Blog zu den Wahlen 2023

Die Schweiz macht den Igel

Das Wahlresultat 2023 lässt sich weit mehr mental als politisch deuten: Die Schweiz will bloss nichts mit der Welt zu tun haben. Gegen den erstarkten Nationalismus braucht es jetzt ein Bündnis von links bis in die Mitte.

Statuen in der Halle des Bundeshaus
Foto: Caroline Minjolle

Wohin bewegt sich die Schweiz an diesem Wahlsonntag? Die Antwort fällt noch deutlicher aus, als es die Umfragen befürchten liessen. Sie versammelt sich in krisenhaften Zeiten noch immer am liebsten im Igelpavillon. An der Landesausstellung 1964, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, wurde der Bau der Armee mit seinen Stacheln zum Symbol für ein Land, das nichts von der Welt wissen will. Es passt zum heutigen Resultat: Die Schweiz igelt sich wieder einmal ein. Welt, bleib draussen!

Die Rechtspopulist:innen legen deutlich zu (plus neun Sitze im Nationalrat), die Grünen und Grünliberalen stürzen ab (minus fünf Sitze beziehungsweise minus sechs). Wobei die Resultate auf den zweiten Blick nicht ganz so arg sind: Die SVP kommt nicht auf ihr Spitzenresultat von 2015. Die Grünen verlieren weniger, als sie das letzte Mal gewonnen haben. Und doch gibt es nichts schönzureden: Was sich heute ereignet hat, ist ein massiver Rechtsruck.

Die SVP hat – mit gütiger Unterstützung der meisten Medien – Ängste vor der Migration geschürt. Die FDP flankierte sie gehorsam. Zwar hat es ihr nichts gebracht, sie erzielte mit ihrem Kurs der Anbiederei sogar das schlechteste Resultat aller Zeiten. Nichtsdestotrotz hat ihr Präsident Thierry Burkart nichts Gescheiteres zu tun, als in der ersten Medienrunde der Parteipräsident:innen weiter von einem «Asylchaos» zu sprechen und rigorose Ausschaffungen von abgewiesenen Asylsuchenden zu verlangen.

Was für ein trauriger Anblick der einst stolzen, liberalen Wirtschaftspartei: Kein Wort zur Inflation und sowieso kein Wort zum Ruin der parteinahen Grossbank. Die einzige Parole in der Stunde der Niederlage: Ausländer raus!

Egoistische Heimattümelei

Der grösste Verlierer dieser Wahl, das lässt sich schon jetzt sagen, ist das Viertel der Bevölkerung, das gar nicht erst zur Wahl zugelassen war: Die Diskriminierung und Prekarisierung von Menschen ohne Schweizer Pass wird weitergehen. Dass der SVP auch die Unterstützung von Wladimir Putin oder die Verherrlichung von Donald Trump nicht geschadet hat, lässt noch einen weiteren Schluss zu: Sie wird sich bestärkt fühlen, weiter auf die strikte Neutralität zu pochen und der Heimattümelei zu frönen.

Angesichts der komplexen Weltlage mit dem Krieg gegen die Ukraine und jenem im Nahen Osten, auch angesichts der zunehmenden Rechtsunsicherheit im Verhältnis zur EU ist dieser Nationalismus egoistisch und fahrlässig gleichermassen. Vermutlich liegt hier aber auch die Erklärung für dieses Wahlresultat, das weit mehr ein mentales als ein politisches ist: In einer Zeit der multiplen Krisen – zu der an erster Stelle die Klimaerwärmung gehört – schaut ein beträchtlicher Teil der Schweizer:innen offenkundig am liebsten für sich selbst. Die SVP, diese Holding mit Steuerprivilegien für die Reichen und mit Polemik gegen Ausländer:innen für den Rest, liefert dafür ein billiges Programm.

Auch die starken Verluste der Grünen und der Grünliberalen passen in dieses Deutungsmuster. Längst ist klar, dass sich die Klimaerwärmung nicht mit neuen Technologien und erneuerbarer Energie aufhalten lässt – sondern einzig mit Verzicht bewältigen, von der Flugreise bis zum Fleischkonsum. Doch statt des Verzichts dominiert offenkundig die Verdrängung. Der Furor gegen die Klimakleber:innen, die im Wahlkampf oft als Feindbild herhalten mussten, liegt denn auch kaum in deren Forderungen begründet. Diese Aggression entsteht vielmehr, weil Klimakleber:innen an die Verdrängung der menschengemachten Naturkatastrophe erinnern.

Es braucht jetzt ein Bündnis

Trotzdem gibt es auch einige Hoffnungsschimmer an diesem Wahlsonntag 2023: Da ist zum einen die SP, die mit ihrem jungen Kopräsidium wieder leicht gewinnt (plus zwei Sitze). Da ist die Mitte-Partei, deren Neuformierung geglückt ist (plus einen Sitz). Sie überholt sogar ihren alten Kulturkampfgegner FDP – und das ausgerechnet im Jubiläumsjahr der Bundesstaatsgründung.

Leider zögert Mitte-Präsident Gerhard Pfister in seinen ersten Stellungnahmen, einen zweiten Bundesratssitz zu fordern und die SVP-FDP-Mehrheit im Bundesrat infrage zu stellen. Es wäre doch gelacht, wenn ausgerechnet die Mitte zur Revolution blasen würde. Aber für eine eigenständige Politik fern des Rechtsblocks sollte sie doch zu haben sein.

Und genau das braucht es jetzt: ein Bündnis der demokratischen Kräfte links und in der Mitte, das sich auf einen menschenrechtlichen Konsens gegen die Rechtspopulist:innen verständigt. Und das thematisch zusammenarbeitet, um Lösungen für die Probleme der Gegenwart zu finden. Keines davon lässt sich am Grenzposten von Chiasso lösen, schon gar nicht die Klimaerwärmung. Hier wie auch in der Sozialpolitik müssen sich SP, Grüne, GLP und Mitte auf ein Minimalprogramm für die Legislatur einigen. Die Mehrheit dazu hätten sie.

Es werden vier harte Jahre. Es werden vier strenge Jahre. Doch gegen Egoismus und Engherzigkeit hilft nur eines: Mut zum Widerstand.