«Grüner Kapitalismus»: Im Heute erstarrt
In einer neuen Studie erklärt der Berliner Soziologe Philipp Staab, warum das ökologische Modernisierungsprojekt tief in der Krise steckt.
Vergangene Woche trat Xi Jingping mit einer aufsehenerregenden Botschaft vor die Vereinten Nationen: Via Videoschaltung kündigte Chinas Staatschef an, dass die Treibhausgasemissionen seines Landes bis 2035 um sieben bis zehn Prozent sinken sollen – es war das erste Mal, dass sich die Volksrepublik zu klar definierten Grössen in Sachen Emissionsabbau verpflichtete. Zugleich wolle man die Wind- und Solarenergieerzeugung versechsfachen: Der «Übergang zu einer grünen und kohlenstoffarmen Wirtschaft» sei «der Trend unserer Zeit», so Xi.
Die selbstgesetzten Ziele der zweitgrössten Ökonomie der Welt gehen zwar längst nicht so weit wie von Umweltverbänden gefordert. Dennoch ist es bezeichnend, dass sich Xi ausdrücklich zum ökologischen Umbau bekannte – während US-Präsident Donald Trump einen Tag zuvor auf der Uno-Generalversammlung die Klimakrise noch als den «grössten Schwindel, der je auf der Welt begangen wurde», bezeichnet hatte.
Die Episode versinnbildlicht, dass der Westen zwar einst Geburtsstätte der Moderne war, im Zeitalter der Klimakrise ausgerechnet dort aber der Prozess der Modernisierung erheblich ins Stocken geraten ist. Antiökologisch auftretende Politiker:innen erfreuen sich grosser Zustimmung. Wiederholt haben sich auch Sozialproteste an Reformen mit klimapolitischer Grundierung entzündet, etwa die Gelbwestenbewegung in Frankreich oder die Aufstände von Landwirten in den Niederlanden und Deutschland.
Dabei steht die geophysikalische Notwendigkeit zum ökologischen Umbau eigentlich ausser Frage. Warum also will es mit diesem partout nicht vorangehen?
Aggressives Rollback
Um dieses Problem kreist die neue Studie des Berliner Soziologen Philipp Staab, «Systemkrise. Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus». Darin hält er eingangs zwar fest, dass liberale Regierungen zuletzt Transformationsprojekte angegangen sind, die in die Klimaneutralität führen sollten. Zugleich aber traf dies auf viel Widerstand – und nicht etwa auf euphorische Zustimmung, wie man ja auch hätte erwarten können. «Was den Bürgerinnen doch eigentlich ihre umweltbezogenen und ökonomischen Sorgen nehmen sollte, entpuppte sich als politischer Sprengsatz», schreibt Staab. «Auf den Aufbruch folgte ein aggressives Rollback.»
Anschauungsmaterial für diesen Befund hat der Soziologe vor der eigenen Haustür – man könnte sein Buch auch als eine Art Erklärungsversuch dafür deuten, warum sich Robert Habeck, eben noch als grüner Wirtschaftsminister auf der Regierungsbank, inzwischen aus der Politik verabschiedet hat. In Deutschland war 2021 die «Ampelkoalition» aus SPD, Grünen und FDP mit einer Agenda angetreten, die das Land entkarbonisieren sollte. Vom anfänglichen Elan blieb am Ende wenig, die Koalition zerfiel vorzeitig – und der neue Kanzler trommelt derzeit in Europa gegen das eigentlich schon beschlossene Aus des Verbrennungsmotors.
Befeuert wurde dies alles von rechtspopulistischer Stimmungsmache, die allerdings auch auf viel Resonanz traf. Dabei ist es mitnichten so, dass der globale Temperaturanstieg nur eine kleine urbane Elite umtreiben würde. Umfragen in Deutschland belegen, dass siebzig Prozent der Bevölkerung die Klimakrise für ein sehr dringliches Problem halten. Staab spricht von einem «ökopolitischen Paradox», das sich für die reichen Gesellschaft des Westens insgesamt konstatieren lässt: «Zwar hat der grösste Teil der Menschen Angst vor den Flammen. Aber gegen Löschversuche regt sich massiver Unmut bis zu dem Punkt, dass die Feuerwehr davongejagt wird.»
