Auf allen Kanälen: Aggressiv willfährig
Die Ermordung von Charlie Kirk und die Beinahe-Absetzung von Jimmy Kimmel zeigen: Die Maga-Version der Realität regiert mittlerweile in gefährlich vielen Köpfen.

Empörte Kund:innen von Disney plus stornierten reihenweise ihre Streamingabos, der Konzern lief Gefahr, deswegen viel Geld zu verlieren. Film- und andere Stars drohten mit Boykotten, und schon nach wenigen Tagen wurde der geschasste Late-Night-Talker Jimmy Kimmel, um den sich diese Proteste scharten, von Disneys Tochtersender ABC wieder zurückgeholt. Das sind gute Nachrichten in düsteren Zeiten. Der Widerstand hat noch Puls.
Trotzdem: Die rechte Instrumentalisierung der Ermordung des rechtsextremen Propagandisten Charlie Kirk war insgesamt bestürzend erfolgreich. Sogar ausserhalb des Maga-Universums verlief die Debatte ziemlich genau in den von Donald Trump gewünschten Bahnen. Die rechte Kernbotschaft, Kirk sei ein genialer Debattierer, Champion der Redefreiheit und deshalb ein Gewinn für die Demokratie gewesen (siehe «Er wollte bloss debattieren», WOZ Nr. 38/25), wurde bereitwillig weiterverbreitet. Die hofierende Berichterstattung zu Kirks Trauerfeier nahm auch hierzulande teils bizarre Züge an.
Trauer als Farce
Auch im Fall des kurzzeitig gefeuerten Talkshowhosts Jimmy Kimmel übernahmen viele Kommentator:innen im Kern die Argumentation von Brendan Carr, dem von Trump eingesetzten Leiter der Senderaufsichtsbehörde: Kimmel habe seinen Sessel wegen «Irreführung» der US-Öffentlichkeit räumen müssen. Dazu zitierte man Kimmels Satz, die Maga-Bewegung versuche zu verhindern, dass Kirks Attentäter als einer von ihnen erkannt werde – und Trump schlage aus dem Mord politisches Kapital.
Die offenkundige Absurdität, dass hier eine Administration, die die Lüge als «alternative fact» zum Regierungsprinzip erhoben hat, nun einen Satiriker wegen einer möglichen Falschaussage absetzen wollte, erkannten einige Kommentator:innen durchaus. Ebenso die ungleiche Anwendung der Redefreiheit. Doch obwohl viele von ihnen die Entlassung Kimmels kritisierten, machten sich nicht alle die Mühe, seine Shows genauer anzuschauen.
Dann wäre ihnen womöglich aufgefallen, wie erbarmungslos der früher eher unpolitische Kimmel Trump immer wieder vorgeführt hat. Und wie er hartnäckig darauf verwies, dass Trump es immer wieder schaffte, von den Themen abzulenken, die ihm tatsächlich schaden könnten: Stichwort «Epstein Files». In der Sendung vor seiner Suspendierung entlarvte er Trumps «Trauer» um Kirk als reine Farce, die einzig dazu diene, den Mord zu instrumentalisieren. Kimmel muss der Maga-Bewegung wie ein Endgegner vorgekommen sein.
Satirisch gedreht
Doch anstatt sich intellektuelle Arbeit und ein eigenes Bild zu machen, übernahmen viele Kommentator:innen einfach die offiziellen Versionen – Kimmel musste gehen, weil er gelogen hat; Kirk war ein Held der Demokratie – und garnierten diese allenfalls noch mit etwas kritischem Beiwerk. Die Extremform dieser Entwicklung hat Masha Gessen kürzlich in der «New York Times» als «aggressive compliance» beschrieben: als aggressive Willfährigkeit.
Eine solche aggressive Willfährigkeit muss sich etwa ein USA-Korrespondent der NZZ vorwerfen lassen. Er gab vor, diverse Aussagen von Charlie Kirk auf ihre Radikalität zu überprüfen. Und qualifizierte dann Kirks Satz, Abtreibung sei «schlimmer als der Holocaust», nicht etwa als grobe Bagatellisierung des NS-Massenmords an Jüdinnen und Juden, sondern bloss als «deplatzierten Vergleich»; dies, obwohl er selber in den letzten Jahren mehrfach propalästinensischen Aktivismus in die Nähe von Antisemitismus gerückt hat. Die Schlussfolgerung: «Charlie Kirk war ein rabiater Debattierer, der sich fetzen wollte.» Trump hätte es nicht besser sagen können.
Die Ausgabe der «Daily Show», mit der Talkshowveteran Jon Stewart auf die Suspendierung seines Kollegen reagiert hat, wirkt wie eine indirekte Antwort auf solche Verharmlosungen. Stewart gibt darin den devoten Satiriker, der nur darauf aus ist, dem grossartigen Führer Trump zu huldigen. Mit diesem satirisch gedrehten Blick schafft er eine schonungslose Nahaufnahme des immer autoritärer auftretenden Präsidenten. Derlei gekonnte Demontagen müssen Newsjournalist:innen heute offenbar von den Satirikern lernen. Bleibt nur zu hoffen, dass Kimmel in seiner kurzen Auszeit keine Zähne gezogen wurden.