Stromgesetz: Augen auf bei der Umsetzung
Es ist unabdingbar, dass sich die Umweltorganisationen bei der Umsetzung des Stromgesetzes einmischen. Im September kann man sie für diese Aufgabe an der Urne stärken.
Das Stromgesetz hat heute mit 68,7 Prozent Stimmenanteil eine Mehrheit gefunden. Für die Klimapolitik in diesem Land ist das gut. Auch wenn manche die Vorlage aus Sorge um die Landschaft ablehnten: Ein Nein wäre als Nein zum Klimaschutz und zur Dekarbonisierung verstanden worden – und als Ja zu Magdalena Martullo-Blochers SVP.
Mit dem Stromgesetz wird der Weg frei für den Solarausbau: Endlich sind die Minimalvergütungen für Strom vom Hausdach gesamtschweizerisch geregelt. Menschen, die in einer Gemeinde Solarstrom produzieren, speichern und brauchen, können sich zu lokalen Elektrizitätsgemeinschaften zusammenschliessen. Es gibt Effizienzvorgaben für Energieunternehmen und Vorschriften über den Energieverbrauch von Geräten und Fahrzeugen.
Trotzdem: So richtig Freude macht das Ja zum Stromgesetz nicht. Zu gross sind die Zugeständnisse beim Natur- und Landschaftsschutz, vor allem beim Ausbau der Wasserkraft: Der Bau von sechzehn Wasserkraftprojekten, teils in geschützten Landschaften, hat Vorrang gegenüber Schutzinteressen. Stauseen dürfen in alpinen Auen und Gletschervorfeldern gebaut werden, die nach den Kriterien des Bundes eigentlich schutzwürdig wären. Und Restwasserstrecken dürfen neu durch geschützte Talauen führen, was diese empfindlichen Ökosysteme in ihrer Existenz bedroht.
Bedenklich sind die Anfeindungen, denen Umweltorganisationen wie Aqua Viva oder der Grimselverein ausgesetzt sind, die den Bau der sechzehn Wasserkraftprojekte nicht einfach hinnehmen wollen. Dabei ist es unabdingbar, dass sich die grossen und kleinen Umweltorganisationen in die Umsetzung des Stromgesetzes einmischen. Gemäss Gesetz müssen die Kantone Eignungsgebiete für neue Solar- und Windanlagen festlegen. Dieser Prozess verdient grösstmögliche Sorgfalt und Rücksicht auf Natur und Landschaft – es geht nicht, dass ein Kanton einfach einen grossen Teil seiner Fläche zum Eignungsgebiet erklärt. Auch die Gebiete, in denen Landschaft und Biodiversität Vorrang haben, brauchen Platz. Die Umweltorganisationen sind legitimiert, diesen Prozess kritisch zu begleiten und wenn nötig zu intervenieren – dafür sind sie da.
Allerdings haben die meisten Umweltorganisationen im Abstimmungskampf Grundsatzdiskussionen tunlichst vermieden. Um die Tatsache, dass das Wirtschaftswachstum und damit auch der Energieverbrauch Grenzen haben, weil ungebremstes Wachstum den Planeten zerstört, ging es kaum. Irgendwann wird sich die Gesellschaft dieser Tatsache stellen müssen. Je später sie es tut, desto unangenehmer werden die nötigen Veränderungen.
Im September kommt die Biodiversitätsinitiative, im November das Referendum gegen den Autobahnausbau zur Abstimmung. Ein Ja zur Initiative ist auch im Hinblick auf den Ausbau der Energieanlagen wichtig: um bei den Interessenabwägungen der Umweltseite Gewicht zu geben. Ein Nein zum Autobahnausbau ist unverzichtbar, um die Dekarbonisierung auf Kurs zu bringen: Nur schon der Bau dieser Strassen ist katastrophal fürs Klima. Bevor ein einziges Auto darauf gefahren ist – sei es elektrisch oder nicht.