Aus linker Sicht mag man das Projekt eines «grünen Kapitalismus» als Scheinlösung beargwöhnen – auch Staab zeichnet nach, wie von dem von den Bewegungen der siebziger Jahre getragenen Impuls, die Ausbeutung von Mensch und Natur gemeinsam zu bekämpfen, bald nur noch das Ziel eines marktkonformen Umbaus übrig blieb. Dass es aber selbst mit diesem so gar nicht vorangehen will, erscheint umso rätselhafter, je genauer man hinschaut. Anpassungsfähigkeit ist ja eigentlich Wesensmerkmal moderner Gesellschaften – und auch frühere Erneuerungsprozesse produzierten stets auch Verlierer:innen, wie Staab unterstreicht, ohne dass dies aber in die Totalblockade geführt hätte.
«Selbsterhaltungsängste»
Für die «Spätmoderne» konstatiert der Soziologe indes erstarrte Verhältnisse. Es grassiere «die Angst vor dem Zusammenbruch bestehender Lebensmodelle», was zur Folge habe, dass Konfliktfelder, in denen man früher darum stritt, wie die Zukunft aussehen solle, nun zum Schauplatz «der krampfhaften Verteidigung eines eigentlich als ‹unhaltbar› betrachteten Status quo» geworden seien. «Gegenwartsverlängerung ist an die Stelle der Zukunftseroberung getreten», so Staab.
Das lässt sich dem Soziologen zufolge weder allein auf ökonomische Sorgen in der Bevölkerung noch auf kulturelle Vorbehalte zurückführen. Vielmehr scheint grundsätzlich etwas ins Rutschen geraten. In den Nachkriegsjahrzehnten zu leben, habe noch bedeutet, «systemische Veränderungen als Chancen auf wachsende individuelle Emanzipationsmöglichkeiten verstehen zu können», schreibt Staab.
Heute dagegen geht laut Umfragen eine überwältigende Mehrheit der Deutschen davon aus, dass die Lebensumstände künftiger Generationen schlechter sein werden als die eigenen. Der Modernisierungsprozess ist «ins Restaurative gekippt», so Staabs Diagnose: Kompromisse sind kaum noch möglich, stattdessen triggern «Selbsterhaltungsängste» bei den Menschen den Wunsch, dass möglichst alles beim Alten bleibt.
Dabei ist mittlerweile die Ökologie selbst zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden. Im Jahresmittel waren zwischen 2015 und 2019 rund zwanzig Prozent der Beschäftigten der OECD-Staaten in «grünen Berufen» tätig: Es gibt also eigentlich Millionen, die sich allein schon aus materiellem Eigeninteresse für die grüne Modernisierung einsetzen müssten.
Die trägen «Ökomodernen»
Staab hat diese «Ökomodernen» empirisch untersucht – und keine Anzeichen dafür gefunden, dass sich hier eine neue «ökologische Klasse» formieren könnte, wie sie etwa die Ökotheoretiker Bruno Latour und Nikolaj Schultz vor ein paar Jahren herbeischreiben wollten. Stattdessen stosse man auf einander widersprechende Wertvorstellungen und Ideologien, ein generelles Hadern mit der Politik sowie diverse Abwehrstrategien – etwa den Glauben, dass es die Wirtschaft schon richten würde, wenn ihr nicht der Staat Steine in den Weg legte.
Was also tun? Angesichts defensiv verschanzter Lebenswelten räumt der Soziologe einer Politik, die langfristige Ziele in den Vordergrund rückt, wenig Erfolgschancen ein – vermutlich denkt er hier an mit viel Brimborium vorgestellte Projekte wie etwa den «European Green Deal» der EU-Kommission. Stattdessen gelte es, an den eigenen strategischen Fähigkeiten zu arbeiten, um so «die Sehnsüchte der Abwehr und des Ausbruchs im richtigen Moment in eine konkrete Bewegung» umzumünzen. Wie eine derart gleichsam an Machiavelli geschulte Ökopolitik mit taktischem Gespür für das Mögliche konkret aussehen könnte, ist dann wohl eine in der Praxis zu beantwortende Frage.