptern weiter: «Auch für Wechselausstellungen in Museen werden regelmässig Bilder und Installationen aus aller Welt hin und her transportiert.» Und: «In unserem kuratorischen Verständnis geht Ökologie über die reine Betrachtung von CO₂-Emissionen hinaus.»
Die dreizehn Positionen dieser «Passage» sind auf der rund zehn Kilometer langen Wegstrecke zwischen der Walliser und der Berner Seite der Gemmi verteilt, man erwandert sich seine Eindrücke in etwa drei Stunden. Zu Recht weisen die Kurator:innen darauf hin, dass auch weniger monumentale und trotzdem wirkungsvolle Arbeiten zu sehen sind, wie das fotografische Mahnmal von Batia Suter am zerfallenden ehemaligen Hotel Wildstrubel. Längere Wegstrecken sind ohne künstlerische Eingriffe geblieben, «um die Landschaft als Landschaft wirken zu lassen».
«Spielplatz der Städter»
Bei der Eröffnung sind auch zwei Berner Künstler plaudernd unterwegs auf der Hochebene zwischen Leukerbad und Kandersteg, in der widersprüchlichen Erfahrungswelt zwischen visueller Attraktion und intellektuellem Widerstand. Die beiden sind als Besucher hier, sie haben bei der Ausstellung nicht mitgemacht, kennen die Szene aber bestens.
Filip Haag sagt, als Maler sei er «mit pflanzlichen Ölen und Fasern ziemlich ökologisch unterwegs». Aber: «Manchmal muss man in der Kunst unökologisch sein – gerade, um das Ökologiethema auf die Spitze zu treiben.»
Den in Gadmen im Berner Oberland lebenden Kunstmaler und Bergler Franz Roth stören die Helikopter nicht, «sie gehören hier in den Alpen für Transporte zum Alltag wie das Tram in der Stadt». Vielmehr kritisiert er den «Overtourism»: «Die Schweizer Berge sind zum Hinterhof der Stadt geworden, zum Spielplatz der Städter.» Zur Ausstellung auf der Gemmi sagt er: «Ich glaube nicht, dass die vielen Touristen, die hier vorbeigehen, diese Kunstwerke überhaupt bemerken.» Eben: «vorbeigehen», nicht «innehalten». «So gesehen kann man sich schon fragen, was das soll», sagt Roth.
SAC-Kunstausstellung «Passage» am Gemmipass. Bis 12. Oktober 2025. www.gemmi-passage.ch
* Korrigenda vom 19. August 2025: In der früheren Version dieses Artikels wurde fälschlicherweise suggeriert, die drei Kandelaber seien von Zürich ins Bergell geflogen worden und auch die Leitplankenskulptur sei mit einem Helikopter transportiert worden. Das ist nicht der Fall.