Durch den Monat mit Scorpio (Teil 3): Wie bekannt ist Scorpio inzwischen?

Nr. 38 –

In ihrer Berufsschulklasse hätten am Ende die meisten gar nicht mehr in der Pflege arbeiten wollen, sagt die 22-jährige Baslerin Alisha Jackson. Vor allem der respektlose Umgang ging ihr gegen den Strich.

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Alisha Jackson
«Das läuft also», sagt Alisha Jackson über die Basler Lernendenbewegung. «Und es ist megacool, dass es Scorpio nun auch in Zürich gibt.»

WOZ: Alisha Jackson, in diesem Sommer haben Sie den Pflegeberuf nach drei Jahren hinter sich gelassen, um eine Kunstberufsmatur zu machen. Ein guter Entscheid?

Alisha Jackson: Ja, voll. Dadurch, dass ich mit fünfzehn anfing zu arbeiten, hatte ich das starke Bedürfnis, einfach mal wieder voll zur Schule zu gehen. Also für mich selber zu arbeiten und für niemanden sonst. Das ist zwar auch streng und manchmal mühsam, aber im Moment geniesse ich es extrem.

WOZ: Haben Sie mit Leidenschaft in der Pflege gearbeitet?

Alisha Jackson: Eigentlich schon. Ich habe die Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit ja gemacht, weil ich gerne mit Menschen arbeite. Daran hat sich auch nie etwas geändert. Aber das ganze Drumherum hat mir irgendwann die Lust genommen.

WOZ: Was meinen Sie damit?

Alisha Jackson: Ich war an verschiedenen Orten angestellt, und vor allem im ersten Betrieb ging es arbeitstechnisch ziemlich ab. Es war unglaublich stressig, ich hatte immer sehr viele Patient:innen, und der Betreuungsschlüssel ging oft nicht auf. Später, an einem anderen Ort, war es zwar besser. Aber es fiel mir auch schwer, mit dem ständigen Druck umzugehen; ich hatte Angst, Fehler zu machen, gerade etwa beim Verabreichen von Medikamenten. Und mir ging total gegen den Strich, dass man in der Pflege immer von oben herab behandelt wird.

WOZ: Von wem?

Alisha Jackson: Zuweilen von Patient:innen, manchmal von Mitarbeitenden, insbesondere aber von Vorgesetzten. Das macht den Beruf ziemlich unattraktiv, zumal du für all das – den Stress, die Verantwortung, den fehlenden Respekt – nicht wirklich gut entlöhnt wirst. Besonders krass ist das während der Lehre, da ist das Missverhältnis noch extremer. In meiner Klasse hatte die Mehrheit am Ende gar nicht mehr vor, nach dem Abschluss im Beruf zu arbeiten.

WOZ: Wie kommt das?

Alisha Jackson: Es ist leider wirklich so, dass Lernende in vielen Betrieben in erster Linie als billige Arbeitskraft betrachtet werden. Als ich anfing, hatte ich eine etwa zweitägige Einführung, dann hiess es: Los, mach – pfleg! Schon im zweiten Lehrjahr kam es vor, dass ich ganz allein die Spätdienstverantwortung für zwanzig Patient:innen hatte. Völlig fahrlässig. Du bekommst Lasten aufgebürdet, als wärst du ausgelernt – aber wirst behandelt, als wärst du ein Dummkopf. Musst manchmal den ganzen Tag den Ausguss reinigen und Dinge desinfizieren. Ich habe ausserdem erlebt, wie sich Leute beim Rapport über Lernende lustig gemacht haben, weil sie nicht alles hinbekommen haben.

WOZ: Wenn ich richtig rechne, fiel auch noch die Covid-Pandemie in die Zeit Ihrer Ausbildung.

Alisha Jackson: Ja, ich war im zweiten Lehrjahr. Die Betriebe erhielten damals die Möglichkeit, die Lernenden aus der Schule zu holen, wenn Personalmangel herrschte. Obwohl dies bei uns gar nicht der Fall war, machte meine Vorgesetzte davon Gebrauch. Das heisst: Ich habe einfach drei Monate lang hundert Prozent gearbeitet für 600 Franken im Monat. Da fühlst du dich richtig verarscht. Und ausgebeutet. Als die Leute auf den Balkonen klatschten, empfand ich das als Hohn: Jetzt plötzlich merkt ihr, was wir leisten, und das ist alles, was ihr zu bieten habt? Immerhin hat eine Mehrheit ja die Pflegeinitiative angenommen.

WOZ: Was würden Sie konkret für die Lernenden im Pflegebereich fordern?

Alisha Jackson: Eine echte, verlässliche Betreuung wäre sehr wichtig. Eine Person, die auch dann bei Bedarf zur Seite steht, wenn es etwa personelle Engpässe gibt. Das kommt ja extrem oft vor. Von einer Lernenden habe ich zum Beispiel gehört, dass sie in ihrem ersten Lehrjahr ganze sechs Monate lang keine Berufsbegleitung hatte, weil Personalmangel herrschte. Viele Betriebe mögen heute zwar besser darauf achten, dass die Betreuung enger ist. Aber ich finde, es müsste wesentlich stärker kontrolliert werden.

WOZ: Wie hilft die Lernendenbewegung Scorpio eigentlich Lernenden ganz konkret?

Alisha Jackson: Mit unseren öffentlichen Sitzungen im Kleinbasel bieten wir einen Ort, an den man kommen kann, um sich auszutauschen. Und sich auszukotzen falls nötig. In vielen Berufslehren bekommt man ja ständig zu hören: Es ist halt so, wir haben das auch mal durchgemacht, und früher wars sowieso viel schlimmer. Wie ich das hasse! So kommen wir doch nirgendwo hin. Bei Scorpio bekommst du die Bestätigung, dass in manchen Fällen echt nicht okay ist, was abgeht. Wer ein konkretes Problem in einem Lehrbetrieb hat, kann sich auch direkt über Instagram an uns wenden. Dann können wir im kleinen Kreis Schritt für Schritt das beste Vorgehen besprechen.

WOZ: Scorpio gibt es in Basel seit bald drei Jahren. Wie bekannt ist die Bewegung mittlerweile?

Alisha Jackson: Ziemlich bekannt, denke ich. Als wir letztens vor der Gewerbeschule Flyer verteilten, da sagten die meisten, sie hätten schon von uns gehört. Das läuft also. Und es ist megacool, dass es Scorpio nun auch in Zürich gibt. Wer irgendwo sonst etwas aufziehen möchte, darf ebenfalls jederzeit zu uns kommen, wir bieten sehr gern unsere Unterstützung an.

Eine Sprache, die wohl auch Arbeitgeber:innen verstehen, spricht das Bundesamt für Statistik: Es sagt, dass in der Schweiz zuletzt rund ein Viertel aller angefangenen Berufslehren frühzeitig abgebrochen wurden.